Eingeschlafene Beziehung?
So kann eine liebevolle Begegnung wieder stattfinden!
Viele Paare verlieren sich im Laufe der Zeit aus den Augen. Es tritt eine Art „Gewöhnungseffekt“ ein – der andere ist eben einfach da. Neben den Herausforderungen des Alltags, die jeden von uns im Griff haben und die häufig dafür sorgen, dass wir nicht nur uns selbst, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen vernachlässigen, gibt es einige weitere hinderliche Aspekte im partnerschaftlichen Miteinander. Wenn diese Hindernisse jedoch erkannt und aufgelöst werden, kann das eine Partnerschaft immens bereichern und auch die beiden Partner einander emotional viel näherbringen.
Wenn wir uns an die Anfänge unserer Beziehung erinnern, zaubern die Erinnerungen daran uns sofort ein Lächeln auf die Lippen. Diese magische Zeit des Kennenlernens und die ersten Verliebtheitsgefühle sind etwas ganz Besonderes. Gern schwelgen wir in diesen wunderschönen Erinnerungen, bis uns wieder die ernüchternde Gegenwart einholt.
Dann fragen wir uns, wie es dazu kommen konnte, dass das Miteinander zwischen uns und unserem Herzensmenschen derart eintönig und stumpf geworden ist. Es erscheint uns oftmals so, als wären wir damals ganz andere Menschen gewesen.
In diesem Augenblick vergegenwärtigen wir uns, dass wir einiges miteinander erlebt und auch durchgestanden haben – Heirat, Kinder, Hauskauf, Krankheiten etc. Dennoch macht es den Anschein, als wäre ein Großteil der tiefen Gefühle füreinander mitunter eingeschlafen. Eventuell stellt sich sogar irgendwann die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, diese Beziehung fortzuführen.
Viele von uns kennen diese Situation, Gedanken und Gefühle. In solchen Momenten fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die Herzensverbindung zueinander erneut vertieft werden und das Beziehungsleben wieder voller Freude und Leichtigkeit miteinander gestaltet werden kann. Doch wie alles andere im Leben, ist ebenso dies eine Entscheidung.
Wenn beide Partner den aufrichtigen Wunsch in sich tragen, ihre Partnerschaft aufzufrischen; ihr neues Leben einzuhauchen, eröffnen sich Wege und Möglichkeiten, an die beide zuvor niemals gedacht hätten. Entscheiden die Partner sich dazu, einander herzoffen und auf Augenhöhe zu begegnen, bedeutet dies zugleich den Schritt in die Eigenverantwortung zu wagen.
Die meisten Menschen sind sich ihrer eigenen emotionalen Wunden, gewisser „Strategien“ und Triggerpunkte nicht bewusst. Jedoch liegt besonders in einer Partnerschaft ein unglaubliches Wachstumspotenzial verborgen. Um dieses Potenzial freizulegen und einander zudem wahrhaftig auf Herzensebene zu begegnen, bedarf es eines mutigen Umdenkens. Diese beiden Menschen haben nun die Chance, persönlich wirklich reif und herzoffen zu werden; sich einander in Liebe zu öffnen. Dazu bedarf es einer achtsamen Kommunikation, in der beide Partner einander mit Wohlwollen auf Augenhöhe begegnen und akzeptieren.
Ist beispielsweise die Frau von einem Verhalten ihres Mannes genervt, wird sie ihn mit großer Wahrscheinlichkeit für ihren eigenen genervten Zustand verantwortlich machen, sofern sie ihre persönlichen Triggerpunkte nicht kennt und zudem nicht achtsam mit ihrem Partner kommuniziert. Sie wird mit ihm schimpfen, ihm Vorwürfe machen und ihm sagen, wie er sich stattdessen gemäß ihrer Vorstellung hätte verhalten sollen.
Vermutlich wird ihr Mann sich verteidigen, Argumente vorbringen, die seiner Ansicht nach für die Richtigkeit seines Verhaltens sprechen – und so liefern sich beide miteinander dann einen verbalen Schlagabtausch, der wahrscheinlich ergebnislos verläuft.
Im Anschluss an eine derartige Auseinandersetzung dürften beide Partner sich dem jeweils anderen sicherlich emotional weniger verbunden fühlen. Ständige Konflikte tragen schließlich zu einem schleichenden Beziehungstod bei. Dieses traurige und unnötige Beziehungsende kann verhindert werden, wenn jeder die Verantwortung für sein Denken, sein Fühlen und sein Handeln übernimmt. In einer zwischenmenschlichen Beziehung trägt jeder der beiden Partner 50 % der Verantwortung im Hinblick auf die gemeinsam erzeugte Beziehungsdynamik. Für diese 50 % ist jedoch jeder zu 100 % verantwortlich.
