Hozpiz- und Palliativmedizin
Umgang mit Angehörigen und Patienten
Seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit psychologischen Folgen und Begleiterscheinungen die bei schwerkranken Patienten auftreten können, wenn Pflegekräfte, Angehörige und Freunde in dieser außergewöhnlichen Phase des Lebens keine echte Hilfe sein wollen und können, wenn sie einfach überfordert sind. Das trifft sehr oft auf Krebspatienten zu, die verschiedene Stadien der Krankheit durchleben, oder gerade Operation, Chemo- und Strahlentherapie verkraften müssen. Eine würdevolle und von menschlichen Gefühlen geprägte Betreuung ist für die Patienten sehr wichtig, aber noch wichtiger ist es, auch die Angehörigen und Freunde des Kranken mit einzubeziehen. Gerade wenn Patienten wissen, dass sie schwerkrank sind, oder nicht mehr lange zu leben haben, wollen sie mit ihren Familien und Kindern alles regeln, die letzten Stunden im Kreis der Bekannten verbringen, ihre Familie versorgt wissen. Oftmals ist gerade hier der Angehörige am Ende seiner psychischen Kräfte. Er kann nicht ehrlich zugeben, dass seine eigene Hilflosigkeit ihm Grenzen setzt. Wenn Patienten (sehr oft auch Kindern) immer wieder eingeredet wird, dass sie gesund werden, zweifelt man die Ehrlichkeit des Anderen an. Sie wissen nicht, dass es nur der Schutzmechanismus des Helfenden ist, um mit einer gutgemeinten Lüge die eigene Psyche zu beruhigen. Der Patient will aber mit dem Partner, dem Freund oder dem Pflegepersonal weinen können, seine Ängste teilen, einfach nur jemanden am Bett haben der ihm zuhört, der seine Angst vor der schweren Krankheit oder dem Tod ernst nimmt, der seine Hand hält. Aus diesem Grund sollten sich Mitarbeiter des Pflegepersonals, Angehörige und Freunde des Kranken selbst schützen, indem sie versuchen ihre eigenen Empfindungen auszutauschen, untereinander über ihre Gefühle zu reden, oder die Form der Supervision zur Bewältigung nutzen.
Keiner kann alles allein aufarbeiten!
Im Umgang mit Schwer- und Todkranken sollten aus meiner psychologischen Erfahrung folgende Dinge beachtet werden:
1. Die Auseinandersetzung mit der tödlichen Krankheit ist ein länger dauernder Prozeß. Man sollte versuchen eine vertrauensvolle und solidarische Beziehung zum Patienten aufzubauen, und eine Isolierung vermeiden. Nicht immer will der Kranke über Tod und Sterben reden und nachdenken, deshalb muß man dann zur Verfügung stehen, wenn er es wünscht und nicht von sich aus über dieses Thema sprechen.
2. Der Patient muß seine Gefühle allein verarbeiten. Dabei kann er ein realistisches Bild der Situation zulassen, oder aber auch unrealistische Hoffnungen und Pläne. Beides sollte man ihm ermöglichen, nichts gegen seinen Willen tun. Diese Zweigleisigkeit im Denken entlastet seine Psyche sehr.
3. Zorn, Depression und eigene Gefühle gehören zur Auseinandersetzung mit der Situation. Man sollte versuchen diese Gefühle immer zu akzeptieren, auch wenn sie sich einmal gegen die helfende Person selbst richten. Man sollte zum Patienten Vertrauen haben, dass er selbst in der Verarbeitung der Gefühle vorankommt, unterscheiden lernt.
4. Auf Fragen sollte man dem Patienten alle gewünschten Informationen geben. Der Patient bestimmt selbst wieviel Information er will, wie genau er informiert werden möchte. Geben sie nie mehr Informationen, sonst kann er diese emotional nicht verarbeiten. Seien sie aber darauf eingestellt, dass spätere Nachfragen oder dieselben Fragen wiederholt werden können. Seien sie immer gesprächsbereit! Achten sie darauf, dass sie nicht hart und sachlich informieren. Versuchen sie sich auf die Gefühlslage des Patienten einzustellen, um die Informationen und die Art der Weitergabe darauf abzustimmen.
