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Tod und Sterben als Lernaufgaben

Mittels Trauer gestärkt aus Verlusten hervortreten

Fehlende Trauerkultur: Bedingt durch den plötzlichen und sehr tragischen Tod meiner Mutter wurde mir wieder bewusst, wie wenig Aufmerksamkeit in der Gesellschaft auf Trauer und die Verarbeitung von Verlusten gelegt wird. Noch immer holen sich sehr wenige Menschen in diesen Schockphasen und oft herausfordernden Lebensphasen kraftgebende Unterstützung durch Fachpersonal – das muss nicht immer der Arzt oder Psychologe sein! Häufig geht man davon aus, es schon selbst irgendwie hinzubekommen. Ja, irgendwie schon.

Der Weg dahin hat jedoch mit wahrhaftiger Trauerarbeit meist wenig zu tun, da diese durchaus kräftezehrend sein kann und eine bewusste Auseinandersetzung erfordert. Dafür möchte man sich jedoch selten Zeit nehmen, da dazu ein Hinabsteigen in das verletzliche Innere notwendig wird. Damit sind wir wieder bei einem Punkt angelangt, der der Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und den Medien geschuldet ist. Im Gegensatz zu alten Völkern existiert bei uns kaum eine Trauerkultur, da hier die Effizienzorientierung – „höher, schneller und besser“ – und die Hinwendung zum „Positiven“ in den Mittelpunkt gestellt wird. Es gibt aber auch andere Aspekte des Lebens, die Beachtung verdienen und nicht immer an den Rand des Interesses gestellt werden sollten.

Die erwähnten alten Völker gingen bedeutend bewusster mit dem Tod und ihrer Trauer um und wendeten sich auch ganz bewusst ihren Ahnen zu, die Kraftquelle und Trost zugleich waren. Dadurch gab es einen gänzlich anderen Zugang, als wir ihn heute pflegen. Es scheint daher nicht verwunderlich, warum so viele Menschen den Tod fürchten, wo sie ihm doch aus dem Weg gehen.

Enttabuisierung von Tod und Sterben

Wenngleich Tod und Sterben zu den letzten Mysterien des Menschseins gehören, so dürfen sie dennoch ihren Schrecken für uns verlieren. Durch Missachtung, Verdrängung und Furcht wird die Übermacht dieses Themas versteckt noch größer. Es scheint durchaus verwunderlich, wie lieb- und bedeutungslos manchmal in Actionfilmen der Tod eines und vieler Menschen dargestellt und transportiert wird. Im Laufe der Handlung wird das Leben oft unzähliger Menschen ausgelöscht, als wären es wehrlose Marionetten oder Puppen, die nun nicht mehr aufstehen. Das Bewusstsein, dass es sich dabei genauso um Lebewesen handelt wie bei den Protagonisten, dürfte dabei völlig irrelevant sein.

Dieser Umstand bildet aber durchaus auch den Umgang der Gesellschaft mit Tod und Trauer ab. Sie werden so lange ignoriert, bis man sich damit auseinandersetzen muss. Dann wird es oft bitter und wir fühlen uns völlig hilflos, unfähig, damit umzugehen oder für uns zu verarbeiten. Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass das Tabu um diese Themen endlich gebrochen werden darf und Trauer Beachtung finden sollte. Einleitende Prozesse dazu sind dank der Literatur und vereinzelt durch Film und Fernsehen schon am Laufen. Doch sollte dies auch in den Herzen der Menschen ankommen.

Dabei sind meiner Meinung nach auch alle Fachberufe gefordert vom Heilpraktiker für Psychotherapie über Coaches, psychologische Berater (immer m/w/d) und alle Arten von energetisch arbeitenden Menschen. Denn genau dort erhalten Tod, Sterben und Trauer einen Namen und werden persönlich. Herrscht von beiden Seiten Furcht und Scheu, darüber zu sprechen oder sogar gemeinsam daran zu arbeiten, verstreicht der Moment und damit die Chance, in die Heilung zu gehen. Fragen wir uns daher, welche Gefühle lösen Tod und Sterben in mir aus und wie gehe ich mit Trauer um?

