Was tun, wenn die Krise kommt?
Gleich vorweg: Ich bin weder Angstmacher noch Pessimist. Aber die Lage in Deutschland ist ernst. Mehrere neue Flüchtlingswellen aus der Ukraine, mit z. T. traumatisierten Kindern und Frauen, überfordern das jetzt schon überlastete Hilfsangebot. Die wenigen Seelsorger sind ein Tröpfchen auf den heißen Stein und psychologische Praxen waren schon vor Corona überlaufen. Man muss mit Wartezeiten von bis zu fünf Monaten rechnen.
Mehrere Verbände schlagen im Internet Alarm (u. a. die Deutsche Depressionsliga), dass psychische Erkrankungen unter Jugendlichen und Kindern explosionsartig zugenommen haben, insbesondere Depressionen und Suizide.
Wen wundert es? Kaum die schreckliche Maskenpflicht an den Schulen überlebt, hören sich die Kleinen nun täglich Kriegsnachrichten im Fernsehen an.
Wegen steigender Gaspreise melden Hunderte Unternehmen den Konkurs an. Ein befreundeter Hotelier bekam eine Gasrechnung in Höhe von 16 000 Euro fürs Halbjahr – das Vierfache des Zeitraums davor. Und das war schon heftig. Er muss sein Hotel nun schließen.
Doch ich beobachte noch etwas anderes. Die Deutschen gehen stets davon aus, dass sich irgendjemand um ihr Problem kümmern wird. Irgendeiner wird zuständig sein und sich der Sache schon annehmen. Wird man krank, gibt es Ärzte. Kommt die Rechnung, zahlt die Krankenkasse. Baut man einen Unfall auf der Autobahn, kommt der Hubschrauber mit den Sanitätern. Fühlt man sich ungerecht behandelt, kümmert sich der Rechtsanwalt um den Fall. Schließlich leben wir in einem Rechtsstaat. Für alles gibt es entsprechende Stellen. Wozu selber etwas tun?
Ist ein Mitmensch psychisch am Ende und hat keine Kraft mehr, hilft daher kaum noch einer. Wozu gibt es andere, die für so etwas zuständig sind. Man gibt das Problem ab bzw. wartet, bis das System es löst.
Doch dieses Denken ist eine Falle, wie die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal erfahren mussten, die noch heute traumatisiert sind.
Hunderte saßen tagelang auf ihren Dächern oder auf nassen Sofas, davon ausgehend, es kommt bald jemand zu Hilfe. Fehlanzeige. Die Feuerwehr brauchte mehrere Tage, um die Überlebenden zu erreichen. Auch die Polizei war überfordert und kam noch nicht mal auf die Idee, bei ihren Rundfahrten wenigstens Essen zu verteilen. Hätten nicht freiwillige Helfer aus Nachbarregionen Brötchen und Wasser verteilt, es wären viele verhungert. Die Bundeswehr brauchte zehn Tage, um mit speziellen Fahrzeugen eine Metallbrücke über die Ahr zu legen (ein Akt von zwei Stunden), weil auch die überfordert war.
Die ganze Region ist bis heute traumatisiert. Und was macht die Regierung? Sie stellt Milliarden für den Wiederaufbau bereit, inklusive Schutzwälle entlang der Ahr. Doch wie viel wurde für die psychische Gesundheit der Überlebenden ausgegeben?
Wie verarbeiten Kinder es, wenn Wasserleichen an ihnen vorbeischwimmen oder die Eltern in den Fluten verschwinden? Wir reden hier „nur“ vom Ahrtal bzw. kleinen Gemeinden. Was, wenn es zu einer echten Naturkatastrophe kommt? Oder was, wenn Putin letztendlich doch durchdreht und Deutschland angreift? Hiervon gehe ich persönlich ohnehin aus.
Wenn Bund und Länder bei kleinen Katastrophen bereits überfordert sind, wie sieht es dann erst bei Megakrisen aus?
Zunächst werden wieder alle die Supermärkte stürmen, wie die Irren Klopapier und haltbare Lebensmittel kaufen, ohne Rücksicht auf andere. Es wird Chaos herrschen. Jeder will Bargeld abheben, doch es wird nicht genug vorhanden sein. Die Geschäfte werden in wenigen Stunden leer sein. Panik wird ausbrechen. Und dann hofft man, dass irgendeiner das Problem löst. Wozu gibt es schließlich eine Regierung? Tja, das haben die Menschen im Ahrtal auch gedacht.
Über die politische und finanzielle Lage der Nation sollen andere sich den Kopf zerbrechen. Ich mache mir Sorgen um die psychische Gesundheit der Massen, besonders die der Kinder. Deren Eltern werden angesichts eigener Ängste überfordert sein. Vielleicht reicht die Kraft gerade noch, um irgendwelche psychologischen Notdienste anzurufen, die Feuerwehr, das Krankenhaus, die Seelsorge etc. Doch da wird keiner mehr drangehen.
