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Erste Hilfe nach belastenden Geburtserfahrungen

Zumindest 35 % der Frauen haben nach Studien partielle Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung nach der Geburt. Auch Männer sind betroffen. Doch erhalten sie spezifische Unterstützung? Meistens ist gefühlt keine Zeit für die notwendige Selbstfürsorge. Der Alltag mit dem Neugeborenen benötigt Zeit und Aufmerksamkeit. Doch möchten viele Menschen sich auch ungern mit vergangenen Belastungserfahrungen auseinandersetzen. Meist, weil sie das Gefühl haben, dass es sie nicht weiterbringt …

Doch inzwischen wissen wir, dass die Konfrontation das Mittel der Wahl ist, um traumatische Belastungen aufzulösen. Ebenso ist eine frühe Nachsorge nach potenziell traumatischen oder belastenden Ereignissen wesentlich, um die Behandlungsdauer zu minimieren. Eine frühe Nachsorge wirkt auch einer Chronifizierung von Symptomen und damit Folgeerkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, psychosomatischen Erkrankungen oder gar einer posttraumatischen Belastungsstörung entgegen.

Auch sagte letztens wieder eine Klientin: „Wenn ich das schon früher gemacht hätte, hätten wir vielleicht unsere Ehe retten können“. Eine effektive, frühe Nachsorge nach belastenden Ereignissen muss nicht langwierig sein.

Mit den PiN-Geburtsnachsorgegesprächen genügt in den meisten Fällen eine Sitzung von bis zu drei Stunden, bis die Mutter sagen kann „Es war zwar keine schöne Erfahrung, aber jetzt kann ich es stehen lassen“ oder „Jetzt kann ich mir sogar vorstellen, noch einmal schwanger zu werden. Die nächste Erfahrung kann ja ganz anders werden.“ Ich nenne solche Art Aussagen auch selbstgenerierte Erkenntnisse. Dazu zählt auch so etwas wie „Meine Narbe wird mich immer daran erinnern, mehr für mich einzustehen“ oder „Es war mir noch nicht so klar, dass mein Mann wirklich sein Bestes gegeben hat“.

Die personenbasierte Haltung mit dem gleichzeitigen Angebot einer Struktur, die dem inneren Chaos entgegenwirkt, trägt, denke ich, wesentlich zur Belastungsreduktion bei.

Eine erste Interventionsstudie zeigt einen starken Effekt auf die Reduzierung von Belastungssymptomen der posttraumatischen Belastungsstörung sowie der Wochenbettdepression. Ebenso gibt es einen starken Effekt in der Zunahme persönlicher Kraft nach dem Gespräch. Dennoch verstehen wir uns als niedrigschwellige Anlaufstelle und verweisen weiter, insofern weiterer Bedarf nach dem Gespräch besteht.

Die PiN-Nachsorgegespräche können über Kaiserschnitte, Saugglockengeburten, Zangengeburten, Frühgeburten, aber auch vaginale Geburten, Tot- oder Fehlgeburten geführt werden. Auch belastende Ereignisse in der Schwangerschaft oder dem Wochenbett können eine Rolle spielen.

Manchmal verstehen die Frauen erst im Gespräch, welche Aspekte sie am meisten beschäftigen und belasten. So sagte eine Frau am Ende des Gesprächs: „Ich dachte, es war der Kaiserschnitt, der so schrecklich war. Aber eigentlich hatte es angefangen, als der Arzt in den Kreißsaal kam, der Kaiserschnitt selbst war gar nicht so schlimm“.

Viele Frauen machen sich selbst Vorwürfe. Vorwürfe, nicht Nein gesagt zu haben oder es nicht selbst geschafft zu haben. Doch auch Schuldgefühle sind lösbar. Meist entsteht daraus ein neues Gefühl der Stärke. „Ich habe das geschafft.“ „Ich habe mein Bestes gegeben.“ „Ich habe so lange durchgehalten, ich kann stolz auf mich sein.“ „Ich habe das wirklich gut gemacht“.

Im Verlauf eines Gesprächs werden meist die belastenden Momente, die zu Tränen rühren oder Ärger aufkochen, losgelassen. Wenn dies geschieht, wird Platz für die positiven Erinnerungen. Plötzlich wird sich erinnert, wie das Baby auf der Brust lag, oder der erste Blickkontakt wird plötzlich angenehm präsent.

So gehe auch ich als Begleiterin oft beseelt und beglückt aus den Gesprächen, denn ich habe wieder einmal erleben dürfen, wie stark wir Frauen doch sind! Ich denke, das trifft durchaus auch für die Männer zu. Sehr viele Gespräche mit Männern hatte ich leider noch nicht, aber es ist sicher auch eine Zielgruppe der Zukunft.

Noch ein kurzes Fallbeispiel

Die letzten beiden Jahre haben es mit den Pandemiebedingungen für Gebärende und ihre Partner nicht einfacher gemacht. Viele Frauen mussten mit einer Maske die Wehen veratmen und hofften, ihren Partner – wenn überhaupt – lediglich für den Moment der Geburt an ihrer Seite zu haben.

So auch Laura, 34 Jahre (Name geändert). Die Wehen begannen zu Hause. Es war eine gute Zeit, gemeinsam mit ihrem Mann. Sie legte sich in die Badewanne, während ihr Partner die Abstände der Wehen notierte. Die Atmosphäre war schön. Sie wollten auf keinen Fall zu früh in die Klinik fahren, da sie wussten, dass ihr Mann bis zur Austrittsphase nicht auf die Station durfte. In der Klinik angekommen, gab es scheinbar einen Wehenstopp. Der Muttermund war kaum geöffnet. Sie sollte dennoch auf der Station bleiben. Fünf einsame Stunden quälten sie ab sofort. In ihrer Erinnerung kam die Hebamme höchstens für drei Minuten, wenn nach ihr geklingelt wurde, um nach dem Rechten zu sehen.

Sie fühlte sich einsam und vergessen – obwohl sie wusste, dass die Hebammen auf der Station gerade viel Arbeit hatten. Dann geschah etwas. Die Fruchtblase wurde geöffnet, es gab Wehenmittel, doch auch jetzt fehlte ihr Mann an ihrer Seite. Die Wehenschmerzen wurden unerträglich. Stunden des Schmerzes begannen.

Das Kind lag nicht richtig und kam nicht weiter. Es gab eine PDA, wodurch es für sie unmöglich wurde, sich zu bewegen. Das Kind drückte weiter auf ihr Steißbein. Es ging nichts voran. Der Kaiserschnitt wurde angesprochen. Sie sagte zu, hauptsächlich, weil sie wusste, dass dann endlich ihr Mann zu ihr kommen durfte. Ab diesem Zeitpunkt gab es keine Belastungsgefühle mehr.

Im Gespräch wurde Laura klar, welcher der schwierigste und welcher der schönste Zeitraum in ihrer Geburtserfahrung war. Sie konnte für sich selber mehr Klarheit gewinnen, dass eigentlich der belastendste Aspekt war, dass ihr Mann ihr gefehlt hat. Das war ihr zuvor nicht klar. Immerhin wusste sie ja, dass das auf sie zukommen würde.

So ist jedes PiN-Gespräch anders, weil die Erfahrungen, Persönlichkeiten und Lösungsansätze der Einzelnen ganz unterschiedlich sind.

Astrid Saragosa
Master Psychotraumatologie und Stressmanagement

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Fotos: ©Karin & Uwe Annas | adobe stock.com, ©Kitty | adobe stock.com