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Selbstfürsorge...der Rettungsanker unserer schnelllebigen Zeit

Andrea, 33 Jahre, Mutter, Hausfrau, vom Kindsvater getrennt lebend, berufstätig, sporttreibend, sozial eingebunden, kommt im tadellosen Erscheinungsbild, freundlich lächelnd, in meine Praxis. Ihr Anliegen: Sie sei so nah am Wasser gebaut, nicht mehr so fröhlich wie früher und irgendwie sei ihr alles zu viel, sie sei schlicht überfordert.

Ihr innerer Antreiber lautet: „Sei perfekt!“ Sie knabbert an der selbst gewollten Trennung vom Kindsvater, da sie es nicht geschafft habe, eine heile Familie zu bleiben. Sie führt einen tadellosen Haushalt, ist eine liebevolle Mutter von zwei Kindern im Alter von zwei und vier Jahren, arbeitet 80 % und ist im Beruf angesehen und erfolgreich. Ihr sei es wichtig, gut auszusehen und schlank zu sein, und sie leidet unter den Spuren der Schwangerschaften. Sie ist ein fürsorglicher Mensch mit hohen Ansprüchen und ist außerdem gerne Gastgeberin für ihre Freunde (immer m/w/d). Ihre Kollegen und Freunde würden sie manchmal „Mama“ nennen, da sie sich um alles kümmere.

Von außen betrachtet kann man nur den Hut ziehen, bei dem, was und wie Andrea alles stemmt.

Sie selbst bleibt jedoch auf der Strecke und kann das Leben nicht richtig genießen. Sie berichtet auch, dass ihre Zündschnur in Bezug auf die Kinder wesentlich kürzer geworden sei und sie nicht so geduldig sein könne, wie sie es gerne wäre. Es müsse sich unbedingt etwas verändern.

Ein klarer Fall für mehr Selbstfürsorge!
Doch was braucht es, damit Andrea mehr auf sich achtet, Zeiträume für sich einräumt, manches liegen lässt und auch nicht gleich springt, wenn irgendjemand etwas braucht? Wie kommt Andrea zur Haltung, dass an manchen Stellen auch mal fünfe gerade sein dürfen? Oder dass es manchmal reicht, sich um das wesentlich Wichtige zu kümmern.


Was ist wesentlich für Andrea?

„Das Hamsterrad des Alltags“ ist vielen Menschen ein Begriff und stellt für viele in ganz unterschiedlichen Rollen eine zunehmende Stressbelastung dar.

Als Belastungsfaktoren werden z. B. beruflicher Stress, die Doppelbelastung durch Familie und Beruf, Termindruck, Erziehungsprobleme, Umgang mit Konflikten, aber auch die eigenen hohen Ansprüche und unerfüllten Bedürfnisse und Werte gezählt. Man dreht eifrig seine Runden, erfüllt seine Pflichten, erfüllt die Bedürfnisse der Liebsten, übersteht den Konkurrenzkampf und die Hektik im Berufsleben und gibt alles, um die Anforderungen richtig und gut zu erledigen. Dabei sehen wir auch noch gut aus und sind freundlich, denn die anderen sollen einen ja auch noch mögen.

Da muss nicht lange überlegt werden, um zu erkennen, dass dieses Hamsterrad Stress bedeutet.

Es wird deutlich, dass eine Veränderung bzw. ein Umdenken notwendig wird, wenn wir unsere Gesundheit erhalten bzw. wiederherstellen wollen.

Um den Lauf dieses Rades anzuhalten, kommt die Selbstfürsorge ins Spiel. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil zur Stressbewältigung und Gesundheitsvorsorge.
„Selbstfürsorge heißt, sich selbst liebevoll und wertschätzend zu begegnen, das eigene Befinden und die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und aktiv zum eigenen Wohlbefinden beizutragen.“ Dahl und Dlugosch, 2020

Die Selbstfürsorge beinhaltet folglich zwei wesentliche Aspekte
– Einerseits eine bestimmte Haltung sich selbst gegenüber, die von Achtsamkeit, Freundlichkeit und Wertschätzung geprägt ist.
– Andererseits das konkrete Handeln, das darauf ausgerichtet ist, aktiv einen Beitrag zum eigenen Wohlbefinden zu leisten.

Das wiederum bedeutet die Bereitschaft, innezuhalten, sich ganzheitlich auf verschiedenen Ebenen wahrzunehmen, mit sich im Kontakt zu sein, konsequent für sich und die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse zu sorgen und für das eigene Erleben Verantwortung zu übernehmen.


