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Die Biografie – der Raum, den wir in der Welt gestalten

Eigentlich ist Biografiearbeit ja ein alter Hut, der in vielen Kontexten immer wieder auftaucht. In der Logotherapie spielt sie allerdings eine wesentliche Rolle. Frankl, der Urvater der Logotherapie, sagte sinngemäß: Die Person enthüllt sich in ihrer Biografie. Ihr unverwechselbares Wesen verschließt sich einer direkten Analyse. Aber dieses Wesen zeigt sich deutlich in der Art, wie es das bisherige Leben gestaltet hat.

Eine Biografie ist also sichtbar gelebte und gestaltete Selbstwirksamkeit. Und weil es in der Logotherapie genau darum geht, den Menschen mit seinem unverwechselbaren Wesen in Kontakt zu bringen, ist die Biografiearbeit eine ihrer zentralen Methoden.

Vor diesem Hintergrund ist das Anliegen meiner biografischen Arbeit, der Klientin ihre Selbstwirksamkeit vor Augen zu führen und ihr ihre eigene Kraft der Gestaltung (wieder) ins Bewusstsein zu rufen. Dazu gehört es nicht nur, den Kompetenzen, Potenzialen, Ressourcen und Kräften in den als gelungen wahrgenommenen Passagen auf die Spur zu kommen. Es gilt auch, den vermeintlich misslungenen Abschnitten mit neuen Fragen zu begegnen, um das schon zu oft Erzählte durch Neues zu ersetzen. Fragen wie „Wie bist du da herausgekommen?“, „Wie bist du damit umgegangen?“ „Wie hast du das überlebt?“ fördern auch bei den problematischen Abschnitten eines Lebens den Blick auf die eigene Kraft, Ressource und Kompetenz.

Meine Biografiearbeit beginnt für meine Klientinnen im „Jetzt“ mit einem konkreten Anliegen.

So erwähnt Frau K. im Gespräch, dass sie wohl unter dem Lebensmotto „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht“ stehe und dass „immer“ irgendwas nicht funktioniert. Ihr Anliegen ist es, der Ursache dieses Mottos auf die Spur zu kommen und sich möglichst davon zu befreien.

Da für mich eine Biografie der Raum ist, den wir jeweils in der Welt gestalten und einnehmen, bitte ich Frau K., ihr „Jetzt“ als Rauminstallation auf dem Fußboden auszubreiten. Mit den von mir zur Verfügung gestellten Materialien bitte ich sie, mit den positiven, stützenden Elementen ihres Lebens zu beginnen. Die räumliche Installation ermöglicht Frau K., sich in ihr „Jetzt“ zu stellen und – der Aufstellungsarbeit ähnlich – immer wieder nachzuspüren, ob etwas fehlt oder am falschen Platz liegt. Nachdem ihre stärkenden Elemente der eigenen Familie, Kreativität und innere Stärke platziert sind, bemerkt sie das Fehlen eines übergroßen Elements, das sie nicht näher bezeichnen kann. Für diese Art der Arbeit ist eine genaue Identifikation aber auch nicht notwendig. Wichtig ist nur, dass alles Gefühlte symbolisch dargestellt wird und sich für sie ein Gefühl der Vollständigkeit ergibt. Also bitte ich sie, auch dieses Störelement symbolisch abzubilden.

Obwohl Frau K. das übergroße Element in ihrem „Jetzt“ sehr wütend macht und sie es als platzraubend empfindet, bitte ich sie dann, zuerst die Ursprünge ihrer momentanen positiven Lebenselemente in ihrer Vergangenheit aufzuspüren und symbolisch im Raum zu installieren. Hinter ihrer schwierigen Familiengeschichte kommen nach wiederholtem Fragen „Wie bist du damit umgegangen?“ ihre Stärke, ihr Erfindungsgeist, weitere kreative Anteile, ihre Geradlinigkeit und ihre innere Stabilität zum Vorschein.

Nachdem auf diese Weise die gestaltenden Elemente aus der Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft sind, wendet Frau K. sich dem Störelement zu. Sie identifiziert es ganz klar als nicht zu sich gehörig und verortet seinen Ursprung weit vor die eigene Vergangenheit.

