Haut und Psyche – vielfältige Wechselwirkungen
Die Zahl der von allergischen und entzündlichen Hauterkrankungen betroffenen Kinder und Erwachsenen nimmt in den letzten Jahren immer mehr zu. Darüber sind sich alle Fachleute einig. Wie aber lässt sich das erklären? Welche Rolle spielen neben den Veränderungen in unserer Umwelt auch Prozesse in unserer „Innenwelt"? Ich möchte im Folgenden einige der vielfältigen Wechselwirkungen aufzeigen, die nicht nur für eine erfolgreiche Behandlung dieser Hauterkrankungen durch den Arzt oder Heilpraktiker entscheidend sind, sondern deren Kenntnis in gleicher Weise bei jeder psychotherapeutischen Beratung und Behandlung Betroffener unverzichtbar ist – erweisen sich doch eine ganze Anzahl von Verhaltensproblemen (wie z. B. zwanghaftes Kratzen, Pusteln, Selbstverletzungen) und psychischen Symptomen (wie z. B. Angst, Scham, Selbstwertzweifel, Depression und Verzweiflung) als direkte Folge der Hauterscheinung und Hauterkrankung.
Hautprobleme belasten die Psyche
Jeder, der selbst unter allergischen oder entzündlichen Hauterkrankungen leidet oder Betroffene in seinem näheren Umfeld hat, kann beobachten, dass und wie die Psyche dadurch belastet wird. Der Betroffene „fühlt sich nicht wohl in seiner Haut“, er reagiert oft überempfindlich, schnell nervös und reizbar. Manchmal „fährt er schnell aus der Haut“, manchmal zieht er sich erschöpft zurück und „leckt seine Wunden“. Gegenüber den durch die Medien vermittelten Schönheitsidealen einer makellosen Haut und strahlenden Erscheinung entstehen bei den Betroffenen Minderwertigkeitsgefühle und Versagensängste. Sichtbare Symptome vor allem im Gesicht, Dekolleté und an den Händen lösen auf der einen Seite Schamgefühle und Rückzugstendenzen aus, auf der anderen Seite aber auch Angst vor Isolation und Zurückweisung. Der Betroffene kann eben nicht wie die anderen alles mitmachen, muss sich manchmal zurückziehen, immer wieder Zeit für die Pflege seiner Haut einplanen, ggf. kann er bei allergischen Hintergründen nicht alles essen und trinken, sich nicht an jedem Ort ungehindert aufhalten usw. Er muss gewisse Rücksichten auf seine Erkrankung und Empfindlichkeit nehmen. Und auch seine Mitmenschen müssen das tun, obwohl er doch keine „Sonderbehandlung“ möchte. Außer in den Fällen, wo Betroffene ihre Symptome (meist unbewusst) nutzen, um besondere Aufmerksamkeit, Zuwendung oder Schonung zu erlangen. Dies kann gerade im partnerschaftlichen und familiären Zusammenleben zu belastenden Verhaltensproblemen und „Machtspielen“ führen.
Spätestens hier beginnt sich nun eine Spirale zu drehen, denn dieser Konfliktstress mit seinen oft quälenden Verlustängsten, unterdrückten Aggressionen und versteckten Beziehungsmanövern verstärkt meistens wieder die Haut-Symptomatik.
Psychische Belastungen fördern Hautprobleme
Auch diese Behauptung werden die meisten aus eigener Erfahrung oder Beobachtung bestätigen können. So wie generell ein seelisch ausgeglichener Mensch weniger krankheitsanfällig ist, gilt dies auch für allergische und entzündliche Hauterkrankungen. Je nach dem Ausmaß beruflicher Belastungen oder privater Sorgen schwankt z. B. beim Asthmatiker die Zahl der Anfälle und beim Neurodermitiker der Zustand der Haut. Dabei spielen weniger die „objektiven“ Belastungen als vielmehr die subjektiven Verarbeitungsmöglichkeiten die entscheidende Rolle. Allerdings scheint es nach verschiedenen psychologischen Studien keine ausgesprochene „Neurodermitiker-Persönlichkeit“ mit ganz bestimmten Eigenschaften oder Charakterzügen zu geben. Hautprobleme können wohl jeden von uns zu einem bestimmten Zeitpunkt unseres Lebens treffen, sodass wir manchmal von einem Tag auf den anderen Symptome bilden oder plötzlich Dinge oder Stoffe nicht mehr vertragen, die wir bislang stets ohne Beschwerden tolerieren konnten. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass das Auftreten eines solchen allergischen Schubes oder die stetige Ausbreitung entzündlicher Hautareale wiederum die psychische Stabilität beeinträchtigt: Frustration, Selbstzweifel, Zukunftsängste machen dem Betroffenen zu schaffen!
