Warum sich Liebeskummer doch lohnt ...
„Als das Telefon nicht klingelte, wusste ich, dass du es warst!“
Für den Bruchteil einer Sekunde nach dem Wachwerden sind meine Gedanken frei. Ich atme erleichtert durch. Dann der Schock! Die Zwangsgedanken melden sich auch heute unverblümt zurück. Als wären alle Nervenzellen, die nur für „Sehnsucht“ zuständig sind, schlagartig am Stromnetzwerk „Conny“ verkabelt. Wieso kann ich nicht einfach loslassen, wo er doch längst gegangen ist?
Hand aufs Herz: Wann verspürten Sie zum letzten Mal massiven Herzschmerz? Vor Liebeskummer ist kein Mensch gefeit. Irgendwann trifft er jeden von uns. Ob wir bis über beide Ohren verliebt sind und dieses Gefühl nicht erwidert wird, oder eine Beziehung zerbricht und wir mutterseelenallein in einem Scherbenhaufen zurückbleiben. Wir fühlen uns verloren, verraten und verkauft, von Gott und der Welt sowie allen guten Geistern verlassen, aufs Abschiebegleis geschoben und bis ins Mark gequält. Nichtsdestotrotz erhoffen wir wider besseres Wissen die Wiederherstellung des Verlorenen, warten in unserer Sehnsuchtshölle auf Zeichen, die nicht kommen, und erleben eine unerträgliche Einsamkeit des Seins. „Als das Telefon nicht klingelte, wusste ich, dass du es warst“, beschreibt die Schriftstellerin Dorothy Parker diesen Seelenzerreißzustand treffend sicher.
Liebesschmerz kann als vorübergehender Knock-out daherkommen, von dem wir uns nach kurzfristiger Seelenhygiene wieder berappeln. Tragisch ist jedoch die massiv erschütternde Form von Seelenqual, die in Depression und sogar Selbsttötungsabsichten münden kann. In der Tat sind unerwiderte Liebe oder der Fortgang des Partners ein Hauptmotiv der jährlich über 9 000 Suizide in Deutschland, vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Mit dem 1774 erschienenen Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ bewältigte der 25-jährige Johann Wolfgang von Goethe auf kunstvolle Weise seine unerfüllte Liebe. Der junge Jurist hatte sich 1772 unsterblich in die 19-jährige Charlotte Buff verliebt, die jedoch bereits mit einem anderen Anwärter verlobt war. Goethe versteht es, zu kompensieren, und lässt kurzerhand Werther seine eigene unglückliche Liebe im Freitod „ausleben“. Die Liebeslektüre löste eine regelrechte Selbsttötungsepidemie unter jungen Lesern aus, man sprach gar vom „Werther-Fieber“. Ein noch so gelassener Mensch kann angesichts verweigerter Liebe schlagartig die Fassung verlieren. Im Liebes- und Alkoholrausch warf der verschmähte junge Otto von Bismarck während seiner Studienzeit in Göttingen der Angebeteten die Fensterscheiben ein. Flatterhaft scheint auch Heinrich Heine gewesen zu sein, den sein Liebeselend nicht nur die schönsten Verse dichten, sondern auch den Sittich seiner Frau vergiften ließ!
Während das qualvolle Liebesleid bei Lyrikern aller Epochen Quelle ihres Schaffens war, interessierte es die Psychologie lange Zeit herzlich wenig. Einer der wenigen, der „Die Trennung der Liebenden“ zum Thema machte, war der Salzburger Psychologe Igor Alexander Caruso (1914-1981). Er schrieb: „Der Schmerz, den die Liebestrennung hervorruft, gehört zu dem Entsetzlichsten, das wir imstande sind zu ertragen“. Denn: „Die Trennung hat den Geschmack des Todes – im Leben.“ Lovesickness, Broken-Heart- Syndrom oder Stress-Kardiomyopathie lauten die medizinischen Bezeichnungen für das schmerzhafte Ganzkörperphänomen, dem sich Wissenschaftler erst seit einigen Jahren intensiver widmen. Dabei verformt sich unser Herz wie bei einem Infarkt und löst Brustschmerz, Atemnot, Todesängste und reduzierte Herzleistung aus - weshalb man auch vom „Quasi-Herzinfarkt“ spricht. Körperliche Ursache ist ein durch den Trennungsschock ausgelöster Überschuss an Stresshormonen.
