Von Paaren und Blumen – wie man in Beziehung und trotzdem glücklich sein kann
Heute Nachmittag habe ich frei. Ich ziehe meine warmen Laufschuhe und die dicke Jacke an, packe meine Hündin Zilly ins Auto, es geht hinaus in die Natur. Ein kalter Wind weht uns um die Ohren. Zilly springt über gefrorene Wiesen, fixiert Enten, die im kalten Wasser schwimmen, schnüffelt in Mäuselöchern, genießt die Natur auf ihre Art. Ich gehe indessen den Weg entlang, in meine Gedanken vertieft...
Warum werden Paarbeziehungen mit den Jahren so oft zur Gewohnheit? Zwei Menschen leben nebeneinander her, ohne noch wirklich Anteil am Leben des anderen zu nehmen. Sie glauben sich zu kennen, alles über den anderen zu wissen – und verlieren nach und nach das Interesse aneinander. „Wir haben uns auseinandergelebt, die Liebe ist uns abhandengekommen; können Sie uns helfen?“ Dies ist in meinen Paarberatungen oft die erste Frage.
Aus dem Augenwinkel schaue ich immer wieder nach Zilly, doch wir beide gehen unsere eigenen Wege. Ups – da fällt mir wieder ein, was ich am Wochenende gelernt habe: Es ist wichtig, dass wir mit unserem Hund auch auf Spaziergängen in Beziehung bleiben. „Beziehungsaufbau“ war das Thema in unserer Therapiehundausbildung. Immer wieder sollte Frauchen dem Hund etwas Spannendes und Interessantes anbieten, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ich entdecke eine große Pappel am Flussufer. Ihr dicker Stamm hat eine grobe und tiefe Rinde, die dazu einlädt, zum „Würstchen-Baum“ zu werden: Ich ziehe ein paar klein geschnittene Wienerle aus meinem Beutel und verstecke sie in vielen kleinen Rindenhöhlen. Jetzt rufe ich Zilly, zeige auf den Baum und gebe das Kommando „Such!“. Sofort spurtet sie los und inspiziert mit ihrer feinen Nase begeistert jeden Fleck des Baumstamms. Die Überraschung ist mir gelungen. Als sie den Baum erfolgreich „abgeerntet“ hat, gehen wir weiter. Sie ist wieder mit Schnüffeln beschäftigt, ich mit meinen Gedanken.
Mir wird auf einmal etwas klar: Am Anfang einer Beziehung, wenn wir frisch verliebt sind, achten wir aufeinander, sind interessiert aneinander. Wir überlegen uns, was dem anderen Freude machen könnte, sind ideenreich und überlegen uns immer wieder neue Überraschungen. Wir erzählen uns, was uns beschäftigt, und hören uns neugierig zu. Wir trotten nicht einfach nebeneinander her, jeder mit sich selbst beschäftigt. Doch nach einigen Jahren als Paar sieht das bei vielen ganz anders aus.
Würden meine Gassi-Runden auf Dauer so ablaufen wie manch langjährige Beziehung, würde mein Hund schnell das Interesse an mir verlieren. Er würde nicht mehr auf mein Rufen reagieren. Denn: „Weshalb sollte ich zu einem so langweiligen Frauchen kommen, wenn es hier doch so viel Spannenderes zu schnüffeln und zu entdecken gibt?“
So wie es in der Hund-Mensch-Beziehung nicht reicht, nur am Anfang eine Bindung aufzubauen und sich dann nicht mehr darum zu kümmern, so reicht es auch in der Paarbeziehung nicht, sich nur zu Beginn zu bemühen und dann darauf zu bauen, dass dies für den Rest des Lebens ausreicht. Das gilt selbst für Pflanzen! Wir gießen Blumen ja auch nicht nur, bis sie zum Erblühen kommen, und lassen dann die Gießkanne für immer in der Ecke stehen. Nein, wir müssen uns regelmäßig und zuverlässig um ihre Pflege kümmern. Nur dann wachsen immer wieder neue Triebe und Blüten nach. Tun wir dies nicht, vertrocknet die Pflanze und irgendwann ist selbst in der Wurzel kein Leben mehr.