Die ohnehin schon stark angeschlagene geistig-seelische Gesundheit der Bevölkerung mutiert dann zu einem Megaproblem. Und weil Angst und Panik ansteckend sind, mehr noch als Covid, werden die Kleinsten unter uns am meisten leiden. Sie werden nicht mehr schlafen können, an Inkontinenz, Verdauungsbeschwerden und nervlichen Störungen aller Art leiden. Und natürlich an Hunger, der all das noch verschlimmert.
In einer solchen Situation sind psychologische Berater (immer m/w/d) mehr gefragt denn je. Eben weil das ganze System versagen wird.
Doch auch die brauchen einen Notfallplan. Denn in einer akuten Krise ist es schwierig, Betroffene in die eigene Praxis zu bitten für ein individuelles Gespräch. Hier muss man Hilfe zur Selbsthilfe anbieten. Doch wie?
Die effektivste und schnellste Methode zur Beruhigung der Nerven ist Berührung. Das weiß ich nicht erst seit meinem Ayurveda-Studium in Sri Lanka und Indien, sondern habe das in mehreren Dokumentarfilmen über die Tierwelt erfahren. Bricht Panik oder Trauer aus, umarmen Affen sich. In Zeiten von Not rücken auch Elefanten näher zusammen und berühren sich.
Da Berührung bei uns Mangelware ist (es gibt 50 % Singlehaushalte), muss man den Eltern klarmachen, dass sie der Rettungsanker ihrer Kinder sind und sie diese mehrmals täglich umarmen sollen. Außerdem treffen wir im Stresszustand falsche Entscheidungen. Körperkontakt ist da die beste Notfalltherapie – für jeden von uns.
Berührung zu Mutter Erde entsteht auch, indem wir uns ganz flach auf den Rücken legen, Arme am Körper entlang. In dieser Position haben wir maximalen Kontakt zum Boden, was uns sofort entspannt. In dieser Position sollten wir fünf bis zehn Minuten entspannt liegen bleiben und rhythmisch atmen.
Um Ruhe zu bewahren, helfen auch Atemübungen. Notfalls kann man diese mit dem Notleidenden am Telefon gemeinsam machen. Weisen Sie den anderen an, gleichmäßig und tief zu atmen, wobei die Betonung auf der Ausatmung liegt. Begleiten Sie ihn einige Minuten und raten Sie ihm dann, diese Übung noch einige Minuten alleine zu machen.
Wir alle wissen aus dem Erste-Hilfe-Kurs, dass Geschockte frieren. Darum muss die Alufolie ins Notfallköfferchen. Das Gleiche gilt für Angst und Panik: Die Körpertemperatur sinkt. Umgekehrt sorgt eine niedrige Körpertemperatur für eine Zunahme von Angst und Sorgen. Sagen Sie Notleidenden unbedingt, sie sollen sich warm anziehen und jede Art von Kälte meiden! (Das betrifft auch die Ernährung.)
„Kalt“ können auch Emotionen sein. Meiden Sie Menschen, die alles schwarzsehen und vom Weltuntergang sprechen oder dergleichen. Negative Energie ist in Notsituationen das Letzte, was wir gebrauchen können.
Wann haben wir einem Kind das letzte Mal eine Gutenachtgeschichte vorgelesen? Weisen Sie andere Eltern an! Da Handys evtl. nicht mehr funktionieren, nur nicht die alten Kinder- und Märchenbücher entsorgen.
Machen Sie Mut! Bleiben Sie ruhig am Telefon und im Gespräch, wenn Sie Hilfe anbieten. Nicht nur Angst, sondern auch Ruhe kann ansteckend sein.
Seien wir ein gutes Beispiel und lassen Sie uns das Ausleben, was uns das Universum in die Wiege gelegt hat: Unsere Berufung als psychologische Berater.
In Krisen wird Angst unser größter Feind sein. Setzen Sie Ihr gesamtes Wissen und Ihr wunderbares Potenzial ein, um sich und andere vor Angst zu schützen. Im Zustand von Stress oder Angst sind wir abgeschnitten von unserer inneren Stimme, von der göttlichen Eingebung, die wir doch gerade in Notsituationen dringend brauchen.
An manchen Situationen können wir eben leider nichts ändern. Doch wir können Ruhe bewahren und das Beste daraus machen. Und wir können alle zu Helfern und Helden werden.
Prof. h. c. Manfred Krames
Praxis für seelische Gesundheit, Trier, Lecturer/Author on holistic health
Autor von „Das Vata-Syndrom“
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