Glosse – Ab wann dürfen Kinder alleine auf Kindergeburtstage
Jeden Morgen um 7 Uhr begleite ich meine Tochter in den Kindergarten. Sicher, sie kennt den Weg und könnte auch alleine dorthin laufen. Allerdings ist sie noch unter sechs Jahre jung. Was nicht bedeutet, sie würde den Weg nicht finden oder gar vergessen, sich anzuziehen. Das alles kann sie schon perfekt alleine. Sie packt sich ihren Kindergartenrucksack auch schon. Manchmal mit weniger nützlichen Dingen als viel mehr mit Dingen die ihr Herz begehrt.
Unabhängig davon wüsste ich schon jetzt, wie die Reaktion meiner Mit-Kita-Mütter ausfallen könnte. Jubelschrei und Freude wären da nicht übermäßig vorhanden.
Der Kindergarten – ein Ort der Erholung
Der Kindergarten ist sowieso eine merkwürdige Einrichtung, oder? Die Kinder werden in der Frühe in voller Eile und Hektik abgegeben und nachmittags in voller Eile und Hektik wieder abgeholt. Dazwischen erholen sie sich (die Kinder) bestimmt von den anstrengenden Eltern. Endlich mal in Ruhe spielen und malen. Mit der Freundin oder dem Freund Quatsch reden. Neue Dinge nicht nur sehen, sondern sogar ausprobieren können und dürfen. Ohne, dass da gleich ein aufgeregter Erwachsener steht und meint, alles kommentieren zu müssen.
„Charlene, die Rutsche ist ganz schön hoch für dich. Besser, du bleibst unten und schaust den anderen Kindern zu.“
„Hans-Peter, die Schaukel ist zum Sitzen da. Bitte stell dich nicht zum Schaukeln hin. Da kannst du runterfallen und machst schlimm Aua.“
„Im Sandkasten werden deine Sachen ganz sandig. Kannst du nicht irgendetwas anderes spielen? Sonst muss ich gleich wieder waschen zu Hause.“
„Mit dem Dreirad nicht so rasen. Schön langsam fahren und immer nach anderen Kinder schauen. Damit du niemanden umfährst.“
Sicherlich sind diese Ratschläge und Hinweise gut gemeint. Allerdings ist gut gemeint noch lange nicht gut gemacht.
Kindliche Erfahrungen machen
Kinder kommen auf unsere Welt und wissen nichts. Eigentlich ganz schön tragisch – auf der einen Seite. Ich möchte nicht eines Tages in einem fremden Land mit Amnesie aufwachen und alles neu lernen müssen. Die Unsicherheit, die Angst vor dem Unbekannten – diese Gefühle kämen in mir hoch.
Andererseits kann es doch aber ganz nett sein, mal eben nichts zu wissen. Neue Erfahrungen zu machen. Neue Menschen zu treffen. Sich selber kennenzulernen. Mit einer Neugier durch die Gegend zu streifen und gespannt sein, was hinter der nächsten Ecke auf einen wartet.
Die Babys und Kleinkinder haben im Vergleich zu meiner Amnesie einen Vorteil – sie haben ein oder zwei Elternteile an ihrer Hand, die sie auf ihrem Weg begleiten. So weit, so gut.
Was aber, wenn diese Erwachsenen ängstlicher, aufgeregter und unsicherer sind als die Kinder selbst? Dann haben – glaube ich – alle Beteiligten ein Problem. Die Kinder werden in ihrer Entwicklung und Entfaltung gehemmt. Die Erwachsenen hemmen sich selber in ihrer Weiterentwicklung und Weiterentfaltung.
Der Kindergarten ist eine tolle Einrichtung, in der die Kinder wunderbar versorgt werden, während die Eltern schaffen gehen oder nach Hause. Manche nutzen die freie Vormittagszeit, um Geld zu verdienen, andere, um sich auszuruhen, wieder andere, um den Haushalt auf Vordermann zu bringen. Egal, welche Ambitionen die Eltern haben, so eine Einrichtung zu nutzen – den Kindern gefällt es.
Und je selbstständiger die Kinder im Kindergarten sind, so unselbstständiger sind sie dann daheim. Da können sie sich auf einmal nicht mehr alleine anziehen, ausziehen, essen und auf die Toilette gehen. Von alleine spielen mal ganz abgesehen.
Ich frage mich dann allerdings, ob das wirklich an den Kindern liegt oder doch eher den Eltern? Ich meine, wenn die Kinder das den ganzen Tag im Kindergarten alleine hinbekommen, warum klappt das dann nicht auch zu Hause? Oder werden den Kindern beim Antritt in der Früh Chips implantiert, die dann beim Nachhausegehen wieder entfernt werden? Ich habe schon öfter darüber nachgedacht. Und wenn es so eine Programmierung gäbe, kann ich diese dann auch für zu Hause nutzen?