Wichtige Ausnahme:
in akut lebensbedrohlichen Situationen (frischer Herzinfakt u.ä.) kann es sinnvoll sein, die gewünschte Information nicht zu geben. Eventuell kann diese tödliche Folgen haben. Aber nur hier ist Platz für die „schonende Lüge". Patienten schätzen die Ehrlichkeit und können sehr gut Wahrheit und Lüge voneinander unterscheiden. Die Glaubwürdigkeit des Helfenden hängt davon ab.
5. Vermitteln sie dem Patienten das Gefühl, dass alles menschenmögliche getan wird, seine Situation günstig zu beeinflussen und seine Lage zu verbessern. Verweisen sie auf die Möglichkei - ten der Schmerzbekämpfung (Palliativmedizin) und versichern sie dem Patienten, dass er auch als Todkranker optimal gepflegt und betreut wird. Durch diese Art der Zuwendungen vermitteln sie dem Patienten Ansätze für Hoffnungen (z.B. auf einen günstigen Verlauf und Schmerzfreiheit), ermöglichen die schon erwähnte Zweigleisigkeit im Denken und verhindern, dass er empfinden muß: Für mich kann nichts mehr getan werden, ich bin unrettbar verloren, man hat mich aufgegeben, keiner will mit mir sprechen.
In unserer heutigen Gesellschaft hat die Palliativ- und Hospizarbeit leider noch nicht den gebührenden Platz eingenommen, der eigentlich notwendig wäre. Aber immer mehr Kollegen (Psychotherapeuten, Psychologen und Ärzte aller Fachrichtungen) haben die Wichtigkeit dieser Arbeit begriffen. Im Stationsalltag bleibt dafür nicht genügend Zeit für das Pflegepersonal. Angehörige und Freunde von Patienten beunruhigt dieses Verhalten und sie wissen nicht, wie sie ihr eigenes Tun und Lassen, ihre Gespräche und ihr Dasein einordnen können. In der Betreuung dieser Angehörigen liegt ein weites neues Feld der Betätigung, denn wir sollten niemals vergessen, dass auch diese Menschen leiden, manchmal sogar mehr als der betreffende Patient selbst. Es ist ein Trugschluss zu behaupten, dass die Trauer und der Verlust eines Menschen besser und schneller verarbeitet wird, wenn man den Tod schon lange vor Augen hatte, ihn als Erlösung ansieht. Sicher ist man besser darauf vorbereitet als bei einem plötzlichen Unfalltod, aber die Verarbeitung der Trauer ist bei jedem Menschen anders. Oft können diese erst nach Monaten darüber sprechen. Die Trauergruppe, unter psychologischer Anleitung und Führung, ist dabei eine gute Hilfe mit Gleichgesinnten seine Gefühle auszutauschen und neuen Mut zu finden. Der schönste Lohn für unsere Arbeit ist immer noch die Aussage von Patienten und Angehörigen: „Es geht mir wieder gut. Ich danke für ihre Hilfe, ohne sie hätte ich das alles nicht geschafft." Diese schönen und dankbaren Sätze hat mir die Frau eines leukämiekranken Patienten zum Jahreswechsel gesagt. Der Mann ist wieder zu Hause, sein Allgemeinzustand ist gut, und wenn er die nächsten Jahre gut übersteht, kann er sich vielleicht als gesund betrachten. Die Familie hat sich noch nie so auf ein Fest gefreut, wie in diesem Jahr. Ein schöneres Geschenk konnte es für alle nicht geben. Das tut auch der Seele eines Psychologischen Beraters gut.
Dafür hat es sich gelohnt zu arbeiten!
Petra Schwittlich