Ärgert sich also die Frau über ihren Mann, so kann sie alternativ zunächst einmal innehalten und sich die Zeit nehmen, um herauszufinden, welche Gefühle das Verhalten ihres Mannes in ihr auslösen und welches Bedürfnis in ihr schlummert. Sie wird dann nicht mehr die Verantwortung für ihr eigenes Gefühlserleben auf ihren Partner übertragen, sondern sich selbst mit Liebe und Mitgefühl begegnen. Schließlich sollte eine Liebesbeziehung kein Tauschhandel bzw. eine Versorgungsgemeinschaft darstellen. Zwar hat es in früheren Epochen solche Zweckbeziehungen gegeben, da Frauen entsprechend abhängig von Männern waren, doch in unserer heutigen Zeit können wir uns unseren Partner selbst aussuchen und diese Verbindung aus Motiven der Liebe leben.
Hat die Frau erkannt, wieso das Verhalten ihres Mannes sie verärgert oder nervt und welches Bedürfnis sie sich wünscht, erfüllt zu bekommen. Kann sie sich dieses Bedürfnis entweder selbst erfüllen oder es offen und ohne Vorwürfe ihrem Partner gegenüber kommunizieren. Während sie sich ihm achtsam öffnet und ihre Gefühle und Bedürfnisse zum Ausdruck bringt, gibt er ihr den Raum, ohne ihr ins Wort zu fallen. Anschließend kann er in sich hineinspüren und es steht ihm frei, der Erfüllung ihres Bedürfnisses nachzukommen oder dies nicht zu tun. Dadurch entfällt der Faktor der Abhängigkeit. Der Partner wird in seiner Ganzheit gesehen, geachtet und wertgeschätzt und nicht weiter als eine Art „Bedürfniserfüller“ benutzt. Um dies zu gewährleisten, sollte diese Vorgehensweise für beide Seiten gelten.
Aus der Perspektive des Mannes ist es in dieser Situation daher wichtig, bei sich selbst zu bleiben. Auch er ist für sein Denken, sein Fühlen und sein Handeln vollkommen selbst verantwortlich. Sollten die Worte seiner Partnerin ihn in irgendeiner Form triggern, darf er in sich selbst den Grund dafür hinterfragen und das entsprechende Thema dahinter heilen. Ebenso darf er seiner Frau ihre Gefühle und ihr Verhalten zugestehen, ohne sich dafür verantwortlich fühlen zu müssen.
Die so entstandene Eigenverantwortung befreit beide Partner von der Ohnmacht und bringt sie somit in die Position der Selbstermächtigung. Dies ist eine erwachsene und reife Art, miteinander umzugehen und die Partnerschaft voller Freude und Achtsamkeit liebevoll gestalten zu können. Natürlich erfordert es ein mehrmaliges Anwenden und in gewisser Weise eine Art „Training“, um Stück für Stück den Weg aus der vorher betriebenen Projektion herauszufinden.
Zu groß ist in der Regel das fast schon „gewohnheitsmäßige Verantwortlichmachen“ des Partners für die eigenen Gefühle. Deshalb ist es wichtig, einander die notwendige Zeit einzuräumen und ebenso verständnisvoll mit Rückfällen in alte Verhaltensmuster umgehen zu lernen.
Die Phase der Veränderung im Umgang mit den eigenen Gefühlen und im Hinblick auf das Verhalten dem Herzensmenschen gegenüber trägt dazu bei, dass beide sich wieder mehr einander annähern. Es ist schön, gemeinsam als Paar den Weg der Selbsterkenntnis zu gehen und darüber hinaus den Partner ebenfalls neu kennenzulernen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, sich gegenseitig mit Verständnis, Empathie und Respekt zu begegnen. So kann in der beschriebenen Beispielsituation der Mann seiner Frau einfach zuhören und ihr rückmelden, dass er ihre Gefühle und Bedürfnisse sehen – und im Bestfall sogar nachvollziehen – kann. Dies führt zu einer liebevollen Begegnung dieser zwei Menschen auf Augenhöhe.
Es geht dann nicht mehr um Macht- oder Egospiele, sondern um eine wahrhafte zwischenmenschliche Begegnung. Die Partner sehen einander und erkennen ihren Partner so an, wie er sich in diesem Moment zeigt. Das sorgt für Nähe zwischen diesen beiden Menschen, anstatt eine kühle Distanz zu schaffen.
