Interview: Verena Halvax über ihr Buch „SEX – die Kunst zu berühren“
Der Titel ihres neuen Buches hält mehr, als er verspricht: Mit „SEX – die Kunst zu berühren“ hat die Journalistin Verena Halvax (50) einen komplexen Sexualratgeber abgeliefert. Anschaulich und auch für Laien nachvollziehbar verdeutlicht die Mutter von drei Kindern die Beziehung zwischen Persönlichkeit und Sexualität. Dabei hilft sie den Lesenden behutsam, das Augenmerk auch auf mögliche kritische Punkte bei sich selbst zu richten. Und sie zeigt einen interessanten Weg, sich und die eigene Sexualität besser zu erkennen und zu verstehen: die Poesietherapie.
Frau Halvax, würden Sie Ihr neues Buch einen Sexualratgeber nennen?
„Ich glaube, es ist eher ein Buch, um der eigenen Persönlichkeit näherzukommen. Denn die eigene Persönlichkeit und die Sexualität hängen eng zusammen. Es gibt in dem Buch viele Fragestellungen, die zunächst direkt auf die Persönlichkeit abzielen und erst auf einem Umweg auf die Sexualität weiterleiten.
Beispiel: Wie gehe ich generell mit meinen Gefühlen um? Bin ich jemand, der Gefühle eher unterdrückt oder lasse ich ihnen freien Lauf? Oder lasse ich alles zu und halte z. B. nur Wut zurück. Und es gibt ja auch gut begründete Theorien, nach denen manche Gefühle, die nicht erwünscht sind, sich im Körper quasi festsetzen und eine energetische Blockade auslösen können. Und wenn ich meine Gefühle beschränke und zum Teil nicht mal mehr bewusst wahrnehme, kann ich nicht davon ausgehen, dass sie in einer sexuellen Situation frei fließen können. Das kann dann nicht gehen.
Zweites Beispiel: Sinnlichkeit. Wenn ich meinetwegen in meinem Alltagsleben recht hektisch bin und keine Zeit für sinnliche Eindrücke habe. Ich esse die Schokolade einfach im Stehen runter oder ich spüre die Bluse nicht auf der Haut oder beim Spazierengehen bin ich in Gedanken versunken und höre die Vögel nicht. Wenn ich diesem sinnlichen Erleben im Alltag keinen Raum einräume, dann kann ich nicht erwarten, dass ich beim Sex die verschiedenen sinnlichen Eindrücke wahrnehme. Dabei geht’s ja nicht nur um das Sehen, sondern es geht auch um Gerüche, Spüren, Geräusche.“
Also „Erkenne dich selbst“ als Weg zu einer erfüllten Sexualität?
„Sexualität und Persönlichkeit hängen sehr eng zusammen. Wenn ich in meiner Persönlichkeit was ändere, ändere ich auch etwas in der Sexualität.“
Wie kann Ihr Buch dabei helfen?
„Ich erkläre, wie ich insgesamt reflektierter werde und meine Persönlichkeit offen anschaue, ohne mir Vorwürfe zu machen. Ich will zunächst achtsam und liebevoll mit mir umgehen. Ich beschreibe, was alles auf die Sexualität einwirkt, welche „Schräubchen“ es gibt. Und an jedem dieser Schräubchen kann man selbst drehen. Man muss sich dieser Möglichkeiten aber zunächst einmal bewusst werden. Es kann z. B. auch um Glaubenssätze gehen, die ich vielleicht unreflektiert übernommen habe. Und/oder um Scham. Scham ist was Natürliches und Gutes. Aber wenn sie zu stark wird und mich belastet, dann sollte ich etwas ändern.“
Es ist aber doch nicht einfach, etwas als störend zu erkennen, was ich verinnerlicht habe. Das gehört doch scheinbar zu mir?
„Angenommen, ich fühle mich zu dick und fühle mich am besten, wenn ich beim Sex auf dem Rücken liege, weil man da meine Speckfalten am wenigsten sieht. Da halte ich mich selbst von etwas zurück, was ich gern täte, mich aber nicht traue – weil ich selbst mir Grenzen auferlegt habe. Oder diese und jene Praktik würde mir vielleicht Spaß machen, aber ich schäme mich. Warum schäme ich mich? Ist der Grund wirklich noch gültig für mich? Um das für sich zu klären und gegebenenfalls daran etwas ändern zu können, muss ich es zunächst einmal erkennen. Und das geht nur mit Selbstreflexion.“
In Ihrem Buch geben Sie konkrete Hilfestellungen zur Selbstreflexion.
„Genau. Ich bediene mich der Poesietherapie.“
Wie funktioniert die?
„Das ist eine Methode, bei der man Lesen und Schreiben zum Zwecke der Selbsterforschung einsetzt. Das Schreiben löst etwas anderes aus, als wenn wir ein Thema einfach nur theoretisch ausarbeiten. Und wir müssen immer wieder auf den Punkt kommen. Wenn ich schreibe, merke ich, ob ich eine Frage wirklich für mich stimmig beantwortet habe. Das ist anders, als wenn ich einfach nur darüber nachdenke. Der Schreibprozess ähnelt auch der Tiefenpsychologie. Wenn ich versuche, etwas schriftlich festzulegen/zu umreißen, werde ich erkennen, dass ich mich intensiver damit befassen muss. Der Versuch, etwas textlich zu verdichten, erfordert eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema.“
Und Sie zeigen auch konkret, wie das funktioniert.
„Richtig. Im Buch finden sich ganz viele Schreibanregungen. Und zweitens habe ich auch zu den verschiedenen therapeutischen Teilen literarische Zitate gesucht. Denn manche Zitate sagen viel mehr als alle theoretischen Texte. Da kann schon das Lesen selbst einen heilsamen Prozess unterstützen. Manches veranschaulicht gut und bietet auch Identifikationspotenzial.“
Was sollte die Leserin/der Leser mitbringen?
„Man braucht keinerlei Vorkenntnisse. Ich gehe da wirklich ganz sanft mit dem Thema und den Lesenden um. Und jeder kann einfach drauflosschreiben. Das Ganze ist anschaulich erklärt, immer wieder mit Beispielen und Anregungen. Sexualität hat ja auch viel mit Kommunikation zu tun. Wie rede ich mit meinem Partner? Welche Wünsche habe ich – und verrate ich ihm die? Da ist das eigene Schreiben eine Möglichkeit, sich selbst pointiert auszudrücken. Um auf die Eingangsfrage nach dem Sexualratgeber zurückzukommen: Ich habe für das Buch immer wieder mit einer Sexualtherapeutin gesprochen. Es geht in dem Buch auch um Technisches oder die Frage, welche Erregungsmodi gibt es und was für ein Typ bin ich eigentlich. Aber im Unterschied zu einem klassischen Sexualratgeber geht es in erster Linie um die Persönlichkeit. Man wird angeleitet, die zu erkunden – mit Blick auf eine erfüllte Sexualität und mithilfe der Poesietherapie.“
Das Buch richtet sich an Männer und Frauen gleichermaßen?
„Grundsätzlich ja, Männer können es genauso lesen wie Frauen. Aber ich spreche in erster Linie Frauen an. Einmal, weil das Gendern mühsam ist und ein großes Lesehindernis. Zum anderen, weil mir Sachen passiert sind, die Männer eventuell weniger ansprechen, wie die Empfehlung zu einem entspannten Abend mit Duftölen. Aber wenn Männer darüber hinwegsehen können, werden auch sie sicher vom Buch profitieren.“
Jens Heckmann
Fachmann für Öffentlichkeitsarbeit/ Unternehmenskommunikation