Da wir Menschen immer ganzheitlich auf unsere Umwelt und den Alltag reagieren, müssen verschiedene Ebenen in Bezug auf die Selbstfürsorge betrachtet werden.
Körperlich: grundlegende Bedürfnisse, wie Essen, Trinken, Schlaf, Bewegung berücksichtigen.
Emotional: die eigenen Gefühle wahrnehmen, Zeit für sich reservieren, bewusst genießen.
Kognitiv: die eigenen Gedanken, Glaubenssätze, Haltungen bewusst machen und reflektieren.
Sozial: fördernde soziale Kontakte aufbauen und pflegen.
Werteorientiert: die eigenen Werte leben – Akzeptanz, Dankbarkeit, Bescheidenheit, Zuversicht usw.

Andere Formen: Entspannungsverfahren, Pausen einplanen, Hobbys nachgehen, kreativ sein, humorvoll sein etc.

Stellen Sie sich Folgendes vor!

Wir wollen eine lange Wegstrecke zurücklegen, vielleicht einen höher gelegenen Berggipfel erwandern. Wenn uns das gelingen soll, gilt es, die eigenen Kräfte gut einzuteilen, immer wieder Stopps zur Energiegewinnung einzulegen und für stärkende Brotzeiten zu sorgen. Wir brauchen auch vorneweg eine gesunde Selbsteinschätzung, was wir zu leisten vermögen und wo unsere persönlichen Grenzen liegen. Das gleiche Vorgehen lässt sich auf unseren Alltag, unsere Lebensführung übertragen. Selbstfürsorge sollte hierbei ein wichtiger Bestandteil sein, um langfristig die eigene Balance und damit Gesundheit und Lebensfreude im Blick zu behalten.

Angenommen, wir nehmen uns hin und wieder einen Tag frei: Reicht das? Nein, das reicht nicht. Entscheidend ist, in welcher Haltung wir diesen freien Tag verbringen und was wir konkret daraus machen. Die erholsame Wirkung eines freien Tages kann sich erst in Verbindung mit einer selbstfürsorglichen Grundhaltung, z. B. sich auch mal etwas zu gönnen und die freie Zeit zu genießen, voll entfalten.

Wie oft finden wir uns im Multitasking wieder oder dass wir eine freie Zeitlücke sinnvoll mit Haushalt, Einkaufen oder ähnlich Vernünftigem nutzen wollen? Wir reden uns ein, wenn dies oder jenes erledigt ist, geht es uns nachher auch besser, also verzichten wir jetzt lieber auf den Sport, einen schönen Ausflug oder auf ein Treffen mit Freunden. Es liegt auf der Hand, dass diese Haltung auf Dauer unglücklich macht und die Gemütslage vermutlich ins Ungleichgewicht führt.

Wie die Selbstfürsorge im Einzelnen gestaltet wird, ist dabei so individuell unterschiedlich wie die jeweiligen Menschen und Lebenssituationen. Hier gilt es, einen eigenen für sich stimmigen Weg zu finden. Grundlegend braucht es jedoch das konkrete Einplanen von frei verfügbaren Zeiträumen.

Selbstfürsorge kann auch bedeuten, die eigenen Grenzen mehr zu berücksichtigen und gegebenenfalls aktiv um Hilfe zu bitten, lernen „Nein“ zu sagen, Aufgaben zu delegieren, bewusst zu entscheiden, im Moment aus guten Gründen nichts ändern zu wollen, sich weiterzubilden etc.

Wie heißt es so schön? Wenn jeder für sich sorgt, ist schlussendlich für alle gesorgt!

Da ist etwas dran. Jedoch ist das Leben komplexer als das. Es braucht eine individuelle Navigation durch die alltäglichen Anforderungen, Herausforderungen, Aufgaben, Belastungen und Stressoren, um dabei auch noch sich selbst gut im Blick behalten zu können.

Eine nachhaltige Selbstfürsorge setzt voraus, dass eine Bereitschaft gegeben ist, sich auf einer tieferen Ebene zu begegnen, sich wahrhaftig wahrzunehmen und das eigene Leben, die eigenen Haltungen und eingefahrenen Muster genauer unter die Lupe zu nehmen.


Wenn wir von Selbstfürsorge sprechen, ist das etwas Höchstpersönliches und darf ein Versprechen an dich selbst sein.

Und wie so oft ist es das eine, theoretisch ein Thema zu erörtern, und das andere, konkret in die persönliche Umsetzung zu gehen.

Warum ist es oft so schwer, Vorhaben, gute Vorsätze etc. umzusetzen?

