Grundlagen systemischer Familienaufstellung in schamanischer Tradition
Im Artikel stehen die verdeckte schamanische Aufstellungsarbeit (SchA) und ihre Möglichkeiten im Vordergrund sowie deren Unterschiede zur klassischen Familienaufstellung.
Klassische Systemische Familienaufstellung (KF)
Zu Beginn einige Informationen zu Bert Hellinger, der mit seinen Forschungen über die Auswirkungen von unguten Mustern und Dynamiken in der Familienstruktur Pionierarbeit in der Psychotherapie leistete. Bert Hellinger ist Begründer der Systemischen Familienaufstellung. Er begann 1978 mit seiner Forschung über das Stellvertreter-Phänomen und entdeckte dabei die Grundordnungen des Lebens, die er „Ordnungen der Liebe“ nannte. Diese Forschungen bildeten die Basis der KF. Literatur findet man z. B. über die Hellinger Schule. (Quelle: Hellinger Schule – Hellinger sciencia GmbH & Co. KG)
Nach seinem Afrika-Aufenthalt als Missionar entwickelte er aus seinen Weiterbildungen, Erfahrungen und Erkenntnissen heraus die klassische Systemische Familienaufstellung. Sie wurde zu einer (nicht) ganz neuen Methode in der Psychotherapie. Einmal sagte er: „Das Familienstellen gab es schon vor mir, ich bin ihr nur begegnet“. Bert Hellinger war jedoch bahnbrechender Begründer der KF.
Im Laufe der Zeit wurde sie immer weiterentwickelt und mittlerweile gibt es unzählige Varianten. Sie sind weltweit bekannt, doch es würde hier den Rahmen sprengen, sie hier alle einzeln zu erläutern.
Bert Hellinger selbst entwickelte zusammen mit seiner Frau Sophie, Leiterin der heutigen Hellinger Schule, seine ursprüngliche Aufstellungsarbeit immer weiter. Sie nahmen die Seelenebene mit hinein und später die geistige Ebene bis hin zur geistigen spirituellen Ebene, deren Methodik immer mehr der ursprünglichen, schamanischen Heilarbeit ähnelt. Es ist interessant zu beobachten, wie sich im Laufe der Zeit Ansätze aus dem Schamanischen und dem Psychotherapeutischen verbinden und weiterentwickeln.
Schamanische Aufstellungsarbeit (SchA) – verdeckt
Bei allen indigenen Völkern gab und gibt es die „Aufstellungsarbeit“ in Verbindung mit den Spirits. Wobei es den Begriff der „Systemischen Aufstellung“ nicht gibt. Die Medizinarbeit ist eine Heilzeremonie. Sie beginnt mit einer Anrufung der Spirits, geht weiter mit der Durchführung der Heilarbeit und endet mit dem Dank.
Um zu begreifen, wie schamanische Heilarbeit funktioniert, muss man Folgendes verstehen:
Die Schöpfungsgeschichte der indigenen Völker (sie ähneln sich alle) besagt, dass eine weibliche Urenergie die männliche Energie aus sich heraus gebärt. Diese beiden Energien vereinen sich und es entstehen die Erde und die Sonne. Beide vereinen sich und es entstehen als Erstes die Pflanzen, als Zweites die Tiere und als Drittes die Menschen. Die Steine sind in dieser Anschauung die Urgroßmütter und Urgroßväter. Aus all dem heraus, was sich alles immer weiter teilt und was die einzelnen Wesen mitbringen, setzt sich das Medizinrad zusammen. In ihm ist alles vorhanden und zwar in ständiger harmonischer Bewegung zueinander. In diesem Medizinrad ist alles vorhanden, was wir zum Heilsein brauchen.
Grundsätzlich hat alles seine Ordnung. Bei den Lakota nennt man sie Wakan Nasi – die große Ordnung. Diese spiegelt uns die Natur in ihrer Vollkommenheit. Gesund sein bedeutet, dass alles in Harmonie miteinander schwingt. Auf allen Ebenen – körperlich, geistig und seelisch. Wird diese Harmonie gestört, fällt man aus dem natürlichen Gleichgewicht und es beginnt Disharmonie, erst auf einer, dann auf allen Ebenen. Diese führt zu Unausgeglichenheit, Gereiztheit, unguten Verhaltensmustern, Glaubenssätzen, Schwäche – bis hin zu manifesten Krankheiten.
