Kinesiologie zwischen Tradition und Technik
EIN GERÄT SOLL DEN MUSKELTEST EINFACHER UND ZUVERLÄSSIGER MACHEN
Lässt sich für körperliche Störungen keine rechte Ursache finden, diagnostiziert die klassische Schulmedizin gern psychosomatische Beschwerden und verschreibt entsprechende Medikamente. Der Verweis auf psychosomatische Beschwerden ist meistens auch zutreffend, doch die eigentliche Ursache für die Beschwerden bleibt damit im Dunkeln.
Was ist es denn, was die Seele dazu veranlasst, den Körper krank zu machen? Heilpraktiker für Psychotherapie haben in der Regel den Ehrgeiz, nicht nur Symptome zu bekämpfen, sondern der tatsächlichen Ursache für die Beschwerden ihrer Patienten auf die Spur zu kommen.
BRÜCKE ZUM UNTERBEWUSSTEN
Ein bewährtes Instrument dafür ist die Kinesiologie: Sie geht davon aus, dass das Unterbewusstsein eines Menschen sehr genau weiß, „wo der Schuh drückt“, was stört oder fehlt, was Angst macht oder krank. Der manuelle Muskeltest dient den Kinesiologen quasi als Brücke zwischen Unterbewusstsein und Bewusstsein. Vereinfacht gesagt, antwortet der Körper der Getesteten auf die Fragen der Therapeuten mit „Ja“ (bei leichtem Druck mit den Fingern hält der abgefragte Testmuskel) oder „Nein“ (der abgefragte Testmuskel gibt bei Fingerdruck nach).
Auf diese Weise lässt sich zügig und erstaunlich treffsicher herausfinden, was Patienten ursächlich fehlt und auch, welche Therapie bei der Behandlung besonders Erfolg versprechend scheint.
Ein Profi-Kinesiologe übt beim Muskeltest mit den Fingern so sanften Druck aus, dass Patienten diesen Druck manchmal kaum wahrnehmen, und er kommuniziert so schnell mit dem Körper, dass Patienten diesen Prozess zwar miterleben; bewusste, durchdachte Antworten auf die jeweiligen Therapeuten-Fragen aber unmöglich wären. Wer also antwortet, ist nicht der Verstand der Patienten, sondern tatsächlich deren Unterbewusstsein, das aus anderen Hirnregionen gesteuert wird.
Was veranlasst die Seele, den Körper krank zu machen?
Darüber hinaus unterstützt die Kinesiologie auch die Auswahl geeigneter Interventionen. Selbst wenn der Patient den Werkzeugkasten des Therapeuten gar nicht kennt, wählt er – über die Reaktion seines Körpers – die passende Intervention im richtigen Moment aus. Der Therapeut muss also nicht ausschließlich auf seine Erfahrung vertrauen, sondern kann sich von der Resonanz des Patienten leiten lassen. Für viele Betroffene ist dies ein erleichterndes Gefühl: Die Therapie geschieht nicht „über ihren Kopf hinweg“, sondern in enger Abstimmung mit ihrem eigenen – unbewussten – Wissen.
BEWÄHRT – ABER NICHT EINFACH
Allerdings: Was der Laie hier so einfach formuliert, hat es in sich. Wer Kinesiologie sicher anwenden will, braucht neben einer fundierten Ausbildung auch eine ausgeprägte Feinfühligkeit für seine Mitmenschen und muss in der Lage sein, eigene (vorgefasste) Meinungen zu erkennen und auszublenden, um die Testergebnisse nicht zu verfälschen. Außerdem ist, räumen auch erfahrene Kinesiologen ein, auch diese Technik kein Allheilmittel: Die menschliche Psyche ist so komplex, dass Teile des Unterbewusstseins gerade bei heiklen Themen und Fragestellungen versuchen können, die Fragesteller und den Getesteten in die Irre zu führen. Doch für den, der die Technik beherrscht, ihre Möglichkeiten und Grenzen kennt, ist Kinesiologie ein hervorragendes Instrument im Methodenkoffer.
Zu diesen Fachleuten gehört Andreas Eichner. Als ausgebildeter Kinesiologe ist Eichner von den Potenzialen der Kinesiologie nicht nur überzeugt; er gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn das Gespräch auf die Möglichkeiten des manuellen Muskeltests kommt.
TECHNIK UND ERFAHRUNG
Doch zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust: Der 67-Jährige ist nämlich nicht nur Kinesiologe, er ist auch Ingenieur. Und als solcher wurmt es ihn, dass eine so bewährte Methode wie der manuelle Muskeltest nicht besser und leichter zugänglich ist. Grundgedanke dahinter: Wenn etwas funktioniert, und das nicht nur hin und wieder, sondern regelmäßig, muss es sich „fassen“ und ein Stück weit standardisieren lassen. Für Andreas Eichner ist der manuelle Muskeltest der Kinesiologie eine Art Biofeedback-System. Und, so die Idee: Wie sich die Ergebnisse des Biofeedbacks sicht- und messbar auswerten lassen – etwa durch Töne, Zeiger-Ausschlag oder Lampen – muss das auch bei der Kinesiologie möglich sein. Mit einem entsprechenden Gerät wäre die Kinesiologie als Methode nicht nur leichter anwendbar; man könnte zugleich auch das Risiko von Fehlinterpretationen minimieren.
Auf dieser Grundlage holte Andreas Eichner weitere Profis an Bord und entwickelte in den vergangenen Jahren ein Testgerät mit dem Namen „Quess“. Ziel: Elemente der Kinesiologie und andere Biofeedback-Methoden so zu verbinden, dass individuelle Stressfaktoren, Glaubenssätze oder Präferenzen sichtbar und für die Therapie nutzbar werden. Über eine App sollen Therapeutinnen und Therapeuten in die Lage versetzt werden, die Ergebnisse des Tests genauer auszuwerten und somit ein noch umfassenderes Bild zu erzielen. Damit, so das Ziel, sollen Therapeuten ein wertvolles Diagnose-Tool schnell und zuverlässig nutzen können. In einem weiteren Schritt sei auch die Anwendung zur Selbsterkenntnis denkbar. In diesen Fällen könnten die Informationen durch eine App für die nächste Coaching- oder Therapiesitzung erfasst werden.
EINE ERGÄNZUNG, ABER KEIN ERSATZ
Inzwischen steht das Projekt kurz vor der Marktreife; breit angelegte Testergebnisse seien überzeugend. Und doch betont Eichner: „So hilfreich eine technische Ergänzung sein mag, das Herzstück bleibt die persönliche Beziehung zwischen Therapeut und Patient.“ Seine Hoffnung ist deshalb, dass viele Kolleginnen und Kollegen die Kinesiologie erlernen und sie nicht als Konkurrenz zu anderen Verfahren sehen, sondern als integratives Instrument für ihren Methodenkoffer. Gleichzeitig könne „Quess“, basierend auf den individuellen Biodaten des Patienten, den Therapierenden wichtige Informationen für ihre Arbeit mit dem einzelnen Menschen liefern.
Jens Heckmann
Redakteur, Experte für
Öffentlichkeitsarbeit und Marketing