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Trauerbegleitung: In der Trauer liegt die Kraft

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In der Trauer liegt die Kraft. Auf den ersten Blick erscheint dieser Satz sehr befremdlich. Mit der Trauer verbinden wir meist Schmerz, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Wenn wir an Kraft denken, dann verbinden wir dies eher mit glücklichen und gesunden Zeiten in unserem Leben und nicht mit den dunklen Lebensphasen.

Diesen Zusammenhang möchte ich gerne im Folgenden aufzeigen. Dafür werde ich den obigen Satz in seine Einzelteile zerlegen und näher darauf eingehen.

©bramginoIn der Trauer ...

Die Trauer ist häufig Teil unseres Lebens. Meistens verbinden wir die Trauer mit dem Verlust eines geliebten Menschen oder eines Tieres. Auch der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Bruch einer Beziehung oder Freundschaft lässt uns trauern. Die Gefühlswelle der Trauer bricht oft unerwartet über uns herein. Ein Ereignis reißt uns aus dem gewohnten Leben und Alltag. Wir fallen förmlich in die Trauer hinein und scheinen in ihr gefangen zu sein. Ein Weg heraus erscheint zu diesem Zeitpunkt kaum möglich.

Auch wenn rationales Wissen über die Trauer nicht das Gefühl wegnimmt, so kann es doch ein größeres Verständnis vermitteln und das Annehmen des momentanen Zustandes erhöhen.

Die in der Schweiz geborene Psychologin Dr. Verena Kast hat den Trauerprozess in vier verschiedene Phasen eingeteilt, die ich im Folgenden kurz vorstelle.

Phase 1: das Nicht-wahrhaben-wollen

Diese Phase ist geprägt vom nichtWahrhaben-Wollen. Die Nachricht des Verlustes gleicht einem Schock, der die Gefühle erstarren lässt. Der Verlust wird geleugnet und die betroffenen Menschen fühlen sich gefühlsleer. Auf der körperlichen Ebene können sich Symptome wie ein erhöhter Puls, vermehrtes Schwitzen oder auch Übelkeit zeigen.

Phase 2: die aufbrechenden Emotionen

In dieser Phase wirbeln die Gefühle durcheinander. Sie brechen regelrecht aus der Schockstarre heraus. Wut, Verzweiflung, Angst, Schuldgefühle, Zorn, Hoffnungslosigkeit, Schmerz und viele Gefühle mehr zeigen sich. Manche Menschen sind erschüttert über diese Gefühlsachterbahn, insbesondere, wenn sich z. B. Wut oder auch Schuldgefühle gegenüber dem Verlust zeigen.

Phase 3: das Suchen und Sich-Trennen

Diese Phase ist geprägt von Wechseln. Das Bedürfnis nach Nähe, nach gelebten Gemeinsamkeiten, nach gemeinsamen Erinnerungen ist sehr groß. Mit diesen lebendigen Bildern werden die ersten Schritte des Sich-Trennens gegangen. Das Erleben und Spüren eben dieser Erinnerungen hilft den Hinterbliebenen, dem/der Verstorbenen einen passenden Platz für ihr weiteres Leben zu geben.

Phase 4: neuer Selbst- und Weltbezug

In den vorangegangenen Phasen wurden neue Wege versucht und gegangen, um mit dem Verlust hoffnungsvoll in die Zukunft zu gehen. Es können wieder Beziehungen geknüpft werden und ein neues Selbstbild ist am Entstehen und kann gelebt werden. Der/die Verstorbene hat einen guten Platz im Leben der/des Hinterbliebenen gefunden und bleibt Teil des Lebens.

Die Dauer der Phasen lässt sich zeitlich schwer eingrenzen. Es kann auch sein, dass je nach Lebenssituation und Erlebtem eine bereits durchschrittene Phase sich erneut zeigen kann.

... liegt die Kraft

Durch die Erfahrung eines Verlustes und der sich anschließenden Trauer werden wir Menschen in unseren Grundfesten erschüttert. Mit dem Verlust stirbt auch ein Teil unseres Lebens mit. Es können sich Lebens- und Wohnsituationen ändern, tägliche Gewohnheiten und Rituale, gelebtes Zusammensein lösen sich ins Nichts auf.

Diese Grenzsituation verändert alles bisher Gewesene. Wir stehen ganz plötzlich unserem eigenen Ich gegenüber.

  • Was bleibt oder ist geblieben nach dem Verlust?
  • Wer bin ich?
  • Wie ist mein Blick auf das vergangene Leben?
  • Wie ist mein Blick auf das Kommende?
  • Welche Eigenschaften haben mir früher schon geholfen, schwere Zeiten zu meistern?
  • Habe ich mein bisheriges Leben echt und authentisch gelebt?
  • Was darf anders werden?

