Atemtherapie als unterstützendes Instrument
Die Buteyko-Methode und die 4-7-8-Technik nach Dr. Weil
EINFÜHRUNG IN DIE ATEM- THERAPIE
Die Ursprünge der Atemtherapie reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Erste wissenschaftliche Untersuchungen in den 1930er-Jahren erfolgten primär im körpermedizinischen Kontext, insbesondere bei Lungenkrankheiten, und später in der Physiotherapie. Ab den 1940er-Jahren erkannten Wilhelm Reich und später Carl Rogers die Bedeutung des Atmens auch in der Psychotherapie. Moderne Ansätze, wie Jon Kabat-Zinns Stressreduktionstechniken und Peter Levines körperorientierte Traumatherapie, betonen ebenfalls die Rolle der Atmung. Besonders interessant finde ich die wachsende Bedeutung von Atemtechniken im Kontext der „3. Welle“ der Verhaltenstherapie. Diese richtet den Fokus nicht nur auf Verhaltens- und Denkmuster, sondern fördert Akzeptanz, Achtsamkeit und den Umgang mit emotionalen Erfahrungen – Aspekte, die die Atemtherapie ebenfalls beinhaltet und sie damit besonders zeitgemäß macht.
Atemtechnische Übungen lassen sich gut in verschiedene Therapieverfahren integrieren. Viele Patienten schätzen es, eine Technik zu erlernen, die sie selbstständig und ortsunabhängig anwenden können, vor allem in stressreichen Situationen, bei beginnenden Panikattacken o.Ä.
Atemtherapeutische Übungen bieten Einsatzmöglichkeiten zur Reduktion von
- Stress
- Ängsten und Panik - Aufregung
- innerer und motorischer Unruhe
Sie fördern:
- die Achtsamkeit - die Selbstwirksamkeit - die Selbstregulation
ATEMTHERAPIE NACH BUTEYKO
Meine weiteren Ausführungen beziehen sich auf die Atemtherapie nach Buteyko. Mich spricht sein Ansatz besonders an, da er praktikabel, verständlich und gegenüber esoterischen Richtungen neutral ist. Der Arzt Konstantin Buteyko entwickelte in den 1960er-Jahren eine Methode zur Verbesserung der Atemmuster, um Atemwegserkrankungen durch gezielte Übungen zu behandeln.
GRUNDLAGEN
Buteyko führt Atemmusterstörungen auf Stress zurück, da dieser in unserer westlichen Gesellschaft weitverbreitet ist. Chronischer Stress führt zu einer Anpassung des Atemmusters, wobei meist mehr Luft als physiologisch notwendig ausgetauscht wird und vermehrt im oberen Brustkorb geatmet wird – ohne dabei mehr Sauerstoff zu gewinnen. Buteyko legt großen Wert auf die Nasenatmung, da sie eine Überatmung verhindert und somit weniger CO2 verloren geht, was die Sauerstoffverteilung verbessert. Der Körper bleibt in der aeroben Zellatmung und produziert dadurch pro Atemzug mehr Energie, was einer Gewebeübersäuerung vorbeugt. In den Nasennebenhöhlen entsteht Stickstoffmonoxid, das die Atemluft desinfiziert, Gefäße entspannt und die Sauerstoffversorgung unterstützt.
Das Gefühl des „Luftwunsches“ spielt bei den Atemübungen eine wichtige Rolle. Durch das bewusste lange Ausatmen wird der Parasympathikus aktiviert, was kurzfristig zu einem CO2-Anstieg im Blut führt, was wiederum zur Entspannung und zur Regulierung von Schwindel beitragen kann. Das Verhältnis von Ein- und Ausatmung ist entscheidend für die Regulation des autonomen Nervensystems. Die physiologische Atemfrequenz in Ruhe sollte laut Buteyko bei etwa 14 Atemzügen pro Minute liegen, wobei das Einatmen kürzer als das Ausatmen ist und nach der Ausatmung eine kurze Atempause eingelegt wird. Buteykos Methode schließt auch das Freihalten der Nase ein (darauf wird hier nicht eingegangen) sowie Atemübungen zur Entspannung, ergänzt durch Lebensstiländerungen, Achtsamkeit und Gelassenheit.
ZUSAMMENFASSUNG DER BUTEYKO-METHODE
Nasenatmung: fördert die Atmung durch die Nase statt durch den Mund, um die Atemwege zu befeuchten und die Luft zu filtern.
Reduktion der Atemfrequenz: Ziel ist eine flachere und langsamere Atmung, die den Sauerstofftransport im Körper optimiert.
Bewusstseinsbildung: Schulung der Patienten, um ein besseres Bewusstsein für Atemgewohnheiten zu entwickeln.
