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Wer anderen traut, ist selber schuld ...

„Vertrauensstudie“ der Uni Bielefeld im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung: Junge Menschen verlieren den Glauben an Andere und die Zukunft.

Die Ergebnisse der Vertrauensstudie 2022 der Universität Bielefeld
„Angst vor der Zukunft? Jugendliche zwischen gesunder Skepsis und gefährlicher Verschwörungsneigung“
sind in ihrer Deutlichkeit sicher nicht nur für die Macher der Studie beunruhigend: Vor allem Jugendliche verlieren den Glauben an die Zukunft. Und auch Kinder sehen das Morgen negativer, als die meisten Erwachsenen vermuten würden.

Schon die große Mitgliederbefragung des VFP Ende 2020 (veröffentlicht in Freie Psychotherapie 04.20) hat gezeigt, dass sich die Coronapandemie und ihre „Nebenwirkungen“ stark auf Kinder und vor allem Jugendliche auswirken. Ging es bei der VFP-Befragung aber naturgemäß in erster Linie um die Frage, wie sich psychische Auffälligkeiten bei jungen Menschen im Zuge der Pandemie entwickelt haben, zielt die Studie der Uni Bielefeld (Leitung Professor Dr. Holger Ziegler) in eine andere Richtung:

Hier geht es um Vertrauen - Vertrauen in sich, in andere und Vertrauen in die Zukunft.

Auffällig ist zunächst ein eklatantes Misstrauen gegenüber anderen. „Andere“ meint dabei durchaus auch das persönliche Umfeld: Zwei Drittel der Befragten vertrauen anderen nicht. Tenor: „Wer sich auf andere verlässt, wird ausgenutzt.“ Man muss sich also, lautet die überwiegende Meinung junger Menschen, vor allem auf sich selbst verlassen.

Das ist allerdings sehr schwierig, wenn das eigene Selbstvertrauen dieser enormen Aufgabe nicht gewachsen ist: Ein Viertel der Jugendlichen verfügt, so die Studie, nur über ein geringes Selbstvertrauen. Von den jungen Menschen, auf die das zutrifft, hält sich knapp die Hälfte nach eigener Einschätzung für „nutzlos“.

Schlecht ist es auch um das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen bestellt.

Ein Drittel der befragten Jugendlichen unterstellt den klassischen Medien absichtliche Falschinformation beziehungsweise Meinungsmache. Wenig überraschend dabei: Je mehr Informationen aus den sozialen Medien bezogen werden, desto stärker wird die Tendenz, Zeitung, Radio, Fernsehen nicht zu vertrauen.

Doch auch der Bundesregierung traut nur rund die Hälfte der jungen Menschen über den Weg (die EU schneidet etwas besser ab). Vergleichsweise gute Werte erzielen Gerichte, die Polizei und die Wissenschaft: Sie halten immerhin noch drei Viertel der Jugendlichen für glaubwürdig.

Zwar sind Mädchen skeptischer als Jungen. Die Tendenz, Verschwörungstheorien zu folgen, ist allerdings bei Jungs stärker ausgeprägt. Psychologisch ist das nicht überraschend: Mädchen „dürfen“ ihrem Selbstbild nach eher „einfach nur“ misstrauisch sein, ohne gleich eine Lösung parat haben zu müssen. In der Denke der meisten Jungen braucht ein Problem zwingend und möglichst schnell eine Lösung. Die werden von Verschwörungstheorien geboten; zudem haben sie für ihre Anhänger den Reiz, eine Art „Exklusiv-Wissen“ vorzuhalten.

Ist das Vertrauen in sich selbst und die eigenen Zukunftschancen schon mau, sieht es beim Blick auf das große Ganze noch schlechter aus: Rund ein Drittel der befragten Jugendlichen malt ein düsteres Bild von der Zukunft der Gesellschaft. Sorgen bereitet jungen Menschen vor allem der Klimawandel (75 %), dicht gefolgt von der Zerstörung der Umwelt, Armut und der Angst vor Krieg. Alles andere als rosig wird aber auch die Zukunft der Arbeitswelt eingeschätzt: 64 % machen sich hier große Sorgen.

Zwar sind Jugendliche naturgemäß deutlich pessimistischer als Kinder. Doch auch bei den Jüngsten lässt das Urvertrauen spürbar nach. Nach ihren Erwartungen an die Zukunft gefragt, wirkt wie bei den Älteren die Möglichkeit eines Krieges bedrohlich, doch viele Kinder glauben an schwere Krankheiten in der Zukunft – das dürfte mit den Erfahrungen in der Coronapandemie zusammenhängen - und fürchten, in der Zukunft werde die Armut weiter zunehmen.

Bei der Suche nach den Ursachen dieses Vertrauensverlustes dürfte neben aktuellen Themen wie eben dem Ukraine-Krieg, der Pandemie oder den schon jetzt spürbaren Folgen der weiter steigenden Inflation auch eine zuletzt von Professor Dr. Dr. Wolfgang Schneider in diesem Magazin angeführte Entwicklung eine große Rolle spielen:

Viele junge Menschen erleben einen Mangel an allgemein akzeptierten Werten und Orientierungsgrößen, während gleichzeitig die von den sozialen Medien und der Gesellschaft als erstrebenswert vermittelten Ziele – beruflicher Erfolg, viel Geld, gutes Aussehen – immer öfter als individuell nicht erreichbar wahrgenommen werden. Bild und Wirklichkeit klaffen stark auseinander, ohne dass sich eine (erklärende) Instanz findet, die dieses Missverhältnis zurechtrückt.

Oft genug sind auch die Eltern mit der immer diversifizierteren Gesellschaftswirklichkeit überfordert und können damit dem Nachwuchs (zu) wenig Halt geben.

Dr. Werner Weishaupt
Heilpraktiker für Psychotherapie,
Dozent, Präsident des VFP

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