Gleichermaßen hat jeder Partner das Recht, sich dem jeweils anderen gegenüber auf liebevolle Weise abzugrenzen, wenn er spürt, dass ihm etwas zu viel wird und er sich zurückziehen möchte. Dieser Wunsch wird eigenverantwortlich geäußert und der Partner fühlt sich dadurch nicht abgelehnt. Sollte er sich doch abgelehnt fühlen, kann er dieses Gefühl hinterfragen und sich selbst die Liebe und Aufmerksamkeit schenken, die er sich gerade eigentlich von seinem Herzensmenschen wünscht. Auch können Diskussionen zu einem späteren Zeitpunkt weitergeführt werden, wenn einer der beiden Partner in dem aktuellen Moment nicht in der Lage dazu ist, emotional reif mit der Situation umzugehen. Diese Herangehensweise nimmt viel Druck.
Ebenso sollte im Hinblick auf eine Thematik, in der zwei extrem verschiedene Ansichten aufeinandertreffen, der entsprechende Streitpunkt sozusagen als dritte Instanz gesehen werden. Somit wird kein „Feindbild“ auf den Partner projiziert, sondern das zu klärende Thema wird zu einer Herausforderung, der beide Partner sich gemeinsam als Team stellen können und wollen. Diese Handlungsweise trägt ebenfalls wesentlich dazu bei, die emotionale Kluft zwischen den Partnern nicht unnötigerweise zu vergrößern.
Im Gegenteil: Weniger harte Konflikte können so spielerisch gelöst werden und das Zusammengehörigkeitsgefühl des Paares wird durch diese Form des Konfliktmanagements sogar gestärkt. Ist das Paar demnach schrittweise in die achtsame Kommunikation hineingewachsen, kann es sich zudem der „Auffrischung“ der Liebesgefühle widmen.
Im Alltagsstress passiert es leider häufig, dass gemeinsame schöne Momente rar sind. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns immer wieder kleine Inseln schaffen, die dafür sorgen, dass wir schöne Unternehmungen mit unserem Herzensmenschen starten. Auch ein wöchentliches oder monatliches Ritual, wie beispielsweise das gemeinsame Kochen, Sport machen, Spazierengehen oder sonstige Freizeitaktivitäten können dabei helfen, die Bindung zu stärken. Weiterhin entstehen so bereichernde Momente, an die wir uns später zusammen mit unserem Partner erinnern können. Ebenso können wir uns einem gemeinsamen Projekt widmen und uns zusammen an jedem einzelnen Teilziel erfreuen. Aber nicht nur diese kleinen Veränderungen sind hilfreich, sondern gleichermaßen die Erinnerung an den „magischen Moment“ kann einiges bewirken.
Wenn wir uns die Zeit nehmen, ein behagliches Ambiente zu schaffen, um mit unserem Herzensmenschen eine Art kleine Zeitreise zu unternehmen, kann das das Zusammengehörigkeitsgefühl vertiefen. In dieser Situation erinnern wir uns zusammen mit ihm an den magischen Moment, in dem wir uns ineinander verliebt haben, und lassen dieses Gefühl erneut in uns aufsteigen.
Auch unser Herzensmensch wird uns gern zuhören, wenn wir von dem Moment erzählen, indem wir das erste Mal diese wunderschönen Verliebtheitsgefühle gespürt haben, und sich daran erfreuen. Im Anschluss dürfen wir uns an seiner Erzählung über seinen „magischen Moment“, seinen strahlenden Augen und seinem Lächeln erfreuen. All dies sind simple Möglichkeiten mit einem erstaunlich positiven Effekt.
Wir sehen, dass selbst Beziehungen, die wir als „eingerostet“ oder „eingeschlafen“ bezeichnen würden, das Potenzial in sich tragen, beide Partner erneut zueinander zu führen, indem sie ihre Kommunikation achtsamer und reifer gestalten und des Weiteren durch einfache kleine Beziehungsrituale die Bindung zueinander stärken. Lediglich der aufrichtige Wunsch danach, Geduld und Liebe sind die Grundzutaten, um diesen Weg gemeinsam erfolgreich beschreiten zu können.
Das freudige Ergebnis dafür, dass beide Partner diese Aspekte in ihre Beziehung investieren, ist eine wahrhafte und herzoffene Liebesbeziehung, in der eine wirkliche liebevolle zwischenmenschliche Begegnung stattfinden kann. Beide Partner können sich frei als Individuen erfahren und entfalten und schätzen darüber hinaus den liebvollen und vertrauensvollen Raum, den sie sich mit ihrem Herzensmenschen kreieren und in dem sie miteinander weiter wachsen können.
Solch eine Liebesbeziehung erstrahlt in vollem Glanze der Liebe, Herzensfreude, Harmonie und Leichtigkeit!
Isabelle Maria Kühler
Coach, Psychologische Beraterin, Paarberaterin und Autorin
Instagram: @isabelle.maria.kuehler
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