Atemtechniken: anwendungsorientierte Techniken z. B. für Sport, Yoga oder zur Erweiterung des Bewusstseins.
Entspannung: Integration von Entspannungstechniken zur Unterstützung der Atemtherapie und Stressreduktion.
Reflexion und Routine: individuelle Anpassung und Reflexion der Übungen.
4-7-8-ATMUNG
Ich habe mich für die 4-7-8-Atmung nach Dr. Andrew Weil entschieden. Diese Technik ist leicht zu erlernen und gezielt zur Entspannung geeignet:
- langsames Einatmen durch die Nase (4 Sekunden) - Atem anhalten (7 Sekunden)
- doppelt so langes Ausatmen durch den Mund mit Lippenbremse (8 Sekunden)
Die drei Phasen sollten im Verhältnis 4:7:8 Sekunden ausgeführt werden, können aber nach Bedarf angepasst werden, z. B. in einem Verhältnis von 3:4:6 Sekunden.
Atemtechnische Übungen lassen sich gut in verschiedene Therapie- verfahren integrieren. Viele Patienten schätzen es, eine Technik zu erlernen, die sie selbstständig und ortsunabhängig anwenden können.
Exkurs zur Lippenbremse: Die Lippenbremse hat eine zusätzliche Funktion bei der Aktivierung des Parasympathikus, indem sie die Ausatmung verlangsamt und kontrolliert. Durch sanftes, widerstandsfähiges Ausatmen mit leicht geschlossenen Lippen wird der Druck in den Atemwegen erhöht, was die CO2-Konzentration stabilisiert und die Luftzirkulation optimiert.
Ich übte die 4-7-8-Technik zunächst selbst, wobei mir das Einhalten der Zeiten anfangs schwerfiel und ich gelegentlich nach Luft schnappen musste. Mit zunehmender Übung stellte sich eine entspannende, innere Ruhe ein, die nach Anwendung zunächst etwa eine Stunde anhielt. Für mich war diese Erfahrung wichtig, um selbst zu wissen, wie sich diese Ruhe anfühlt, wie lange sie wirkt und wie es ist, mit dem Luftwunsch umzugehen.
FALLSTUDIE
Eine 24-jährige Patientin suchte mich wegen innerer Unruhe und panikartiger Symptome auf. Sie berichtete von Ängsten vor einer anstehenden Prüfung, Schlafproblemen und Grübeln. Derzeit schreibe sie ihre Bachelorarbeit und arbeite nebenbei, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Im Kontakt zeigte sie sich mitteilungsbereit, lebhaft und leicht theatralisch, mit leichten Konzentrationsstörungen.
In ihrem Denken überwogen Grübeln und assoziativ gelockerte Gedanken, jedoch ohne inhaltliche Denkstörungen oder Ich-Störungen. Sie hatte innerhalb des letzten Monats drei Panikattacken erlebt und zeigte schwache hypochondrische Ängste sowie starke innere Unruhe. Auffälligkeiten im Verhalten waren das Kauen an den Fingern und Fußwippen während der Sitzungen. Die Selbstregulation war bei innerer Anspannung kaum vorhanden und sie reagierte auf kleinste Angstanzeichen mit psychomotorischer Übererregung und Ablenkungsstrategien.
Eine organische Abklärung durch den Hausarzt ergab eine Hypothyreose, die vor Ort medikamentös eingestellt wurde. Weitere körperliche Einschränkungen, die eine Atemtherapie ausschließen könnten, lagen nicht vor.
Nach Befundung und Anamnese ergaben sich folgende Diagnosen:
- Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F33.0) - Panikstörung (F41.0)
Als Heilpraktiker für Psychotherapie ist es uns nicht erlaubt, eine körperliche Befundung durchzuführen. Der Atembefund erfolgt daher durch Beobachtung und gezieltes Nachfragen, wobei Schwere und Dringlichkeit durch SUD-Werte (0 = gar nicht, 10 = extrem stark) skaliert werden.
In den ersten vier Sitzungen wurden Befund, Anamnese, grundlegende Themen und Ziele besprochen. Zudem fanden erste analytische Zusammenhänge statt. Nun begann ich parallel zur Verhaltenstherapie mit dem Einsatz der Atemtherapie. Es war auch für mich spannend.