Traumatische Erlebnisse, Geburtsthemen, Unfälle und so weiter können solche Ursachen sein. Ebenso können die Ursachen im Ahnensystem oder in früheren Leben (Karma) liegen.
Ursprünglich reist der Schamane für den Patienten mithilfe seiner Verbündeten und bekommt von ihnen Anweisungen, was zu tun ist, und führt danach die Heilung durch. Der Schamane ist nur das Medium, die Brücke zwischen dem Patienten (immer m/w/d) und den Spirits. Dazu ruft er die Spirits an und lädt sie ein. Es bildet sich ein Energiefeld, das Medizinrad. Darin findet er Schutz und ist mit allem verbunden. Die schamanische Aufstellungsarbeit findet im oder mithilfe des Medizinrades statt. Der Schamane gibt in der SchA nicht selbst den Input, sondern er dient als Medium für die Spirits.
Ein Wort zu den Spirits. Schamanen gehen davon aus, dass alles auf dieser Erde beseelt ist. Das bedeutet, das alles einen Spirit hat. Spirits sind die feinstoffliche Form der Wesenheiten in der Anderswelt. Schamanen rufen diese Spirits an und bitten um Unterstützung oder Heilung. Solche Spirits können zum Beispiel Tierwesen, Pflanzengeister oder Engel sein.
Grundsätzlich braucht der Schamane keine Stellvertreter, allenfalls Assistenten. Stellvertreter sind eine Entwicklung der Heilarbeit im modernen Schamanismus. Durch sie bekommt der Leiter Infos, sie lassen Dynamiken im System sichtbar werden und die Lösungen stellen sich durch die Stellvertreter als Kanal von selbst ein. Die Teilnehmer lernen, wie Dynamiken entstehen und wie sich alte eingefahrene Muster wieder lösen lassen. Gleichzeitig wirkt sich die Teilnahme an einer systemischen Aufstellungsarbeit reinigend und heilend auf alle aus. Dies ist einer der wichtigsten Gründe, warum die Heilzeremonie im Kreis durchgeführt wird. Die heilende Bewegung wirkt sich auf alle Teilnehmer aus und über den Kreis hinaus in die Familien bis ins Kollektiv.
Beim verdeckten Aufstellen wissen weder die Stellvertreter noch der Kreis, um was es geht.
Die Stellvertreter werden vom Leiter ausgesucht. Sie wissen weder für wen oder was sie stehen, noch kennen sie die Thematik. Dadurch sind sie darauf angewiesen, sich voll und ganz auf das zu konzentrieren, was sie wahrnehmen. Ohne den Filter des eigenen Verstandes. Sie lassen sich ganz auf das Energiefeld, die Dynamik der Aufstellung und das Wirken der Spirits ein. Auf diese Weise stellen sie sich, wie der Schamane selbst, in den Dienst der Spirits. Lösungen, Heilung und Veränderungen geschehen durch sie wie von selbst.
Um den „Verstand“ des Patienten auszutricksen, steht der Patient nicht selbst in der Aufstellung. Auch für ihn gibt es einen Stellvertreter. Ob er zum Schluss in die Aufstellung kommt, ergibt sich aus der Dynamik.
Es ist ja bekannt, dass Gedanken sich verselbstständigen und Einfluss haben, ja sogar manipulieren können. Durch die Tatsache, dass beim verdeckten Stellen die Menschen außen im Kreis auch nichts wissen, können sie mit ihren Gedanken keinen Einfluss nehmen.
Im Idealfall löst sich die Blockade im Energiefeld der Aufstellung von alleine. Das Leben selbst ist von Natur bestrebt, gesund und heil zu sein und das in Schönheit. Alles, was es dazu braucht, ist im Medizinrad vorhanden.