Nun stellt sich aber die Frage: Wie kommt es zu solchen Veränderungen und Erkrankungen? In aller Regel spielen bei Betroffenen Erbfaktoren wie z. B. die „atopische Veranlagung“ eine Rolle. Darauf weisen Zwillingsstudien und andere Untersuchungen hin. Weiterhin kann man in den meisten Fällen von einer chronischen Überforderung ihres Immunsystems ausgehen. Die Zahl der chemischen und toxischen Substanzen, mit denen sich unsere Körperabwehr auseinandersetzen muss, ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten ständig gewachsen. Gleichwohl müssen noch andere Auslöser eine Rolle spielen, „Psychostress“ im weitesten Sinne.
Psychischer Stress als Auslöser für Hautsymptome
Wenn man Betroffene fragt, wann ihre Hautprobleme begonnen haben, können viele von ihnen sich recht genau erinnern: Bei einigen von ihnen war der Beginn plötzlich, bei anderen eher schleichend. Wenn man dann weiterfragt, welche Lebensveränderungen es in den Wochen und Monaten vor Beginn ihrer Beschwerden gab, können die meisten doch von mehr oder weniger dramatischen Ereignissen berichten oder von einer Häufung gleichzeitiger Belastungen in Familie und Verwandtschaft, Beruf oder Arbeitswelt oder auch durch Arbeitslosigkeit usw. Oft liegt das ja schon lange zurück und die Betroffenen sind subjektiv der Meinung, dass sie das doch alles längst verarbeitet hätten … Psychologische Tests und noch präziser der kinesiologische Muskeltest bringen aber dann zutage, dass so manches einfach verdrängt wurde, was dann von innen weiter drängt. Die folgenden drei Skizzen, die auf Forschungen von Dr. med. Wilfried Dogs zurückgehen, können gut veranschaulichen, was da im Wechselspiel von Bewusstsein und Unterbewusstsein geschieht.
Die ideale Struktur
Die erste Skizze zeigt den Idealzustand: Die beiden Grundkräfte Verstand und Gefühl, über die jeder Mensch verfügt, befinden sich im Gleichgewicht. Dabei ist der Verstand eine Leistung des Bewusstseins, während die Gefühle im Unterbewusstsein entstehen – und zwar in jeder Situation unabhängig davon, ob wir das wollen oder nicht. Wir haben einfach in jeder Situation bestimmte Gefühle, mal angenehmere, mal unangenehmere. Wenn und solange wir unsere Gefühle jedoch verstandesmäßig reflektieren und lenken können, spannt sich ein Bogen des Selbstvertrauens über uns und alle Kräfte sind frei für Leistung, Lernen und Gestaltung.
Die normale Struktur
Normalerweise ist es jedoch so, dass unser Gefühlserleben und unser Gefühlsausdruck eingeengt sind. Im Laufe unserer Sozialisation haben wir durch Erziehungseinflüsse, Moral und Leitbilder gelernt, welche Gefühle in unserer Kultur und unserer Familie erlaubt und akzeptiert sind und welche nicht. So gibt es „positiv“ bewertete Empfindungen wie Freude, Stolz, Mitleid, ggf. auch Angst oder Ärger – aber genauso „negativ“ bewertete Gefühle wie Neid, Eifersucht, Jähzorn, Hass usw. Diese darf man eigentlich gar nicht haben und folglich werden sie mehr oder weniger erfolgreich verdrängt.
Die neurotische Struktur
Immer wieder kommt es aber vor, insbesondere bei chronischen Konflikten, dass die beteiligten Gefühle völlig verdrängt werden und durch eine Art inneren „Zensurblock” daran gehindert werden, überhaupt bewusst zu werden. So kommt es im emotionalen Bereich zu einer Aufspaltung in „akzeptierte“ und „unerlaubte“ Gefühle. Diesen verdrängten Emotionen ist der Verstand hilflos ausgeliefert, er kann sie nicht verarbeiten. Da aber – wie wir gesehen haben, Gefühle in jeder Situation entstehen, kommt es im unbewussten Bereich zu einem Emotionalstau, der sich nun verschiedene „Auswege“ suchen kann. Bei dem einen Menschen führen die verdrängten Emotionen und Konflikte lediglich zu einem Unbehagen: Sie fühlen sich in ihrer eigenen Haut nicht mehr wohl. Die übliche Reaktion darauf ist, mit noch mehr Selbstbeherrschung zu antworten, sich „am Riemen zu reißen“ usw.
