Zum Hauptinhalt springen

Berufliches Know-how und gesetzliche Betreuung

©leremyDer ein oder andere Leser der Freien Psychotherapie hat vielleicht schon einmal darüber nachgedacht, nebenberuflich im Bereich der gesetzlichen Betreuung tätig zu werden. Für den Einstieg in dieses Berufsfeld ist es einerseits sicher notwendig, sich die formalen Kenntnisse über die wichtigen rechtlichen Grundlagen und Verfahrensweisen anzueignen. Für die Arbeit mit den Klienten haben jedoch viele Kollegen (immer m/w), die z. B. schon jetzt als psychologische Berater, Suchtberater usw. tätig sind, in ihrer bisherigen Arbeit Erfahrungen und Kenntnisse erworben, die im Umgang mit betreuten Menschen sehr hilfreich sind.

Von den ca. 1,3 Millionen Menschen in Deutschland, für die eine gesetzliche Betreuung eingerichtet wurde, leiden etwa die Hälfte an einer psychischen Erkrankung oder sind von einer Suchterkrankung betroffen. Nicht selten sind diese Bereiche auch miteinander gekoppelt, da eine Suchterkrankung häufig eine psychische Folgeerkrankung nach sich zieht und umgekehrt. Des Weiteren betreffen etwa 25 % aller Betreuungsverfahren Menschen ab dem 70. Lebensjahr, wobei auch hier durchaus vorliegende Suchterkrankungen, in dieser Altersgruppe häufig Alkohol oder Medikamentenabhängigkeit, eine Rolle spielen.

Als ich 1994 meine Tätigkeit als freiberuflicher Berufsbetreuer aufnahm, hatte ich ein Studium der Sozialarbeit absolviert und mich relativ schnell auf die Arbeit mit Suchterkrankten konzentriert. Ich machte diese schon zur Grundlage meiner Diplomarbeit und arbeitete später in einer innerbetrieblichen Suchtberatung.

Mein Studium finanzierte ich teilweise durch Jobs in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen und ich arbeitete auch später als Sozialarbeiter zeitweise in einer Einrichtung speziell für Kurzzeitpflege. Aufgrund dieser Berufserfahrungen und auch durch die Tatsache, dass mich meine Frau, die ausgebildete Altenpflegerin ist und zu Beginn meiner Betreuertätigkeit als stellvertretende Pflegedienstleitung in der ambulanten Pflege arbeitete, nebenberuflich in meiner Tätigkeit unterstützte, spezialisierte ich mich als Betreuer von Anfang an auf die Betreuung suchterkrankter, in erster Linie alkoholabhängiger Klienten sowie auf ältere Betreute.

Um zu verdeutlichen, wie die Erfahrungen aus anderen Arbeitsbereichen in eine Tä- tigkeit als Betreuer einfließen, möchte ich einige Beispiele anführen.

©leremySchon häufiger habe ich Klienten betreut, nicht selten im fortgeschrittenen Alter, die nach jahrelanger Alkoholabhängigkeit unter der sog. Wernicke-Enzephalopathie bzw. dem Korsakow-Syndrom litten. Es handelt sich hierbei um eine durch jahrelangen Alkoholmissbrauch ausgelöste Merkfähigkeitsstörung, vergleichbar mit einer Demenz, die letztendlich dazu führt, dass die Klienten sich u. a. eben erörterte Sachverhalte und Geschehnisse häufig nur für wenige Sekunden merken können. In meiner Tätigkeit habe ich teilweise Klienten kennengelernt, die aufgrund dieser Erkrankung sogar vergessen haben, Alkohol zu trinken, und demzufolge mittlerweile abstinent sind.