Die vielen Gesichter der Trauer

Werfen wir einen Blick auf die Trauer, so lässt sich hier kein einheitliches Bild zeichnen. Ganz im Gegenteil! Es erscheint mir wichtig, hervorzuheben, dass sie genauso vielfältig ist wie der Mensch selbst. Je nachdem, welche Erfahrungen jemand mit dem Tod gemacht hat bzw. wie bisher eine Auseinandersetzung damit stattgefunden hat, gibt es dann mehr oder weniger Ressourcen, auf die jemand in der Trauerzeit zurückgreifen kann. Daher sehe ich auch eine Enttabuisierung als so wichtig an. Erkennen wir, dass es hinsichtlich der eigenen Trauer kein Richtig oder Falsch gibt und sie viele Ausprägungen und Gesichter haben darf, können auch eigene Ansprüche und Vorstellungen aufgegeben und ein für sich selbst passender Zugang entwickelt werden. Dies kann dann auch zur Sensibilisierung hinsichtlich unserer Mitmenschen beitragen und das Verständnis für ihre individuelle Trauer stärken.

Häufig fühlen wir uns unsicher und unbeholfen, wie wir trauernden Menschen beistehen können. Dabei kann es sinnvoll sein, offen anzusprechen, ob man miteinander Zeit verbringen darf oder der andere lieber seine Ruhe haben möchte. Manche wünschen sich nichts mehr, als ab und an etwas Ausgleich zu erhalten, andere möchten niemanden sehen. Wird der Trauernde nicht gefragt, weil man sich als Helfer aus Unsicherheit einfach zurückzieht, unterstützt man damit nicht immer automatisch den Trauerprozess und tut sich selbst im Umgang damit nichts Gutes.

Gleichzeitig ist Trauer kein linearer, geradliniger Prozess, sondern kann durch emotionale Höhen und Tiefen gehen sowie auch immer wieder vor und zurück führen. Gerade dabei können wir in unterschiedlichem Ausmaß Beistand benötigen, um nicht allein durch die damit verbundenen Herausforderungen wandern zu müssen.

Der Raum für Trauer

Ganz im Sinne der gesellschaftlichen Schnelllebigkeit soll auch die Trauer möglichst rasch ad acta gelegt werden, um den Alltag wieder voll einsatzfähig bewältigen zu können. Diese Vorgehensweise mag zwar bei vielen Dingen des Lebens mehr oder weniger gut funktionieren – bei der Trauer und dem damit verbundenen Prozess ganz bestimmt nicht. Für Seele und Unterbewusstsein gibt es meiner Meinung nach kaum Belastenderes als ungelebte Trauer. Insbesondere beim Verlust eines geliebten Menschen – teils unter tragischen oder plötzlichen Umständen – brauchen Körper, Geist und Seele erst einmal Zeit, das gesamte Ausmaß dessen, was geschehen ist und wie sich das eigene Leben nun verändern wird, zu begreifen.

Trauer verlangt also Raum und Beachtung und sollte keineswegs ignoriert werden. Verlust und Abschied bringen uns in Kontakt mit unseren Grundängsten, wie sie der Schweizer Hypnosetherapie-Experte Gabriel Palacios beschreibt: nämlich jene, die Kontrolle zu verlieren, nicht zu genügen oder alleine zu sein. Der Tod bringt unweigerlich mit der eigenen Endlichkeit, aber auch Gegebenheiten in Kontakt, die nicht mehr zu ändern sind.

Das hören viele Menschen natürlich nicht gerne, weil sie so gut wie möglich den Überblick behalten möchten. Bewusst gelebte Trauer kann dies über den Haufen werfen, zeigt sie uns doch unser verletzliches Inneres auf. Genau das darf auch gepflegt und angenommen werden. Dabei kann es hilfreich sein, sich zurückzuziehen und den Verlust zu verarbeiten. Auch wenn dies oft nicht möglich erscheint, so lohnt es sich doch, auch zu artikulieren, dass man Zeit braucht und gerade nicht zu 100 % einsatzfähig ist. Erhält Trauer ihren Platz im Leben und eine bewusste Auseinandersetzung, so können wir daraus gestärkt hervorgehen.

