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Unser Selbstbild

Auf meinem Weg mit der (Alkohol-)Sucht konnte ich über die Jahre in Hunderten Meetings bei den AA (Anonymen Alkoholikern) und anderen beobachten und viel lernen, vor allem auch über mich selbst.
Das setzte sich in meiner Aus- und Weiterbildung sowie in meiner praktischen Therapietätigkeit fort. Vor einiger Zeit kam ich auf den Gedanken, dass die meisten Menschen mit der Sucht und
psychischen Störungen – so wie auch ich – Probleme mit ihrem Selbstbild haben oder hatten!

Ich begriff, dass im Grunde das elementare Ziel einer therapeutischen Arbeit sein muss – und tatsächlich auch ist – das Selbstbild der Klienten (immer m/w/d) zu verbessern und vom negativen in ein möglichst positives Bild zu transformieren.

Aber – worum geht es eigentlich?

In den Tiefen der menschlichen Psyche ruht ein komplexes Gebilde, das als Selbstbild bekannt ist und das mit der Art und Weise, wie wir uns selbst wahrnehmen, annehmen und lieben (oder eben auch nicht), tief verwurzelt ist. Dieses Selbstbild ist so etwas wie ein Gemälde, das wir von uns in den Farben unserer Gedanken, Überzeugungen, Emotionen und Erfahrungen malen. Die Konturen dieses Bildes werden durch unsere Selbstwahrnehmung gezeichnet, die Tönung und Schattierung durch die Selbstakzeptanz hinzugefügt, die Tiefe und Dimension durch das Selbstbewusstsein geformt, während die Selbstfürsorge und Selbstliebe den Rahmen liefern, in dem das Ganze zur Geltung kommt. Die Vollendung findet dieses Kunstwerk in der Selbstbestimmung, die es uns vielleicht ermöglicht, das Bild nach unseren eigenen Vorstellungen zu gestalten.


Selbstwahrnehmung ist die Grundlage unseres Selbstbildes. Es ist der Prozess, durch den wir uns unserer eigenen Persönlichkeit, unseres Körpers, unserer Vorlieben, Wünsche und Fähigkeiten bewusst werden. Diese Wahrnehmung ist ein Spiegel, der nicht immer die Realität reflektiert, sondern oft verzerrt ist durch die Linsen unserer Ängste, Hoffnungen und der sozialen Rückmeldung, die wir erhalten.

Das beginnt ja für fast alle von uns in der Kindheit, in der wir die Erfahrung machen, nicht gut genug, nicht „vollständig“ zu sein („nein, das kannst du nicht“; „nein – dazu bist du noch zu klein“ usw.). Die Psychologie versteht diese Wahrnehmung als eine fundamentale Basis, auf der alle anderen Aspekte unseres Selbst aufbauen. Denn nur, wer sich selbst erkennt, kann auch zu einer Akzeptanz seines Selbst gelangen.

Aber die negativen Botschaften unserer frühesten Kindheit sitzen fest in unserem Unbewussten, das ja ungefähr 80 % dessen ausmacht, was wir sind als Mensch und als Wesen! Nur 20 % unseres Seins können wir über unseren Verstand, unser Bewusstsein wahrnehmen und steuern. Und aus eben diesem Unbewussten bekommen wir unsere Handlungs- und Denkimpulse!

Selbstakzeptanz folgt auf dem Fuße der Selbstwahrnehmung

Es ist der Prozess des Annehmens, des Friedenschließens mit den eigenen Unvollkommenheiten und Grenzen. Diese Akzeptanz ist ein stilles Einverständnis mit dem eigenen Wesen, das nicht selten im Konflikt mit den Idealbildern steht, die uns durch die Gesellschaft auferlegt werden. Es erfordert eine gewisse Reife und Einsicht, um die eigenen Schwächen nicht als Defizite, sondern als Teil eines einzigartigen Charakters zu begreifen.

Hier offenbart sich oft ein Paradoxon: Je mehr wir uns annehmen, wie wir sind, desto offener stehen wir Veränderungen gegenüber. Und genau hier liegt ja der Ansatz jeder Therapie – über den Mut zur Selbstakzeptanz die Angst zu verlieren, nicht lieb gehabt zu werden, weil wir angeblich nicht gut genug sind.

