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Heilpraktiker für Psychotherapie dürfen Sachverständigen-Gutachten für Familiengerichte erstellen!

2015 01 Gutachten1

Gutachter, die für Familiengerichte tätig werden, sollten fundierte Kenntnisse in folgenden Bereichen haben

  • fotolia©goodluzEthik
  • Rechtsgrundlagen & wissenschaftliches Arbeiten
  • Anamnese & Diagnostik
  • Interventionsdiagnostik
  • Testverfahren & diagnostisches Klettern
  • Psychologie & Pädagogik
  • methodisches Vorgehen (Arbeiten mit einer Matrix)
  • Anwendung moderner Medien & technischer Hilfsmittel
  • Kommunikation & Interaktion
  • Umgang mit Krisen
  • Akquisition

Rechtliche Grundlage für Nichtpsychologen

Grundsätzlich dürfen auch Nichtpsychologen Gutachten erstellen, da Richter frei in ihrer Entscheidung sind, welchen Gutachter/ Sachverständigen sie wählen. In vielen (kritischen) Fällen können Pädagogen so gut wie Psychologen Gutachten erstellen, da pädagogische und soziale Aspekte zu beurteilen sind.

Psychologen und Nichtpsychologen erhalten das gleiche Honorar – 85 Euro pro Stunde. Fahrtzeiten werden selbstverständlich in voller Höhe erstattet. Für die Erstellung eines Gutachtens benötigen Sie 25 bis 80 Stunden. Ein Gutachten wird in der Regel mit 3 500 bis 7 000 Euro berechnet. Bereits während der Weiterbildung dürfen diese Berufsgruppen Gutachten akquirieren und abrechnen.

Gerichtliche Fragestellungen

In der Regel erwartet der Richter Stellungnahmen zu folgenden Bereichen

  • Ressourcen und Defizite der Eltern
  • Interaktionsmuster der Eltern/des Kindes
  • Entwicklungsstand/Wünsche des Kindes
  • Bindung der Kinder an die Eltern
  • Erziehungsstrategien der Eltern
  • Betrachtung der Ursachen und der Entwicklung des Konfliktes
  • Offenlegung der Beweggründe der am Prozess beteiligten Personen
  • Kindeswohlgefährdung
  • Empfehlungen, was dem Kindeswohl dient und wie es bestmöglich geschützt und gewahrt werden kann

Aus der Praxis – für die Praxis

Aus eigener beruflicher Erfahrung weiß ich, wie wichtig formale Kenntnisse und Selbsterfahrung sind. Stellen Sie sich vor: Fazit Ihres Gutachtens ist der Entzug des Sorgerechts aufgrund sexueller Gewalt. Der Kindeswohl-Gefährder (zum Täter wird dieser erst nach einer ordentlichen Verhandlung und dem Urteilsspruch) geht in Revision. Wenn das Gutachten dann formalen Ansprüchen nicht genügt, kann das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden – auch wenn die sexuelle Gewalt nachgewiesen wurde!

Im familienrechtlichen Kontext gelten andere Standards als im strafrechtlichen Kontext. Trotzdem ist es sinnvoll, die „strengeren“ strafrechtlichen Standards zu beachten. Stellen Sie sich nun vor: Fazit Ihres Gutachtens ist der Entzug des Sorgerechts aufgrund sexueller Gewalt. Der Kindeswohl-Gefährder soll nun strafrechtlich belangt werden. Wenn Sie dann nicht „sauber“ gearbeitet haben, können folgende Konsequenzen drohen:

Der Anwalt des Kindeswohl-Gefährders wird die Schwächen des Gutachtens nutzen, um einen Freispruch für seinen Klienten zu erwirken.

Im strafrechtlichen Kontext ist Ihr Gutachten nicht anerkannt. Deshalb wird ein psychologischer Gutachter beauftragt. Wenn Sie vorher nicht die Standards des strafrechtlichen Kontexts beachtet haben, dann kann der psychologische Gutachter aus diesem Grund die Erstellung eines weiteren Gutachtens ablehnen. Er wird diesen Schritt damit begründen, dass das Kind durch die Befragung beeinflusst sei. Auch in dem Fall könnte der Kindeswohl-Gefährder freigesprochen werden.

Um nicht durch Eltern oder einen Kindeswohl-Gefährder manipuliert zu werden, ist es wichtig, die eigenen Erwartungen und die tatsächliche Rolle miteinander abzugleichen und zu hinterfragen.

Zu den Basics des Sachverständigen gehört es auch, die Abläufe bei Gericht zu kennen. Schablonen können die Korrespondenz mit Gerichten erleichtern wie z. B. die Eingangsbestätigung der Gerichtsakte, die Erklärung zum Datenschutz, die Kontaktaufnahme mit dem Helfersystem und den Familien. Die Eltern sind nicht zur Kooperation verpflichtet. Darauf in der ersten schriftlichen Kontaktaufnahme hinzuweisen, das kann Vertrauen schaffen.

Rechtsgrundlagen & wissenschaftliches Arbeiten

Das Gutachten fußt auf den allgemeinen Kenntnissen des Rechtsgefüges: Sorge- und Umgangsrecht, Kindschaftsrecht. Wissenschaftliches Arbeiten ist ein weiterer Eckpfeiler der gutachterlichen Tätigkeit. Es ist mehr als die Fähigkeit, richtig zu zitieren. Es bestimmt die Herangehensweise, die der Erstellung des Gutachtens zugrunde liegt. Auch beeinflusst es maßgeblich die Hypothesenbildung und die Glaubwürdigkeit des Gutachtens. Ziel des Sachverständigen ist es, die Hypothesen im Verlauf des Gutachtens zu widerlegen. Andernfalls könnte er Gefahr laufen, nicht das wirkliche Geschehen aufzudecken, sondern lediglich seine Vermutung zu beweisen.