Lebenslektionen

Sobald der Trauer die Türe zu unserem Herzen geöffnet wird, sind wir verletzlich. Dieser Zustand lässt sich jedoch auch nutzen, um genau diese Anteile in uns zu heilen und möglicherweise uns selbst besser kennenzulernen. Wir werden überrascht sein, was im Laufe der Zeit so alles in unserem persönlichen Rucksack gelandet ist bzw. nach unten gestopft wurde. All das kann während einer Beschäftigung mit sich und seinem Leben im Rahmen der Trauerarbeit ans Tageslicht kommen. Sonst bleibt dafür meist keine Zeit und immer mehr sammelt sich an. Trauer stellt also durchaus eine Lektion fürs Leben dar, die weitere Route festzulegen und Ballast abzuwerfen.

Doch auch die Beschäftigung mit Tod und Sterben hält allerlei Lernaufgaben bereit, wenn man ihnen zuhört. Ein paar davon, die ich für mich erkannt habe, sind hier aufgelistet.

– Zusammenhalt: Lasse nichts auf dir nahestehende Menschen kommen! Haltet zusammen und seid füreinander da. Gerade in herausfordernden Zeiten ist der Rückhalt unendlich kostbar.

– Prioritätenprüfung/-verschiebung: Wie oft legen wir Wichtigkeiten von Terminen und Aufgaben fest und übersehen dabei die wirklich wichtigen Dinge. Verschiebe keine Treffen oder gemeinsame Aktivitäten, du weißt nicht, ob es ein Spä- ter geben wird!

– Carpe vitam: Pflücke das Leben. Lebe also bewusst, anstatt zu existieren. Viele Menschen hasten von einem Termin zum nächsten und werden aus ihrem Programm erst durch Katastrophen herausgerissen. Dann ist es manchmal zu spät, etwas zu verändern oder die Zeit zu genießen.

– Setz dich mit der eigenen Endlichkeit auseinander: Würden wir uns manchmal vor Augen führen, dass wir nur eine bestimmte und absehbare Zeit hier auf Erden verbringen, würden wir vielleicht seltener sinnlos Zeit vergeuden. Oft scheint es, als hätten wir unbegrenzt Zeit! Leider nein!

– Schätze des eigenen Lebens: Wir dürfen öfter erkennen, wie privilegiert wir sind, und uns öfter glücklich schätzen, wie viele wertvolle Menschen und Aspekte unser Leben bereichern. Manche Menschen würden für Gesundheit, ein eigenes Häuschen oder einen liebevollen Partner alles tun.

– Annehmen und Loslassen: Wie häufig hadern wir mit Gegebenheiten in unserem Leben und überlegen, warum sie so sind, wie sie sind. So schwer Annehmen und Loslassen erscheinen, so sehr kann dadurch der Weg in die Zukunft leichter werden. Der Tod zeigt in aller Härte auf, dass es manchmal nicht anders geht, als zu akzeptieren.

Zugänge zur Trauerarbeit

Wir können also durchaus aus diesen doch eher schweren Themen lernen. Dafür braucht es jedoch auch den passenden Zugang und eine entsprechende Vorbereitung. Genau daran mangelt es aber häufig. Viele Menschen wissen nicht, wie sie trauern sollen, weil sie es schlicht nie gelernt haben – also fehlende Trauerkultur. Dafür braucht es meiner Erfahrung nach einfach liebevolle Begleiter, die einen Zugang dazu schaffen können.

Trauern selbst kann dann nur jeder für sich individuell. Einige Möglichkeiten, dies zu erleichtern, sind hier genannt.

– Stille und Entspannung: Diese beiden Aspekte sehe ich als wichtige Basis für die persönliche Trauerarbeit an. Kommen wir erst zur Ruhe, kann eine Bewusstwerdung stattfinden und wir dürfen dabei Erinnerungen und Gefühlen freien Lauf lassen. Das kann manchmal herausfordernd, aber sehr heilsam sein. Unterstützen können dabei Visualisierungen, Meditationen, Fantasiereisen oder einfach nur Entspannungsmusik.

– Rituale: Viele kleinere oder größere Abläufe und Rituale wie das Anlegen eines Trauertagebuches oder der Besuch von gemeinsamen Orten können schöne Gelegenheiten bieten, Zugang zur Trauer zu entwickeln und für sich den Verlust zu verarbeiten.