Aufklärung
Ich erklärte der Patientin die Bedeutung des „guten“ Atmens im Zusammenhang mit Angst und Stress und führte dabei grundlegende Informationen zum Parasympathikus und zu seinen Auswirkungen an. Ich verdeutlichte außerdem die Wichtigkeit der Bauchatmung, da Anspannung in der Regel zu einer flacheren Atmung führt, was nicht nur muskuläre Verspannungen nach sich ziehen kann, sondern auch die Entspannungsfähigkeit reduziert. Gemäß der Buteyko-Methode ist auch der Lebensstil von Bedeutung, den wir im weiteren Verlauf thematisierten. Innerhalb einer Panikattacke könne gezieltes Atmen helfen, sich schneller zu beruhigen oder, bei frühzeitigen Anzeichen, eine starke Panikattacke ganz zu verhindern.
ATEMBEFUNDUNG
- Alter zwischen 20 und 30 Jahren, weiblich - keine Tätigkeit mit vermehrter Exposition gegenüber Staub oder Giftstoffen - Nichtraucherin
- keine Schmerzen beim Atmen (SUD = 0) - kein Auswurf, keine übermäßige Sekretbildung - keine erkennbare Nutzung von Atemhilfsmuskulatur
- Atemnot nur bei Panikattacken (SUD = 8) - keine sichtbare Atemanstrengung erkennbar - Atemfrequenz jedoch sichtbar unregelmäßig, insbesondere bei Aufregung
- Mundatmung sowohl bei Ein- als auch Ausatmung - häufiges Seufzen bereits in den ersten Sitzungen auffällig
- sichtbar flaches Brustatmen, kaum Bauchatmung - keine rasselnden Atemgeräusche hörbar
Diese Untersuchung sorgte für eine sehr heitere Stimmung, da es für uns beide neu war und die Patientin angab, noch nie so detailliert über ihr Atemsystem befragt worden zu sein.
Wir besprachen folgende Ziele:
- Verbesserung der Atembewegung und Erlernen des „guten“ Atmens
- aktive Wahrnehmung der Atembewegung für mehr Achtsamkeit
- Erlernen einer Atemtechnik zur Reduzierung des Stresslevels
Plan zur positiven Veränderung des Lebensstils
In Übereinstimmung mit der Buteyko-Methode stellten wir eine Liste einfach umsetzbarer Änderungen ihres Alltags zusammen, die die Patientin ab sofort realisieren wollte:
- nicht später als 23 Uhr zu Bett gehen - Handy ab 21 Uhr komplett ausschalten - regelmäßiges Joggen wieder aufnehmen - pro Tag mindestens ein Stück Obst essen
- Probleme und Aufgaben direkt mit ihrem Partner besprechen
- sich ohne Schuldgefühle kurze Auszeiten gönnen - Beschränkung auf maximal zwei Tassen Kaffee täglich - tägliches Üben der Atemtechnik morgens und abends
Erstes Üben der 4-7-8-Technik
Nach Erklärung und Demonstration der Technik führte die Patientin erste Versuche durch. Ihre anfängliche Unsicherheit und Luftnot aufgrund der langen Atempausen konnte ich durch meine ruhige Begleitung auffangen. Das hörbare Ausatmen begleitete ich laut mit, um die Compliance zu fördern. Zudem half es, wenn wir während der Atemphasen laut die Sekunden zählten. Sie schaffte zunächst zwei Atemdurchgänge und machte dann eine Pause; beim zweiten Versuch konnte sie bereits sechs Durchgänge absolvieren. Sie spürte eine beruhigende Wirkung während der Übung, obwohl sie dabei ein paar Mal nach Luft schnappte. Ich erklärte, dass dieses unangenehme Gefühl zu Beginn normal sei, sich jedoch mit der Zeit legen würde. Wir vereinbarten, dass sie die Technik weiterhin morgens und abends üben und dabei durch die Nase einatmen solle.
6. Sitzung
Eine Woche später trafen wir uns erneut. Zu Beginn führten wir eine zweiminütige Phase der Stille durch, in der die Patientin sich auf ihre Atmung und das Körpergefühl konzentrierte. Die Hausaufgaben hatte sie alle erfolgreich umgesetzt und war insbesondere stolz darauf, ihren Handykonsum eingeschränkt zu haben. Die Atemübungen führte sie zusätzlich zur Liste auch in ihrer Mittagspause durch. Am meisten Schwierigkeiten bereitete ihr weiterhin die Luftnot. Ich lobte ihr Engagement und beschloss, die Luftanhalte-Phase auf fünf Sekunden zu verkürzen, was deutlich besser funktionierte.