Speziell in der Anfangsphase ist diese Erkrankung für Außenstehende jedoch nicht immer leicht zu erkennen. Die Betroffenen füllen häufig Erinnerungslücken mit Ereignissen aus der Vergangenheit und überspielen ihre fehlende Merkfähigkeit teilweise noch sehr glaubhaft. Die häufig vorkommenden aggressiven Phasen werden von der Umwelt meist falsch interpretiert und mit einer generellen Gewaltbereitschaft gleichgesetzt. Speziell in dieser Phase der Erkrankung konnte ich aufgrund meiner Erfahrungen in der Suchtarbeit häufig zwischen dem Betreuten und seinem Umfeld insofern vermitteln, als dass allein schon die Erläuterung des Krankheitsbildes gegenüber Angehörigen usw. zu einer Verbesserung der Situation führte.

Die Erkrankung ist im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr umkehrbar und die betroffenen Klienten sind nicht mehr in der Lage, in einem eigenen Haushalt zu leben. Selbst eventuell vorhandene Angehörige sind mit der Pflege häufig komplett überfordert, da diese Klienten nicht selten eine ausgeprägte Weglauftendenz haben und eine 24-stündige Betreuung benötigen.

In diesen Fällen beschränkt sich die Tätigkeit eines Betreuers in der Regel darauf, für den Klienten eine entsprechende Wohn- bzw. Unterbringungsmöglichkeit zu finden und die notwendigen Anträge bei Krankenkassen, Sozialhilfeträgern usw. zu stellen.

Völlig anders gestaltet sich die Betreuungsarbeit in den nicht selten vorkommenden Fällen, in denen eine Betreuung, auch hier für einen alkoholabhängigen Klienten, nach einer Entgiftungsbehandlung oder einer Langzeittherapie, meist angeregt durch den Sozialdienst der Kliniken, eingerichtet wird. Hier sind die Klienten teilweise mit den Anforderungen eines abstinenten Lebens dadurch überfordert, dass sie den Notwendigkeiten des Alltags anfangs nur schwer gewachsen sind. Sie brauchen Unterstützung in den unterschiedlichsten Lebensbereichen, sei es bei diversen Antragstellungen, bei der Wohnungssuche oder bei der Vermittlung von weiteren Hilfsangeboten, wie dem ambulant betreuten Wohnen. Auch der Hinweis auf Selbsthilfegruppen in der näheren Umgebung kann hier hilfreich sein.

Ziel einer Betreuung ist es, den Klienten unter Zuhilfenahme diverser Hilfsangebote wieder so weit zu stabilisieren, dass er letztendlich erneut in der Lage ist, sein Leben selbstständig zu gestalten, sodass die Betreuung dann aufgehoben werden kann.

Wichtig ist in diesen wie auch in allen anderen Fällen sicherlich, dass der Betreuer empathisch auf den Betreuten zugehen kann und wenn möglich ein Vertrauensverhältnis aufbaut, ohne seine Professionalität dabei zu verlieren. Auch hierbei waren mir die Erfahrungen aus meinen anderen Tätigkeitsfeldern immer sehr hilfreich.

©leremySpeziell in der Betreuung von suchterkrankten Klienten kommt es jedoch leider hin und wieder vor, dass ein Klient die Einrichtung einer Betreuung dazu nutzt, sich in der Gewissheit, sein Betreuer regelt alle anstehenden Antragsverfahren usw., zurücklehnt und sein Leben bzw. seinen Suchtmittelkonsum wie gewohnt weiterführt. In dem Bewusstsein, dass der Betreuer die finanzielle Absicherung schafft, um sein Leben in der gewohnten Art weiterzuführen, zeigt er kaum Bereitschaft, eine positive Wendung seines Lebens herbeiführen zu wollen.

Wenn eine Betreuung in einem solchen Fall nicht das geeignete Mittel ist, um die Situation des Klienten nachhaltig zu verbessern, kann beim zuständigen Amtsgericht eine Auflösung beantragt werden. Um eine solche Situation zu erkennen, sind hingegen Erfahrungen im Bereich der Suchtberatung bzw. Therapie wieder von großem Nutzen, da sie hilfreich für die Einschätzung der Lage sein können, um möglichem co-alkoholischen Verhalten vorzubeugen.