– Liebevolles Gedächtnis: Hauptziel der eigenen Trauerarbeit sollte auf lange Sicht sein, hinsichtlich des verstorbenen Menschen ein liebevolles Gedächtnis zu entwickeln. Erinnerungen, das Erstellen von Gedenkgegenständen wie ein Erinnerungsbuch oder auch Projekte, die wir Verstorbenen widmen, können einen sehr schönen Ausdruck dafür darstellen.

– Übungen: Körper-, Atem- und interaktive Übungen können dazu beitragen, sowohl die eigene Lebendigkeit wieder zu stärken, als auch sich selbst wieder zu spüren. Der Schock durch einen Todesfall kann uns als Schutzmechanismus in eine Taubheit und Starre führen, die manchmal schwer von unserer Seite weichen. Übungen fördern daher die bewusste Arbeit mit der Trauer und fördern das eigene Tun.

– Gebete: Noch immer werden damit rein christliche verbunden. Doch Gebete sind im Grunde genommen Texte, die von uns persönlich eine ganz bestimmte Kraft erhalten und mit einer besonderen Intention gesprochen werden. Beten kann also jeder, unabhängig von Glaube oder Religion.

– Kleine Helfer: Es gibt viele kleine Unterstützer, die in Zeiten der Trauer die Schwere lindern und neue Kraft verleihen können. Neben Bachblüten, ätherischen Ölen, Heilsteinen und Kräutern können auch die Aura-Soma-Öle segensreiche Impulse liefern.

Meditation: „Mantel der Geborgenheit“

Schließe die Augen und mach es dir in einer angenehmen Position gemütlich! Nimm dir Zeit und lasse deinen Atem zur Ruhe kommen. Je gleichmäßiger sein Rhythmus wird, desto entspannter wirst du.

Stelle dir nun vor, wie jemand von hinten die Hände auf deine Schultern legt. Sie sind ganz warm und tröstlich. Im Herzen spürst du die Gewissheit, dass die verstorbene Person hinter dir steht und dich begleitet. Du kannst sie zwar nicht sehen, dennoch ist sie da und lässt dich ihre Anwesenheit spüren. In deiner Vorstellung legt sich diese tröstliche Geborgenheit, die du nun erfährst, wie ein schützender Mantel um dich. Vielleicht nimmst du ihn in einer bestimmten Farbe wahr? Spüre, wie dich der Mantel umhüllt und die Anwesenheit der verstorbenen Person dein Herz heilt.

Du bist nicht allein! Genieße diesen Moment und kehre anschließend in deine Gegenwart mit geöffneten Augen zurück!

Fazit

Sowohl Tod und Sterben als auch die Trauer sind im Grunde genommen ganz natürliche Aspekte des Lebens und haben dennoch einen sehr negativen Stellenwert in ihrer gesellschaftlichen Betrachtungsweise. Sie stellen den kompletten Kontrast zu den schönen Seiten des Lebens dar. Ja zwangsläufig, da sie die andere Seite der Medaille abbilden. Dennoch können wir von diesen zu Unrecht tabuisierten Themen vieles über uns, aber auch für unser weiteres Leben lernen.

Wird die Trauerarbeit bewusst begangen und der Mut aufgebracht, tief in sein Inneres einzutauchen, so erhalten wir einmalige Chancen, Altes loszulassen und uns neu auszurichten. Verändert sich der Blick vom Ende des uns bekannten Lebens zu einer Seinsweise, die geprägt wird von einer achtsamen Nutzung der eigenen Lebenszeit und einer Wertschätzung der eigenen Einzigartigkeit, so verliert der Tod seinen Schrecken und kann in mancherlei Betrachtung zum Vorbild werden.

Philipp Feichtinger:
Liebevoll getröstet.
Neue Kraft schöpfen in Zeiten der Trauer.
Schirner Verlag, 2022

Philipp Feichtinger
Heilpraktiker, Naturheil- und Hypnosetherapeut, Organetiker,
AMQ-Mentalcoach, Autor, Naturheilpraxis in Riedau/Österreich

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