Hingegen sinkt (wie bei einem Burnout) die Produktion von körpereigenen Wohlfühlstoffen im Körper. Wie ein Junkie in Beschaffungsnot leiden wir unter typischen Entzugssymptomen wie brennender Sehnsucht, bohrenden Selbstzweifeln, Wut, Verzweiflung, Angst und Trauer. Die Leidensliste ist unendlich. Glücklicherweise hält der hormonelle Ausnahmezustand nicht ewig an. Auch das Ent-lieben ist ein Lernprozess des Gehirns. Mit der Zeit gewöhnt sich – zumindest unser Körper – an einen Lebensabschnitt ohne „Liebesdroge“, sodass die brutalen Verlustschmerzen langsam, aber sicher abklingen.
Gibt es ein zeitliches Liebeskummer-Limit? Ich zählte mich selbst zur „Randgruppe unheilbarer Liebeskummerpatienten“ und weiß mittlerweile: Liebesschmerz ist nicht gleich Liebesschmerz. Die Trauerdauer ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und kann zwischen Tagen und Jahren liegen. Wie eindringlich der seelische Tiefschlag wirkt, ist u. a. von der Kontinuität, Qualität und Intensität der verlorenen Beziehung, vom Trennungsgrund, vom sozialen Netz, vom Alter, von persönlichen Bewältigungsstrategien wie auch vom eigenen Selbstwertgefühl abhängig. Eine tragende Rolle spielen frühkindliche Erfahrungen. Urwunde Verlustangst: An Liebeskummer Verkümmernde sind beobachtungsgemäß vor allem Menschen, die als Kinder mangelnde Zuwendung, eine schmerzhafte Trennung oder gar einen frühen Verlust erlebt haben.
Frauen und Männern blutet das Herz beim Trennungsschmerz ähnlich stark. Allerdings wird der Beziehungskonkurs von beiden Geschlechtern unterschiedlich verarbeitet. Während sich Männer in dieser Zeit bevorzugt in Arbeit flüchten oder ihr Leid mit dem „Notsanitäter“ Alkohol zu ertränken versuchen, greifen Frauen eher zu Antidepressiva und süßen Naschwerkdrogen. Diese zuckrige Form der Ersatzbefriedigung führt jedoch nicht wie erwünscht zum stimmungserhellenden Glückshormonschub, sondern geradewegs zum ungeliebten Kummerspeck … und somit ins nächste Stimmungstief für den Trauerkloß.
Der Trennungsschmerz hinterlässt eine Narbe, die sich auf unserer Seele eingräbt. Dabei wird der erste Schnitt im Rückblick meist als der tiefste wahrgenommen. Die erste große Liebe wird gern als „absolut“ verklärt und stellt bei all dem Pubertätswirrwarr oftmals die einzig konstante Größe dar. Fällt sie weg, trifft der Kummer wie ein Messerstich in Herz und Seele. Schlimmer als die tiefe Blessur ist die Erfahrung, abgewiesen zu werden, und die Erkenntnis, wie massiv wir überhaupt verwundet werden können. Wir glauben nicht, dass das akute Liebesleid je vorübergeht, geschweige denn, dass wir je wieder zu solch großen Gefühlen fähig sein werden. Auch wenn uns bei späteren Verlusten ein Arsenal an Lebenserfahrung erleichtert, mit dem Herzeleid umzugehen, sind wir in jedem Alter für Liebeskummer gleich anfällig.
Warum gibt es keine Reset-Taste für Gefühle, keine Liebesschmerztablette? Weil es schlicht und ergreifend keinen Kummer- Killer für gebrochene Herzen gibt! Wenn wir uns verlieben und auf einen anderen Menschen einlassen, gehen wir das Risiko ein, „ent-täuscht“ zu werden. Das ist der Einsatz, den wir für die großen Gefühle riskieren müssen: eine Leidenschaft, die Leiden schafft. Liebe kommt, Liebe geht. Goethe resümierte in seinem Lebensfazit menschlich und treffend: „Ich hatte gelebt, geliebt und sehr viel gelitten! – Das war es.“ Ebenso wenig wie es für die Liebe eine Verbeamtung gibt, existiert ein Gegengift gegen den Verlustschmerz. Zudem hat die Trauer eine wichtige Funktion als Vorbereitung auf einen neuen Lebensabschnitt. Wie wäre es also damit, Gefühle einfach zuzulassen, lasterhaft zu leiden und sich selbst „mildernde Umstände“ zuzugestehen?