Ich greife in meine Tasche, rufe meinen Hund und werfe eine Handvoll Leckerlis in hohem Bogen auf die Wiese. Zilly spurtet los, steckt ihre Nase ins Gras und ist begeistert von dem überraschenden Suchspiel. Dann gehen wir den Rest des Weges wieder gemeinsam weiter, doch jede von uns mit sich beschäftigt – ich mit meinen Gedanken, sie mit den unzähligen Spuren und Gerüchen.
In den Paarberatungen erkläre ich den Paaren häufig, wie wichtig Nähe und Distanz in einer Beziehung sind. Alles nur zu zweit und miteinander tun, das tut nicht gut. Dabei geht die Spannung verloren, man verliert sein ICH, es gibt nur noch das WIR. Aber auch zu viel Distanz gefährdet auf Dauer ein harmonisches Miteinander.
Die Bindung wird immer schwächer, bis sie irgendwann nur noch am seidenen Faden hängt. Deshalb ist eine gesunde Balance zwischen Nähe und Gemeinsamkeit einerseits sowie eigenen Interessen und Unternehmungen andererseits so wichtig.
Wie bei den Spaziergängen mit meinem Hund. Die Ausgewogenheit ist der Schlüssel zu unserem freudigen Miteinander. Mich würde es zu sehr anstrengen, wenn sich beim Spaziergang alles nur um Zilly drehen würde und ich bei jedem Ausflug für sie ein ständiges Spaßprogramm bieten müsste. Da würde mir schnell die Lust vergehen. Und ich bin davon überzeugt, auch meine Hündin würde es auf Dauer stören, wenn sie die vielen Duftnachrichten nicht mehr lesen und auf Entdeckungstouren gehen könnte. Die richtige Mischung ist der Weg zum Glück.
Richtig durchgefroren, aber glücklich lade ich Zilly nach dem Spaziergang ins Auto. Sie ist müde von ihren Abenteuern und vor Schmutz ist kaum noch Hund zu erkennen – aber ich wette, auch sie ist glücklich.
Auf der Heimfahrt sehe ich einen Vater mit Kinderwagen auf dem Gehweg – Kopfhörer auf den Ohren, Blick auf dem Handy. Er bemerkt nicht, dass sein Kind ihn anschaut. Auch das ist ein Aspekt von Beziehung: den anderen in seiner Präsenz wahrnehmen. Ich frage mich, wie viele Kinder wohl inzwischen nicht mehr MIT ihren Eltern, sondern häufig NEBEN ihnen aufwachsen. Das stimmt mich nachdenklich und traurig. Beziehungen sind ein sehr kostbares Gut und wir sollten achtsam mit ihnen umgehen.
Der zunehmende Einfluss der virtuellen Welt auf unser Leben ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für unser menschliches Miteinander. Diese Welt zieht uns an wie ein Magnet und verleitet uns oft dazu, nicht mehr zu sehen, was neben oder vor uns ist.
Ich habe zum Glück einen Hund: Bevor ich zu lange am Display kleben kann, steht Zilly vor mir mit einem Spielzeug im Maul: „Leg das Handy zur Seite und spiel mit mir!“ Ich hoffe sehr, dass auch unsere Kinder diese Fähigkeit behalten und die Aufmerksamkeit ihrer Eltern einfordern. Und vielleicht später auch auf Augenhöhe von ihrem Partner.
Wieder zu Hause, setze ich Wasser auf, packe den mitgebrachten Kuchen auf zwei Teller und überrasche meinen Mann mit einem Nachmittagskaffee. Er strahlt mich an und sagt: „Du bist ein Schatz“.
Es braucht nicht viel, um im Alltag einer Beziehung dem anderen mit Kleinigkeiten eine Freude zu machen. Egal ob Würstchen oder Kuchen – wir müssen nur daran denken.
Sabine Mayer-Bolte
Heilpraktikerin für Psychotherapie, InBalance – Praxis für emotionale Gesundheit, Biberach