Allerdings kommt es schon mal vor, dass es in der Aufstellung stockt und nichts mehr vorwärtsgeht. In der Regel ist das der Fall, wenn der Aufsteller selbst blockiert ist. Mögliche Ursachen sind Angst, mangelndes Vertrauen, Projektionen, nicht loslassen können usw.
Der schamanische Leiter hat in diesen Fällen seine Helfer. Das können Kräuter, Pflanzen, Harze sein, die er in der Aufstellung verräuchert. Oder Krafttiere, die er zur Unterstützung ruft. Weitere Werkzeuge sind spezielle eigene Medizin, Medizingesänge, Rassel und Trommel. Ein klärendes, wohlwollendes oder beruhigendes Gespräch mit dem Aufsteller selbst führt u. U. zur Bewusstwerdung und kann weiterhelfen. In manchen Fällen reicht die eigene Dynamik im Medizinrad nicht aus. Sollte es notwendig sein, wird direkt in der Aufstellung durch den Schamanen eine schamanische Heilzeremonie durchgeführt.
Aufstellungen früherer Leben
Die Ältesten sagen: Das schamanische Verständnis, dass die Seele eine fortlaufende Reise durch verschiedene Inkarnationen macht, erklärt, dass Ursachen für Disharmonien durchaus über mehrere Lebenszyklen hinweg reichen und wirken können. Sie gehen davon aus, dass sich schwierige Themen über viele Lebenszyklen erstrecken, bevor sie sich lösen lassen. Dazu zählen z. B. medizinisch nicht erklärbare Fälle, Behinderungen oder chronische Erkrankungen. In der SchA wird im Energiefeld relativ schnell klar, ob es sich um ein Thema aus der Vergangenheit dreht. Im schamanischen Verständnis gibt es keinen Raum und keine Zeit. Dies ermöglicht es, im Energiefeld der Vergangenheit Themen zu erkennen und zu bearbeiten.
Hierbei geht es nicht darum, das traumatische Erlebnis ungeschehen zu machen. Was geschehen ist, kann und soll nicht verändert werden. Das ist definitiv nicht der Sinn und Zweck. Im Gegenteil, es würde uns wertvolle Erfahrungen rauben. Aber wir können und dürfen die Schock-Energie, in der wir nach einem traumatischen Erlebnis feststecken, lösen. Dies kann Blockaden, die bis in das jetzige Leben wirken, auflösen und helfen, Frieden und Versöhnung in das damalige und heutige System zu bringen. Gleichzeitig wirkt es in zukünftige Leben hinein.
Ahnen-Aufstellungen
Auch das Erbe unserer Ahnen wirkt sich auf unser Energiesystem und dadurch ganz konkret auf uns selbst aus. Es sind nicht nur negative, sondern auch positive Aspekte, die uns durch die Ahnenlinie weitergegeben werden.
Negative Einflüsse werden in der SchA beleuchtet und dürfen in Lösung gehen. Das wirkt sich nicht nur auf uns und unser Leben aus, sondern auch in der Ahnenreihe selbst, rückwärts (Großeltern, Urgroßeltern …) und vorwärts (Kinder, Enkel, Urenkel …).
Positive Einflüsse zu finden ist in der SchA ebenfalls möglich. Dieses Ahnenglück, wie es oft genannt wird, stärkt uns und wirkt sich positiv und nährend auf unser Leben aus. Es sind die Geschenke unserer Ahnen an uns. Das, was sie erarbeitet, geleistet und erfahren haben. Es können auch Fähigkeiten, Wissen, ihr Segen, gute Wünsche und Weisheit sein. In der SchA können wir diese positiven Energien und Kräfte unserer Ahnen entdecken, annehmen und integrieren.
Es ist überhaupt nicht relevant, ob wir das Schicksal oder Geschichten unserer Ahnen und Ahninnen kennen oder nicht. Im Feld des Medizinrades wirkt die Dynamik des Erlebten unserer Vorfahren. Denn wir sind jederzeit mit allem verbunden. Es ist unser Erbe. Die Schamanen sagen, alles reicht und wirkt bis in die 7. Generation hinein.