Ich stelle mir gerade vor, wie ich am Abend das Chipprogramm meiner Kinder per PC aufrufe und für den folgenden Tag programmiere.
6 Uhr: ohne Meckern aufstehen und mit einem Lächeln im Gesicht zum Frühstück erscheinen.
7 Uhr: rechtzeitig und ohne Trödeln aus dem Haus gehen, um pünktlich im Kindergarten zu erscheinen.
16 Uhr: mit einem Strahlen und sauberen Klamotten angezogen am Gartentor des Kindergartens auf Mama warten.
17 Uhr: ohne Ablenkung direkt zu Hause ankommen, freiwillig alle Sachen ausziehen und weghängen.
19 Uhr: ohne Weinen und Rufen ins Bett legen und sofort einschlafen.
Das klingt schon sehr faszinierend. Programmierte Kinder zur Arbeitserleichterung der Eltern. Und falls Unstimmigkeiten auftreten, einfach das Programm neu schreiben. Oder reicht auch schon umschreiben?
Kindergeburtstage – auch was für Erwachsene
Erst vor Kurzem waren wir auf einem Kindergeburtstag eingeladen. Also nicht wir, sondern nur unsere Tochter. Erstaunlich, dass viele Eltern – so wie ich eben auch – in Wir-Form sprechen. Soll das ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl ausdrücken? Oder eher zeigen, dass unser Kind noch nicht alleine existieren kann? Was soll diese Wir-Sprache dem Gegenüber mitteilen? Und was teilt es dem Kind mit?
Zurück zum Thema: Meine Tochter war auf einem Kindergeburtstag eingeladen. Ich wiederhole Kindergeburtstag. Sie war voller Euphorie. Endlich alleine feiern gehen, ganz viel Süßigkeiten essen und einfach Spaß haben. Kommt das nicht eigentlich erst später? So mit 18 oder 20?
Naja, egal. Wir haben sie zum Ort des Geschehens gebracht und sind dann ganz schnell in drei Stunden Freiheit entschwunden. Am Abend holten wir sie selbstverständlich wieder ab. Für den Rückweg alleine wäre es wirklich zu dunkel gewesen.
Als wir vorfuhren, standen da zahlreiche Autos. Ich war echt verunsichert, was diese vielen Autos hier machten. Klar, irgendjemand hat die anderen Kinder hergefahren und wird nun da drinnen sein Kind abholen. Aber alle zur selben Zeit? Merkwürdig. Als ich dann allerdings durch die Tür kam, wusste ich, dass diese Eltern nicht alle zur selben Zeit vorgefahren sind. Nein. Sie haben sich die Fahrerei gespart und sind gleich dageblieben. Auf einem Kindergeburtstag. Wie krass ist das denn bitte schön!
Erwachsene Leute sitzen im Kreis – um die Kinder, die entspannt Geburtstag feiern wollen. Warum? Damit sich die Kinder sicherer fühlen? Wohl kaum. Eher damit sich die Eltern sicherer fühlen. Oder weil sie mit ihrer neuen freien Zeit nichts anzufangen wissen. Oder weil sie als Kinder zu wenig auf Kindergeburtstagen waren.
Nachtrag
Ich finde solche Begebenheiten immer erst befremdlich und dann nachdenkenswert. Egal, ob es um den Kindergarten geht, um Kindergeburtstage oder Kindererziehung ganz allgemein. Auch wenn jeder von uns seinen Erziehungsstil hat – was an sich ja eine gute Sache ist – schadet es nicht, über diesen nachzudenken. Zu reflektieren, zu sinnieren, zu diskutieren, zu was auch immer. Es schadet nicht – und erst recht nicht unseren Kindern – die eigenen Werte zu hinterfragen und neu zu ergründen.
Eltern, die viel klammern, haben ihre Gründe. Aber sind diese Gründe auch kindgerecht? Ebenso trifft es die Eltern, die zu wenig klammern, gar nicht klammern, ihre Kinder zu schnell in die Selbstverantwortung schicken oder, oder, oder.
Meine Tochter wird noch von mir in den Kindergarten gebracht. Und das auch so lange, bis sie in die Vorschule geht. Warum? Weil sie mein Baby ist. Mein kleines Mädchen, das meinen Schutz braucht. Oder ich vielleicht ihren? Wie auch immer – in der Vorschule wird neu verhandelt.
Mit sonnigen Grüßen
Jana Ludolf
Geprüfte Psychologische Beraterin, Kommunikationstrainerin