Anamnese, Diagnostik & Interventionsdiagnostik

Die Anamnese- und Diagnostikkenntnisse entscheiden u. a., welche Erkenntnisse im gutachterlichen Prozess gewonnen werden. Hilfreich ist es, die standarisierten Fragebögen nicht nur zu kennen, sondern sie auch selber ausprobiert zu haben.

Interventionsdiagnostik wird im gutachterlichen Prozess noch selten angewendet. Sie bietet jedoch die Möglichkeit, positive Veränderungen während der Erstellung des Gutachtens einzuleiten, ohne die Aufgabenstellung „aus den Augen“ zu verlieren. Die Interventionsdiagnostik bewertet, ob und inwieweit die Eltern in der Lage sind, z. B. pädagogische Hilfen anzunehmen und umzusetzen.

Testverfahren & diagnostisches Klettern

Einen ebenso wichtigen Stellenwert haben Testverfahren. Das „diagnostische Klettern“ ermöglicht Ihnen, mit einer interessanten Technik die Aufmerksamkeit der Kinder und der Erwachsenen zu wecken sowie Vorbehalte und Ängste zu mildern und Manipulationsversuche schneller zu erkennen. Auch hier ist es hilfreich, die standardisierten Fragebögen nicht nur zu kennen, sondern sie wirklich ausprobiert zu haben. Eon besonderes Augenmerk sollte auf die Auslegung der Testverfahren gelegt werden.

Bei projektiven Testverfahren kann das Testergebnis verfälscht werden, weil das Addieren der „Ja“-„Nein“- oder „Mama“- „Papa“-Antworten nicht ausreicht. Die Antworten sollten hinterfragt werden. So lautet z. B. eine Testfrage: Wenn der Fuchs kommt, wo laufen dann die fünf Küken hin, zur Mama oder zum Papa? Wenn das Kind antwortet, dass ein Küken zur Mama und vier zum Papa laufen, heißt das nicht zwingend, dass das Kind lieber zum Vater möchte. Es könnte sein, dass das Kind den Hahn für stärker hält und deshalb die Küken zum Hahn laufen lässt. Durch bunte Bilder und kleine Geschichten haben Kinder an projektiven Testverfahren oft Freude. Als Gesprächseinstieg haben sie sicher auch eine Berechtigung. „Richtig“ angewendet sind sie im gutachterlichen Prozess auch hilfreich.

Psychologie & Pädagogik

Um eine Empfehlung für den Richter aussprechen zu können, sind fundierte Kenntnisse in folgenden Bereichen notwendig

  • Entwicklungspsychologie, Parentifizierung, Umgang mit Grenzen, Folgen fehlender oder falsch gesetzter Grenzen
  • Auswirkung von Gewalt (psychische Gewalt, Verwahrlosung, körperliche und sexualisierte Gewalt), kindliches Zeit- und Raumempfinden, kindliches Erleben, Entstehung und Bedeutung von Willen, Loyalitätskonflikte, Bindungstheorien, PAS
  • psychische Erkrankungen bei Erwachsenen, wie z. B. Suchterkrankungen, Traumata, Angststörungen
  • psychische Erkrankungen bei Kindern, wie z. B. ADHS

Methodisches Vorgehen & Matrix

Während die Kenntnisse aus dem Bereich der Psychologie und der Pädagogik das Handwerkszeug liefern, um eine Gewichtung einzelner Erziehungskriterien (z. B. materielle Versorgung, Rituale, Grenzsetzung, Parentifizierung, Gewalt) vorzunehmen, helfen „methodische Kenntnisse“ den gutachterlichen Prozess, also das Gewinnen der Fakten, zu dokumentieren, die gewonnenen Daten auszuwerten und beides professionell darzustellen.

Das Erstellen von Genogrammen kann wichtige Anhaltspunkte liefern. Die von mir erstellte Matrix bietet dem Richter eine schnelle und professionelle Übersicht über die psychologischen und pädagogischen Entscheidungskriterien. Auch Verhaltenstherapeuten verwenden eine Matrix im therapeutischen Prozess.

Moderne Medien/technische Hilfsmittel

Moderne Medien können die gutachterliche Arbeit erleichtern. Ein vom Kind gemaltes Bild kann abfotografiert und dem Richter zur Verfügung gestellt werden.

Zudem sichern diese Hilfsmittel Ihre Arbeit ab. Das Diktiergerät hält auch versteckte Drohungen gegen ein Elternteil fest.

Akquisition

Viele Kollegen scheitern nicht am Fachwissen, sondern an der fehlenden Akquisition. Alles Wissen und alles Können helfen Ihnen und Ihren Klienten nicht, wenn Sie Ihre fachliche Kompetenz nicht darstellen können.

Für einen Gutachter, der sich etablieren möchte, ist es wichtig, dass er eine gute Akquisitionsmappe erstellt und die telefonische Akquisition übt.

Ute Herrmann Ute Herrmann
Dipl.-Sozialpädagogin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Sachverständige

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