Die vier Schilde
Im Schamanismus kennt man die Kraft der Schilde, die jeder um sich herumträgt. Die wichtigsten sind die vier Hauptschilde, die sich auf der horizontalen Ebene im Kreis um uns herum befinden. Von sich aus betrachtet ist rechts von uns das Schild des inneren Heilers. Links ist das Schild des spirituellen Kindes. Wenn wir noch Kind sind, ist vor uns das Schild des inneren Kindes und hinter uns das Schild des Erwachsenen.
Wenn wir erwachsen, werden dreht sich das Innere-Kind-Schild in der Regel nach hinten und das Erwachsenen-Schild nach vorne. Dies geschieht bei den indigenen Völkern durch Übergangsrituale, wodurch sich die Schilde fest verankern. Ist man erwachsen, schaut man nicht mehr durch „die Brille“ des Kindes, sondern durch „die Augen“ der Erwachsenenkraft.
Bei uns im Westen sind diese Rituale leider in Vergessenheit geraten. Diese Übergangsrituale sowie die Verankerung der Schilde sind jederzeit, auch nachträglich, z. B. in einer SchA im Medizinrad durchführbar. Eine Indikation für eine Aufstellungsarbeit der Schilde kann sein, dass ein Patient öfter aus dem Kind heraus reagiert. Um den Unterschied (Kinderbrille – Erwachsenen-Blickwinkel) einmal ganz klar zu erspüren, steht der Aufsteller hier selbst in der Stellung.
Grenzen der schamanischen Aufstellungsarbeit
Für psychisch sehr labile Patienten ist die schamanische Heilzeremonie nicht geeignet. Die heutigen Schamanen und Lehrer sprechen davon, dass es wichtig ist, das Erlebte zu integrieren und umzusetzen. Dazu braucht es psychische Stabilität, die Fähigkeit, die tonale (materielle) und naguale (spirituelle) Welt getrennt zu erfassen, sowie ein gesundes, soziales Umfeld. Ist dies nicht gegeben, ist eine KF oder Psychotherapie vorzuziehen.
Schamanische Aufstellung gegenüber klassischer Aufstellung
In unserer 23-jährigen Forschungsarbeit stießen wir anfangs auf die Grenzen der KF und erfuhren in der SchA, die Ursachen nicht nach einem festen System, sondern individuell und direkt an der Wurzel zu lösen. Nicht selten stellte sich heraus, dass der Grund für die Disharmonie ganz woanders zu finden war, als man „dachte“. Dazu ist es notwendig, dass sich der Leiter der Aufstellung vollkommen freimachen kann von Vorstellungen oder einer eigenen Meinung, was „hinter dem Problem stecken“ könnte. Ein schamanisch Praktizierender weiß, dass er nichts weiß, und gibt sich ganz in den Dienst des großen Ganzen. Um diese anspruchsvolle Arbeit leisten zu können, bedarf es einer langjährigen schamanischen Lern- und Erfahrungszeit. Die Grundprinzipien schamanischer Arbeitsweisen sowie der fortgeschrittene eigene Heilungsweg sind Voraussetzungen für diesen herzvollen Weg.
Der wohl größte Unterschied zur KF besteht im Leiter selbst. In seiner Beziehung zu den Spirits, seinen Verbündeten, seiner eigenen Medizin, die er in sich trägt und die nach außen wirkt, in seiner inneren Haltung und dass er als Schamane ein Reisender zwischen den Welten ist. Vor allem in seiner bewussten Anbindung an das große Ganze. Seine innere Haltung ist voller Respekt, Achtsamkeit und Demut gegenüber dem Leben und allem, was ist. Er weiß, dass nicht er selbst der Heiler ist, sondern die Weisheit des großen Ganzen. „Zum Wohle aller meiner Verwandten.“ Ahow.
Maria Latussek Heilpraktikerin für Psychotherapie, Praxis für Psychotherapie und Schamanismus in Effeldorf