Wie von der Aufstellungsarbeit bekannt, ist es durchaus möglich, dass der Mensch nicht zu sich gehörige Anteile übernimmt. Er „baut“ diese Anteile in sein Leben ein, sodass sie einerseits zum Prüfstein werden, sich aber andererseits mit der Gestaltungskraft, mit Potenzialen des Betreffenden verbinden und Kompetenzen schaffen. Um den Störfaktor klarer differenzieren zu können und die mit ihm verbundenen Potenziale und Kompetenzen mehr hervortreten zu lassen, bitte ich Frau K., den Störfaktor in Eigenanteil und Fremdanteil zu zerlegen und die Teile einzeln zu symbolisieren. Durch das Zerlegen entsteht enorm viel Platz in ihrem „Jetzt“. Erschreckt fragt sie sich „Was willst du mit so viel Platz?“ Ich bitte sie, die Antwort auf diese Frage – auch wenn sie sie verbal nicht geben kann – in dem entstandenen Raum symbolisch abzubilden. Nach der Symbolisierung identifiziert sie ihre Abbildung als den Sinn ihres Lebens.

Nach diesem Prozess kann der Fremdanteil des Störfaktors ohne Schwierigkeiten symbolisch an seinen Ursprungsort weit außerhalb des eigenen Biografieraums zurückgegeben werden. Den Eigenanteil kann Frau K. als „verschlungene Wege“ identifizieren, die sie nun nicht mehr als Belastung empfindet, sondern als ästhetisch schön und wertvoll.

Für meine Arbeit ist es wichtig, auch die Zukunft der Klientin in ihre Zeitlinie miteinzubeziehen.

Sobald sich also für Frau K. ein stimmiges Gesamtbild aus Vergangenheit und „Jetzt“ ergeben hat, bitte ich sie, sich ihrer Zukunft zuzuwenden. Im „Jetzt“ stehend, spürt sie ihrer Vergangenheit im Rücken nach. Dieser Schritt des Nachspürens ist sehr wichtig, denn bevor sie den Schritt in ihre Zukunft macht, soll sich ihre Vergangenheit stützend und stärkend anfühlen. Tut sie dies nicht, ist der vorherige Prozess nicht wirklich abgeschlossen. Sie empfindet zwar ihre Vergangenheit als stärkend, bemerkt aber in ihr einen Schatten, einen Überrest des Störfaktors, mit dem sie ja bisher gelebt hat. Sie selbst kommt auf die Idee, im „Jetzt“ einen „Taktstock“ abzubilden, der ihre Wehrhaftigkeit dem Schatten gegen- über symbolisiert.

Nach dieser Korrektur empfindet Frau K. sich von ihrer Vergangenheit wohltuend geschaukelt. Es fühlt sich für sie fast wie ein Schwungholen an, für den kraftvollen Schritt in ihre Zukunft.

Im Anschluss installiert sie die in ihr aufsteigenden Bilder ebenfalls im Raum und verbindet sie symbolisch mit dem Rest ihrer Zeitlinie.

Im abschließenden Gespräch zeigt sie sich erstaunt darüber, was sie alles schon in ihrem Leben gemacht hat und wie viel „Handwerkszeug zum Leben“ sie hat. Sie begreift ihr ursprüngliches Lebensmotto „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht“ nicht mehr als Schwäche und empfindet die damit verbundene Flexibilität nicht mehr als „Laster“. Flexibilität wird zur Kompetenz, ihren schönen, verschlungenen Wegen zu folgen.

Bei meiner biografischen Arbeit ist es mir wichtig, meine Klientinnen mit allen Ebenen ihres Daseins in Kontakt zu bringen und diese für die Therapie gezielt zu nutzen. Die räumliche Installation spricht die Fähigkeit des Körpers an, mit einem Platz in Resonanz zu gehen (ähnlich der Aufstellungsarbeit), die Symbolsprache gibt die Möglichkeit, das unverwechselbare Wesen der Person genauer und umfassender abzubilden, als Worte es je könnten. Das Gespräch während der gemeinsamen Arbeit ruft die Klientin dazu auf, sich selbst distanziert zu betrachten, Wertvolles zu benennen und Stellung zu beziehen (logotherapeutischer Ansatz).

Darüber hinaus unterstützt es die Klientin dabei, sich auch bei den schwierigen Situationen auf das auszurichten, was funktioniert (lösungsorientierter Ansatz). Zweieinhalb Monate nach ihrer Biografiearbeit berichtet Frau K., dass sich nach „Erstverschlimmerung“ Gelassenheit und innere Ruhe eingestellt haben. An ihr vorheriges Lebensmotto verschwendet sie keine Ressourcen mehr, sie vertraut ihrem Können und muss sich nicht mehr selbst davon überzeugen, dass sie „vielleicht so ganz passabel wäre“.

Frau K.: „Ich bin aus mir selbst heraus.“

Anke Fige-MeyerAnke Fige-Meyer
Dipl.-Biologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Praxis in Nürnberg, lösungsfokussierte Kurzzeittherapie und Logotherapie sind Grundlage für Biografiearbeit, Coaching und Beratung. Dozentin an der Paracelsus Schule
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