Das Selbstbewusstsein, das in enger Verbindung mit der Selbstwahrnehmung und der Selbstakzeptanz steht, ist die gefestigte Erkenntnis der eigenen Person. Es ist nicht zu verwechseln mit Selbstüberschätzung oder Arroganz; vielmehr ist es die klare, unerschütterliche Anerkennung der eigenen Fähigkeiten und Grenzen. Dieses Bewusstsein versetzt uns in die Lage, Entscheidungen zu treffen, die unseren wahren Neigungen und Bedürfnissen entsprechen. In der Tiefe des Selbstbewusstseins findet sich oft ein ruhiger See der inneren Stärke, aus dem wir in Zeiten der Unsicherheit schöpfen können.


Selbstfürsorge ist der nächste essenzielle Pinselstrich im Porträt des Selbstbildes. Sie ist die Praxis, für die eigene Gesundheit – sowohl physisch als auch psychisch – zu sorgen. In der modernen, hektischen Welt wird diese Praxis oft als Luxus gesehen, doch in Wahrheit ist sie eine Notwendigkeit.

Selbstfürsorge kann vielfältig sein: Sie reicht von der Ernährung über die Bewegung bis hin zur Meditation. Sie ist die körperliche Manifestation der Selbstliebe und zeigt sich in der Sorgfalt, mit der wir unseren Körper und unseren Geist behandeln. Genau das ist ja ebenfalls ein immer wiederkehrender Gedanke bei AA – der oft genannte „gesunde Egoismus“! Also die Erkenntnis, dass wir zuerst für uns selbst sorgen, damit es uns gut geht – damit es dann auch den anderen gut geht!

Die gesellschaftliche Mainstream-Moral sagt das Gegenteil: immer und zuerst um die anderen kümmern, dann sind wir „gut“! Also: Helfersyndrom/Selbstaufgabe wird belohnt! Aber das Helfersyndrom ist der Einstieg zu zwangsläufig sich entwickelnden Depressionen: neudeutsch Burnout!
Selbstliebe ist das emotionale Gegenstück zur Selbstfürsorge und ist vielleicht der komplexeste Aspekt im Gefüge des Selbstbildes. Es geht hier nicht um narzisstische Selbstverehrung, sondern um eine tiefe Zuneigung und Wertschätzung für sich selbst. Selbstliebe bedeutet, sich selbst als würdig zu erachten – würdig des Glücks, der Liebe und des Erfolgs. Sie ist das Band, das alle anderen Aspekte des Selbst zusammenhält, denn ohne eine grundlegende Liebe zu sich selbst ist es schwierig, sich wahrzunehmen, zu akzeptieren, sich selbst zu erkennen und für sich zu sorgen.

Die Selbstbestimmung schließlich ist die Krönung des Selbstbildes. Sie ist die Fähigkeit, das eigene Leben nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten, unabhängig von den Erwartungen und Einschränkungen, die andere an uns herantragen. Selbstbestimmung ist die Macht, die wir haben, um unser Selbstbild nach unseren eigenen Wünschen zu malen und nicht nach einem vorgefertigten Bild, das uns von außen aufgedrängt wird. In der Selbstbestimmung finden wir die Freiheit, uns zu entfalten und unser volles Potenzial auszuschöpfen.

Was dabei schwerfällt, ist der Preis der Selbstbestimmung! Denn der heißt Selbstverantwortung!

Am Anfang hörte ich im Meeting die Freunde sagen, dass es meine Entscheidung sei, ob ich das erste Glas trinke oder stehen lasse. Aber ich wollte das nicht! Ich zog mich zurück in die Opferecke, wollte nicht die Verantwortung für mich und mein Leben. Genau das hatte ich aber zu lernen unter Schmerzen und Tränen, wenn ich leben wollte.

Die Reise zum Selbstbild ist ein lebenslanger Prozess, der Reflexion und Introspektion erfordert. Die Psychologie hat uns viele Werkzeuge an die Hand gegeben, um die verschiedenen Aspekte des Selbst zu verstehen und zu entwickeln. Doch es liegt an jedem Einzelnen von uns, diese Werkzeuge zu nutzen, um das eigene Selbstbild zu formen und zu verfeinern.

Im Prozess der ständigen Selbstentwicklung liegt wohl die wahre Kunst des Lebens.

Michael Looks Psychologischer Berater, „Der Zuhörer“, Heilpraktiker für Psychotherapie
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