Der Emotionalstau kann sich aber auch in Form von Ängsten und Zwängen zeigen, die man als Betroffener genauso wenig versteht: „Eigentlich“ geht es einem doch gut, hat man keinen Grund, sich Sorgen zu machen oder sogar Panik zu bekommen. Hat man jedoch einmal eine Panikattacke „aus heiterem Himmel“ erlebt, macht sich natürlich die „Angst vor der Angst“ breit und engt das alltäglich Leben immer mehr ein. In ähnlicher Weise lassen sich auch die funktionellen Störungen begreifen – ganz gleich an welchem Organsystem sie sich zeigen, ob nun als Allergien, Asthmaanfälle, Herzrhythmusstörungen, Reizdarmsyndrom oder eben Neurodermitis, Psoriasis usw. Die Haut wird dabei zur Projektionsfläche der inneren Konflikte und verdrängten Emotionen, zum „Spiegel der Seele“ – wie schon der Volksmund weiß. Und auch hier ist es ja meist so, dass der Betroffene sich keinen Reim darauf machen kann, warum seine Haut ausgerechnet jetzt wieder „blüht“, warum er dem krankhaften Geschehen hilflos ausgeliefert bleibt und mit seinen Verstandes- und Willenskräften die Symptombildung nicht beeinflussen kann.
Für die Therapie bedeutet das Gesagte insgesamt: In der Regel ist es hilfreich und befreiend, wenn es gelingt, dem Patienten mit entsprechenden Methoden wieder einen Zugang zu den verdrängten Emotionen zu erlauben – bildlich gesprochen ein paar „Gucklöcher“ durch den Zensurblock zu bohren, durch die er hindurchschauen und erkennen kann, was er da ursprünglich abgespalten und verdrängt hatte. Dies geschieht am besten in psychotherapeutischer Begleitung, schon um die Ängste abzufangen, die dabei aufkommen können. Es gibt aber sanfte Vorgehensweisen, z. B. im Rahmen der Psychosomatischen Kinesiologie® oder der Hypnosetherapie, die ein sicheres und heilsames Vorgehen ermöglichen. Aber auch Mal-, Schreib-, Musik- und Tanztherapie können solche Wege zum Unbewussten sein, vor allem dann, wenn die Ergebnisse und Erlebnisse dann im Gespräch aufgearbeitet werden. So kann der Verstand wieder Zugang finden und bewusst die Dinge (neu) verarbeiten, die ihm so lange nicht zugänglich waren und sich deshalb nur in Form der Symptome und Krankheiten sichtbar machen konnten.
Ich möchte das Ganze mit einer Fallschilderung illustrieren
Vor einigen Jahren kam eine 36-jährige Frau zu mir in die psychologische Praxis, die seit ca. neun Jahren an Neurodermitis litt und zudem in jedem Frühjahr unter massiven und sich von Jahr zu Jahr steigernden Heuschnupfen-Symptomen. Die Menge der symptom-unterdrückenden Medikamente hatte sich im Laufe der Jahre ebenso kontinuierlich gesteigert, ohne jedoch an dem Grundleiden irgendetwas zu verändern. Ihre Haut konnte sie mit Basisdermatika und gelegentlicher Nutzung von Cortisonsalben auf besonders befallenen Stellen relativ stabil halten. Mithilfe des kinesiologischen Muskeltests und einem Sortiment von Substanzproben fanden wir zunächst 14 verschiedene Pollen von Frühblühern, Bäumen und Gräsern heraus, auf die sie allergisch reagierte. Ebenso führte der Kontakt mit Wolle und bestimmten Synthetikfasern in ihrer Kleidung sowie mit einigen Waschmitteln und Pflegelotionen zu verstärkten Symptomen. Darüber hinaus zeigte sich beim Test – wie das häufig bei Neurodermitikern der Fall ist – eine Unverträglichkeit gegenüber Weizen und Zucker, sozusagen als „Basisallergie“. Nun wollten wir im nächsten Schritt den kinesiologischen Allergieausgleich durchführen, wie ich ihn u. a. in meinem Artikel „Allergien erfolgreich mit psychosomatischer Kinesiologie behandeln“ beschrieben habe (Paracelsus Magazin, 02/2011).