Ein weiteres Beispiel für Schnittpunkte zwischen Betreuung und anderen Berufsfeldern ergibt sich häufig auch speziell in der Betreuung von älteren Menschen. Hier begegnet einem oft die Aussage: „Der alte Mensch kann nicht mehr allein leben und gehört in ein Heim“.

Aufgrund unserer beruflichen Erfahrungen im Pflegebereich sind meine Frau und ich heute in der Lage, die Möglichkeiten der ambulanten Versorgung eines Betreuten eingehend zu überprüfen, bevor wir eine häufig vom Betreuten nicht gewünschte Unterbringung in einem Seniorenheim in Betracht ziehen. Hierbei kommt uns nicht zuletzt ein über viele Jahre aufgebautes Netzwerk zu Pflegeeinrichtungen, ambulanten Diensten und Kostenträgern wie Krankenkassen und Sozialhilfeträgern zugute.

Gerade in der Betreuung von älteren Menschen können Erfahrungen aus Berufsfeldern im medizinischen oder therapeutischen Bereich wie von Krankenschwestern, Krankenpflegern, Altenpflegern, Heilpraktikern, Psychotherapeuten etc. von großem Wert sein. Als Betreuer ist man speziell für ältere, pflegebedürftige Menschen häufig die einzige Ansprechperson außerhalb einer Senioreneinrichtung oder eines ambulanten Pflegedienstes. Die Klienten selbst sind oftmals nicht mehr in der Lage, ihre Wünsche und Ansprüche gegenüber den Einrichtungen zu kommunizieren. Hier ist ein Betreuer aufgefordert, die Interessen seines Klienten gegenüber Heimen und Pflegediensten zu vertreten, was mit Erfahrungen im Pflegebereich deutlich besser geschehen kann.

©leremyUm dies zu verdeutlichen, möchte ich hier den Fall eines Betreuten anführen, der durch einen ambulanten Pflegedienst fünfmal täglich in seiner eigenen Wohnung versorgt wurde, wodurch er in seinem gewohnten Umfeld verbleiben konnte – den Umzug in ein Seniorenheim hatte immer strikt abgelehnt. Der Pflegedienst hatte auch die dreimal tägliche Medikamentengabe übernommen.

Durch einen Computerfehler im System des Pflegedienstes waren die Anfahrtszeiten zur Medikamentengabe falsch koordiniert worden, sodass der Betreute bereits um 15 Uhr Tabletten erhielt, die für die Abendstunden verordnet waren. Mir als Sozialarbeiter ohne medizinische Vorkenntnisse war dies beim Unterzeichnen der Leistungsnachweise nicht aufgefallen. Meiner Frau, die wie gesagt ausgebildete Altenpflegerin ist, fiel dieser Fehler nach nur einem Blick auf die Nachweise auf. Somit konnten wir den Pflegedienst auf den Fehler aufmerksam machen und die Medikamentengabe wurde zeitlich neu geregelt.

Es ist mir wichtig, anhand dieser Beispiele deutlich zu machen, wie hilfreich Erfahrungen aus anderen Berufsfeldern in der Betreuungsarbeit sein können. Dies gilt sowohl für den Betreuer, der sein Wissen als psychologischer Berater, Suchtberater oder im Gesundheitsbereich Tätiger in seine Arbeit einfließen lassen kann, wie auch für die betreuten Klienten, da diese von den Erfahrungen und Kenntnissen des Betreuers profitieren, bei älteren Betreuern nicht selten auch von deren Lebenserfahrungen.

Gerald Gärtner Gerald Gärtner
Dipl.-Sozialarbeiter und Berater in psychosozialen Tätigkeitsfeldern, seit 1994 als Berufsbetreuer tätig

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.