Die Erkenntnis, dass Drogensucht und Liebe in denselben Hirnbereichen verlaufen, legt für den betroffenen Kandidaten den gleichen Notfahrplan nahe, der auch Süchtigen hilft, nämlich den rigorosen Totalentzug. Die packende Droge muss gemieden, jedem Kontakt aus dem Weg gegangen, alle Bindungen zum „Suchtstoff“ Expartner unerbittlich abgebrochen werden, da die Entwöhnung mit jedem noch so nichtigen Rückfall von vorne beginnt. Hart, aber schmerzlich! Liebeskummer ist ein Gefühl, das sich aus der Vergangenheit nährt. Die nostalgischen Erinnerungen erschweren die Bewältigung der Gegenwart.
Eine selbsttherapeutische Hilfe, um leichter loszulassen und die Heilung voranzutreiben, soll das Anfertigen einer Liste mit den schlechten Eigenschaften des Expartners sein. Eine solche Prüfliste kann Beistand bei der Verlustverarbeitung leisten – (solange Sie nicht so ungeschickt sind wie ich und eine „Positivliste“ danebenlegen).
Zu blöd, dass derartige Manöver an unseren Intellekt appellieren, der im Neokortex beheimatet ist. Unsere Emotionen werden jedoch im limbischen System verarbeitet, das mit dem Verstand leider nicht verlässlich zu erreichen ist.
In der therapeutischen Praxis hat sich das Erstellen eines Aktivitätsplans als „Kletterhilfe“ aus dem Seelentief bewährt. Ein trivialer, aber tauglicher Trick besteht darin, neue Herausforderungen zu übernehmen. Das lenkt nicht nur ab, sondern lässt wieder positive Gefühle entstehen. Die verlassene Person entdeckt ihr Herz für etwas Neues, wodurch sie auch sich neu entdeckt. Manch ein Trennungsopfer setzt seine tiefe Wut in Bewegung um und fängt an zu laufen, trainiert wochenlang für den Marathon, bis es irgendwann wieder bei sich selbst ankommt; oder flüchtet sich in Arbeit, in der es endlich eine konstante und zuverlässige Verbündete findet, die zudem für Einnahmen anstelle von Ausgaben sorgt. Die wichtigsten Seelsorger in meinem eigenen unterirdischen Jammertal waren meine geduldige Familie und enge Freunde, die mich in meinen exaltierten Gemütsschwankungen nicht nur so angenommen haben, wie ich bin, sondern mich auch unermüdlich in ihre Arme genommen haben.
Kommt es hart auf hart mit dem Broken Heart, so zeigen sich bei der liebeskranken Person Symptome einer handfesten Depression. Hier sollte sich jeder Leidende ein Herz nehmen und professionelle Hilfe aufsuchen. Mittlerweile gibt es einen großen Fundus an Behandlungsmöglichkeiten, die auf das schmerzende Herz spezialisiert sind. „Liebeskummerpraxen“ füllen einen weißen Fleck auf der Landkarte der Behandlungsangebote. Mit Psychotherapie und ggf. der ärztlich verordneten Einnahme von Medikamenten ist so manch einem Schwermütigen wieder leichter ums Herz geworden. Irgendwann kommt der Tag, an dem die Geister der verlorenen Liebe vertrieben sind und man nicht mehr 24 Stunden an den anderen denkt. Daher lege ich Ihnen eines ans Herz: Der langfristig erfolgreichste Therapeut für Liebeskummergeplagte ist und bleibt die Zeit.
Bedeutet Verlassenwerden unweigerlich das „Unhappy End“? Mut machen hier die Worte Max Frischs (zweimal verheiratet, zweimal geschieden und dreimal unverheiratet liiert): „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Liebeskummer bedeutet nicht nur Unglück, sondern auch die Gelegenheit zu tiefer Selbsterfahrung und -erkenntnis. Quasi eine Psychoanalyse ohne Analytiker, in der das Ich die Chance zur Inventur hat. Die Liebespleite fordert uns in dem Auf-uns-selbst-zurückgeworfen-Sein dazu auf, alte Strukturen aufzubrechen, eingespielte Gewohnheiten abzulegen und ungewisses Neuland zu betreten. Wir entwickeln den Mut, endlich das zu verwirklichen, was wir schon immer tun wollten. Dort angekommen beginnen wir mit der größten Liebesgeschichte unseres Lebens: die mit uns selbst! So kann eine unerfüllte Liebe zu Selbsterfüllung führen. Irgendwie, irgendwo, irgendwann öffnet sich unser Herz dann wieder von ganz allein für einen anderen Menschen …
Conny Thaler
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin (M.A.), ZDF-Redakteurin („Volle Kanne“), Buchautorin, VFP-Mitglied