Die kinesiologische Allergiebalance über den Ausgleich des Meridiansystems mit den auf dem Körper liegenden Substanzen bewirkt in der Regel schnell eine auch anhaltende Entlastung. Jedoch bekamen wir vom Organismus (über den Muskeltest) zunächst keine Erlaubnis dafür. Durch ergänzende Fragen fanden wir heraus, dass erst andere Stressabbautechniken genutzt werden sollten, und zwar in Verbindung mit der kinesiologischen „Altersrückführung“. Hier testeten wir in der Lebensgeschichte zurück und kamen auf ihr 27. Lebensjahr.
Dies war nun, wie sie sich sofort erinnerte, ein Jahr mit sehr vielen Umbrüchen gewesen: Trennung und Scheidung vom ersten Ehemann, Umzug mit ihrem Sohn in eine andere Gegend, Wechsel der Arbeitsstelle und vieles mehr. Dementsprechend hatte es in dieser Zeit jede Menge „Stress“ und Überforderung für sie gegeben. Den Zorn und Groll gegenüber ihrem Exmann, von dem sie sich verletzt fühlte und dem sie quasi die Schuld daran gab, dass die Ehe gescheitert und sie zu so vielen Änderungen in ihrem Leben gezwungen war, empfand sie auf der bewussten Ebene nicht mehr. Im unbewusst gespeicherten Bereich ließ er sich aber noch als heftig und nachhaltig feststellen – ebenso wie Schuld- und Versagensgefühle, die sie wegen der Trennung ihrem Sohn gegenüber hatte. Alle diese Emotionen hatte sie abgespalten, weil sie mit der ganzen alten Geschichte einfach irgendwann „Schluss machen“ wollte – was durchaus nachvollziehbar war. Nachdem wir nun diese alten emotionalen Belastungen und Konfliktspannungen mit verschiedenen kinesiologischen Methoden reduziert und sie wieder in die Gegenwart zurückgeführt hatten, testeten wir erneut die Proben mit den Allergieauslösern. Aber – zu ihrem wie meinem Erstaunen – machte ihr der Kontakt mit diesen Substanzen nichts mehr aus. Ein spezieller „Allergie-Ausgleich“ war nicht mehr erforderlich.
Die Patientin war und ist bis heute frei von allen Heuschnupfenbeschwerden und ihre Haut heilte nach und nach in einem Zeitraum von ca. zehn Wochen erscheinungsfrei aus. Nach dieser Karenzzeit konnte sie sogar wieder Weizen vertragen. Zucker allerdings musste sie weiterhin meiden und jedes Naschen führte leider wieder zu trockenen Hautstellen mit Juckreiz. Deshalb schloss sie noch eine Darmsanierung bei einer befreundeten Naturheilpraktikerin an.
Dies ist nur ein Beispiel von vielen, aus denen ganz klar hervorgeht, dass psychischer Stress die Bereitschaft, allergisch und entzündlich auf der Ebene der Haut und der Schleimhäute zu reagieren, so steigert, dass es dann nur noch den Kontakt mit einer bestimmten Menge von „reizenden“ Stoffen braucht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.
Nun könnte man fragen, warum denn oft schon Babys im Alter von wenigen Tagen und Wochen mit solchen Symptomen auf der Haut reagieren? „Die können doch noch keinen Stress haben“ – ist die landläufige Meinung. Diese Ansicht übersieht jedoch, dass nicht nur die Geburt selbst eins der größten Stresserlebnisse darstellt, das wir je in unserem Dasein haben, sondern auch, dass bereits das Ungeborene die Konflikte und Belastungen der Mutter bzw. der Eltern (oft auch miteinander) deutlich spürt und miterlebt, und zwar auf allen Ebenen: emotional wie hormonal, seelisch wie nervlich.
Eine ganzheitliche Hautbehandlung sollte also stets die psychische Komponente einbeziehen, ihr manchmal sogar den Vorrang geben. Die angeführten Beispiele zeigen, wie entscheidend ein wirklich ganzheitliches und kooperatives Vorgehen zum Wohl unserer Patienten ist. Leider stellt das durch die Begrenzungen unserer Ausbildung, die Aufsplitterung der Fachdisziplinen und auch die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Berufsgruppen die Ausnahme dar. Die Kinesiologie, die das Individuum und seinen Organismus in der Einheit von Körper, Seele und Geist in den Mittelpunkt stellt, kann helfen, solche Grenzen zu überwinden.
Dr. paed. Werner Weishaupt
Dozent und Heilpraktiker für Psychotherapie und Kinesiologie, Leiter der „Praxis im Zentrum“ in Salzgitter.