10. Sitzung
Ohne Aufforderung begann die Patientin die Atemübungen von sich aus. Sie war stolz, die Übungen konsequent zu Hause durchgeführt zu haben. Mir fiel auf, dass sie weniger nervös wirkte. Das Gefühl von Luftnot während der langen Atempause hielt sie bereits besser aus und berichtete, dass sich ihre Konzentrationsfähigkeit verbessert habe. Im Verlauf der Sitzung bearbeiteten wir Themen ihres Perfektionismus. Kurz vor Ende führten wir erneut eine Atemübung durch, bei der ich die Patientin leise anleitete. Sie schaffte sechs Durchgänge und beschrieb eine stark beruhigende Wirkung.
17. Sitzung
Die Patientin berichtete, dass sie in den letzten Wochen „irgendwie“ ruhiger gewesen sei, sowohl zu Hause als auch am Arbeitsplatz. Sie hatte jedoch eine Panikattacke erlebt und hinterfragte dadurch vieles. Auf meine Frage, wie lange diese Panikattacke im Vergleich zu früheren anhielt, stellte sie fest, dass diese kürzer gewesen war. Dies sei ein Erfolg, betonte ich, und bestärkte sie in ihrem Fortschritt. Ich überlegte kurz, eine andere Atemtechnik vorzustellen, entschied mich jedoch dagegen, da ich für einen schrittweisen, geduldigen Ansatz plädiere.
ABSCHLUSS DER THERAPIE NACH 22 SITZUNGEN
Hiermit schließe ich die Darstellung der Sitzungen ab, da sich die Beobachtungen und Effekte der Atemtherapie bei dieser Patientin im weiteren Verlauf nicht wesentlich veränderten. Sie konnte die Atemübungen während der gesamten Therapie selbstständig und regelmäßig zu Hause durchführen. Eine signifikante Verkürzung der Dauer der Psychotherapie allein durch die Atemtherapie ließ sich jedoch nicht feststellen. Dennoch erwies sich die Atemtechnik für die Patientin als wertvolle Methode zur schnellen Beruhigung, was sie selbst immer wieder bestätigte. Sie betonte zudem, dass auch die gemeinsam erarbeiteten Veränderungen ihres Lebensstils zu ihrem Fortschritt beigetragen haben.
REFLEXION DER GESTECKTEN ZIELE
Verbesserung der Atembewegung und Erlernen des „guten“ Atmens
Das „gute Atmen“ hat die Patientin erfolgreich erlernt und kann nun bewusster in den Bauch atmen. Ich bin von der Buteyko-Methode leicht abgewichen und verlange keine zusätzlichen Übungen zum Freimachen der Nase.
Aktive Wahrnehmung der Atembewegung
Das Bewusstsein für den Atemfluss fördert mehr Achtsamkeit und Körperwahrnehmung – ein häufiges Defizit bei Angstpatienten. Die Veränderungen im Lebensstil tragen zweifellos zur Stabilisierung bei.
Erlernen einer Atemtechnik zur Reduzierung des Stresslevels
Die 4-7-8-Technik war für diese Patientin hilfreich und ich plane, künftig eventuell mehrere Techniken anzubieten, sodass Patienten selbst entscheiden können, welche sie bevorzugen. Die Atemtherapie werde ich weiterhin einsetzen, sofern die Patienten offen dafür sind.
Das Gefühl des Luftwunsches spielt bei den Atemübungen eine wichtige Rolle. Durch das bewusste lange Ausatmen wird der Parasympathikus aktiviert, was kurzfristig zu einem CO
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-Anstieg im Blut führt.
GRENZEN DER ATEMTHERAPIE
Traumatische Erfahrungen: Bei schwerem Trauma kann das Fokussieren auf den Atem unangenehme Gefühle hervorrufen.
Körperliche Einschränkungen: Patienten mit bestimmten Atemwegserkrankungen können die Techniken möglicherweise nur schwer umsetzen.
Widerstand oder Unbehagen: Manche Klienten finden Atemübungen befremdlich oder schwierig. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Atemtherapie bzw. das Erlernen einer Atemtechnik ein wertvolles Werkzeug zur Reduktion von Stress, Ängsten und allgemeiner Anspannung ist. Dabei hat sich für mich herausgestellt, dass weniger die genaue Einhaltung der Atemphasenzeit im Vordergrund stehen sollte. Viel wichtiger ist, länger aus- als einzuatmen und darauf zu achten, dass der Atem ruhig, sanft und langsam durch die Nase fließt.
Die Anleitung erfordert Geduld und regelmäßige Wiederholung, da nicht alle Klienten dafür offen sein werden. Für diejenigen, die bereit sind, sich darauf einzulassen, bietet die Atemtherapie ein nützliches Instrument, das nicht nur Ängste, sondern jede Form von Stress und den gesamten Körper beruhigen kann.
Psychotherapie, Praxis in Hagen/ Westfalen mit Schwerpunkten Angststörungen und Traumatherapie