Für sich zu sorgen, hört sich doch toll an, da dürfte doch eigentlich von einer großen Eigenmotivation ausgegangen werden. Und die ist anfänglich sicherlich auch da. Jedoch heißt der Weg einer nachhaltigen Selbstfürsorge, sich den inneren Antreibern, den Glaubensmustern, diversen Prägungen, angenommenen Erwartungshaltungen, den inneren Wächtern und ihren Schutzstrategien zu stellen.

Alles hat bzw. hatte seinen guten Grund, um sich gut durchs Leben zu navigieren. Und wie schon beschrieben, fördert nicht alles davon die Gesundheit und die Lebensfreude. Dinge und Abläufe infrage zu stellen, kann auch bedeuten, sich unliebsamen Emotionen, Schmerzpunkten und vermiedenen Konflikten zu stellen, um sich schlussendlich von einer Last befreien zu können.

Von dem her ist es auch nachvollziehbar, dass es Zeit und Reifung braucht, um sich tiefer auf das ein oder andere Thema einlassen und sich den Konsequenzen wappnen zu können. Es braucht Geduld und Feingefühl, sowohl auf der Therapeutenals auch auf der Klientenseite.

Ich lade dazu ein, einen Schritt nach dem anderen zu gehen, sich Zwiebelschicht für Zwiebelschicht tiefer zu wagen und sich dabei von der eigenen Selbstwahrnehmung und den eignen Impulsen leiten zu lassen. Vielleicht ist der erste Schritt, anzuerkennen, dass es ein bisschen mehr Zeit für sich braucht und dafür ab sofort wöchentlich eine Stunde eingeplant wird.

Der Weg darf von Anfang an Freude machen und von Gelassenheit begleitet sein. Zumindest dürfen diese eingeladen werden, sodass sie sich nach und nach in die grundlegende Haltung hinein entfalten können. Um tief eingefahrene Muster und Prägungen aufzulösen, in die Veränderung zu bringen, braucht es Entschlossenheit und Selbstdisziplin. Es muss glasklar sein, wofür sich etwas verändern soll, damit wir dranbleiben können. Und unsere inneren Wächter lassen uns das gerne mal vergessen oder reden uns ein, warum es dies oder jenes doch nicht braucht.

Mit „inneren Wächtern“ meine ich die Instanz in unserem menschlichen System, die uns vor unliebsamen Gefühlen und Schmerzempfindungen schützen möchte und dafür sorgt, dass manches im Unbewussten verdrängt bleiben soll.

Wir brauchen unabdingbar die Kooperation dieser Wächter bzw. müssen sie austricksen. Dafür empfehle ich eine professionelle Begleitung bzw. ein geleitetes Gruppensetting.

Drei kleine Achtsamkeitsübungen, die immer wieder als kleine Pause in den Alltag eingeschoben werden können
1.
 Den Augen eine Pause gönnen und palmieren: Nimm eine bequeme Haltung im Sitzen oder Stehen ein. Reibe deine Handflächen kräftig aneinander, bis sie richtig schön warm sind. Dann lege deine Handflächen wie zwei kleine dunkle Höhlen über die geschlossenen Augen. Atme dabei entspannt weiter und nimm ganz bewusst die angenehme Wärme der Hände auf. Spüre die wohltuende und entspannende Wirkung für deine Augen. Wiederhole den Ablauf ein paar mal.

2. Die Bauchatmung: Nimm dir einen Moment Zeit, bewusst in den Bauch zu atmen. Oft halten wir den Atem an, ohne es zu merken, stoppen aus der inneren Anspannung heraus den natürlichen Atemfluss oder atmen nur sehr flach, lediglich bis in die Brust. Nimm eine bequeme Haltung im Sitzen oder Stehen ein. Lege beide Hände auf den Bauch und lass deinen Atem bewusst in den Bauchraum fließen. Spüre dabei, wie sich dein Bauch bei jedem Einatmen wölbt und bei jedem Ausatmen wieder senkt. Finde einen für dich wohltuenden Atemrhythmus und bleibe einige Atemkreisläufe bewusst bei deinem Bauch.

3. Achte auf die Zwischenräume! Lenke deinen Fokus weg von konkreten Dingen hin zu den Zwischenräumen, egal wovon. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein, z. B. der Zwischenraum von Buchseiten, zwischen den Tassen im Schrank oder in der Natur der Zwischenraum von Bäumen, Ästen etc.

Ayla Germann Heilpraktikerin für Psychotherapie, Systemische Paar- und Familientherapeutin, Stresspräventions- und Entspannungstrainerin, Selbstfürsorge-Gruppenleiterin, Naturpädagogin, Dipl.-Sozialarbeiterin (FH)
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