Genau in diesen Überlegungen und dem Erleben des schutzlosen ICH besteht die große Kraft, das eigene Leben zu reflektieren und neue Perspektiven für die Zukunft zu schaffen.

Trauerarbeit ist mutig, denn um die Trauer gut zu verarbeiten und die Beziehung zu dem/der Verstorbenen tragfähig für die Zukunft zu machen, geht der Weg nur durch die Trauer hindurch.

Daran vorbeizugehen, kann für eine gewisse Zeitspanne helfen. Sie können sich jedoch sicher sein, dass sich die nicht verarbeitete Trauer immer wieder zeigt. Denn sie will gehört, gesehen und verarbeitet werden. Wenn die Trauer immer wieder unterdrückt wird, sei es Gefühle zu schlucken oder mit Medikamenten zu betäuben, wird der Körper sich über kurz oder lang mit organischen Symptomen zeigen. Der Körper übersetzt den Zustand der Seele in Symptome.

An dieser Stelle ist die heutige Zeit nicht sehr hilfreich. Über die Medien wird uns omnipräsent suggeriert, dass wir fit, fröhlich und leistungsfähig sein müssen. Es ist kaum noch Raum für die vermeintlich unangenehmen Seiten des Lebens, wie Tod und Trauer. Der Umgang damit geht verloren. Früher waren Trauernde durch das Trauerjahr gesellschaftlich geschützt. Die Trauer wurde sogar in der Kleidung nach außen hin sichtbar. Durch diese Merkmale wurden der trauernden Person Räume für das Leben der Trauer eröffnet.

Solche Räume sind heute nahezu verschwunden. Hinzu kommt, dass Hilfe und Unterstützung annehmen gesellschaftlich noch nicht durchgängig als Stärke anerkannt ist. Deshalb scheuen viele Menschen vor einer Trauerbegleitung zurück.

Das Feld der Trauerbegleitung wird zum einen von kirchlichen Einrichtungen in Form von Trauercafés oder Gesprächskreisen angeboten. Zum anderen gibt es gut geschulte Trauerbegleiter (m/w), die ganz individuell den Trauerprozess unterstützend begleiten.

Dem Wesen des Trauerprozesses liegt inne, dass kein Trauerempfinden dem anderen gleicht. Die Dauer der Phasen und die Ausprägung der Gefühle sind von Person zu Person unterschiedlich.

In der Trauerbegleitung darf jedes Gefühl, das sich zeigt, so sein, wie es ist. Wenn sich die Wut zeigt, dann darf sie gelebt und geäußert werden. Wenn sich die Verzweiflung zeigt, dann darf sie gelebt werden. Wenn sich unbändige Freude zeigt, darf auch sie gelebt sein.

Dieser intensive Prozess mit sich selbst kann eine große Kraft für die persönliche Weiterentwicklung und Zukunftsorientierung freisetzen. Diese Kraft kann man sich sinnbildlich wie das Aufgehen der Sonne nach einer langen Nacht vorstellen. Stück für Stück und Schritt für Schritt wird das Potenzial des/der Trauernden offengelegt und weiterentwickelt.

Folgende Fragestellungen können dabei helfen, die Trauersituation transparenter und die Kraftpotenziale sichtbar zu machen.

  • Mit welchen Stärken habe ich frühere schwere Situationen gemeistert.
  • Welche Anteile von mir sind durch den Verlust auch gegangen?
  • Welche Anteile davon möchte ich wieder in mein Leben integrieren?
  • Habe ich das Leben gelebt, das ich mir vorgestellt habe?
  • Gibt es Zweifel, Selbstzweifel oder auch Schuldgefühle?
  • Was wollen mir diese sagen und wie kann ich daraus Stärken machen?
  • Was macht der Verlust mit meinem eigenen endlichen Leben?
  • Wie kann ich Kontakte knüpfen und meinen Alltag neu organisieren?
  • Wie kann ich die Beziehung zu dem/r Verstorbenen in der Zukunft leben?

In der Trauer liegt die Kraft

Diese Fragen zeigen, wie tiefgehend ein Trauerprozess sein kann. Zu trauern ist ein sehr mutiger Weg, an dessen Ende ein anderes, eventuell neues Selbstverständnis und auch Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Wünsche und Bedürfnisse stehen kann.

Mirjam Hauptfleisch Mirjam Hauptfleisch
Heilpraktikerin, Schwerpunkte: Themen Angst- und Trauerbewältigung sowie Persönlichkeitsentwicklung. Dozentin an den Paracelsus Schulen

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Foto: ©bramgino