Skip to main content

Neue Erkenntnisse über Angststörungen

©terovesalainenAngststörungen nehmen derzeit als Diagnose für therapeutische Interventionen massiv zu. Sie sind neben Depressionen einer der wesentlichen Gründe für eine Psychotherapie. Zu den Angststörungen gehören die generalisierte Angst (unbestimmte Angst), Phobien und Panikattacken. Dieser Artikel soll dazu beitragen, ganz neue und ungewöhnliche Erkenntnisse über Einflüsse auf molekularer Ebene bei Angststörungen ins Blickfeld zu rücken.

Im Laufe des Lebens sind etwa 15 % der Erwachsenen von Angststörungen betroffen. Bis zur Aufnahme einer Therapie dauert es durchschnittlich sieben Jahre (Quelle: ARTE Mediathek, „Wenn Angst krank macht – Anatomie eines Gefühls“). Das ist dramatisch, denn Angststörungen machen dem Betroffenen das Leben zur Hölle.

Betroffener: „Es ist oft ein bodenloses Gefühl, weil man sich verrückt vorkommt – aber man ist nicht verrückt“. Wird eine Angststörung rechtzeitig behandelt, gewinnt der Betroffene viel Lebensqualität zurück.

Als wesentliche und effiziente Behandlungsmethoden gelten die Psychopharmakotherapie und die Psychotherapie. Im hart umkämpften Gesundheitsmarkt werden darüber hinaus auch diverse Alternativ- oder Komplementärmethoden angeboten. Eine Psychopharmakotherapie (z. B. Benzodiazepine) kann die Stärke der Angst auf ein Minimum herabdrücken, aber letztendlich die Angststörung nicht heilen. Bei einer schweren Angststörung kann eine begleitende Psychopharmakotherapie hilfreich sein, um die Konzentration auf den psychotherapeutischen Prozess auszurichten. Der Klient ist häufig in sich gefangen mit einem alleinigen Fokus auf die Angst. Es sollte dabei aber individuell geschaut werden, denn eine ggf. durch die Medikation bestehende hohe Sedierung wäre kontraproduktiv.

Ich beginne einen psychotherapeutischen Prozess mit einem umfangreichen anamnestischen Vorgespräch (ca. 90 Minuten). Nur so ist es möglich, Angstauslöser zu identifizieren. Auslöser für Angststörungen sind häufig in der psychogenen Entwicklung (psychische Entwicklungsgeschichte) zu finden. Es sind oft traumatische Erlebnisse, die nicht oder falsch verarbeitet wurden. Sind die Angstauslöser nicht klar identifizierbar, so kann dies in einem späteren Tranceprozess geschehen. In einer therapeutischen Trance ist der Zugriff auf den Bereich des Unbewussten möglich. Der Bereich des Unbewussten kann in diesem speziellen Bewusstseinszustand häufig klare, deutliche Bilder hervorbringen, die bisher die Schwelle zum Bewusstsein nicht überschritten hatten.

Angststörungen haben auch genetische Ursachen. Aus der Zwillingsforschung ist bekannt, dass der angstbestimmende genetische Anteil zwischen 30 und 60 % liegt. Der Rest ist erlernt, also epigenetisch.

Unter Epigenetik versteht man biochemische Prozesse (DNA-Methylierung), die auf einer Ebene über unsere Erbsubstanz ablaufen, aber einen Einfluss auf den Zellkern haben. Es geht um äußere Einflüsse, die sich auswirken.

Unsere Gene sind nicht immer gleichartig aktiv. Es gibt verschiedene Mechanismen, die wie eine Art Dimmer an der Aktivität unserer Erbsubstanz drehen. (s. Quelle). Lebensereignisse negativer Art, wie Trennungen, Tod oder Unfälle, können zu Angsterkrankungen führen. Diese Ängste treten plötzlich wieder auf, wenn man sich an die Ereignisse erinnert. Eine Angststörung kann aber auch durch Prozesse, die auf einer biochemischen Ebene ablaufen, aktiviert werden. Stresssituationen schütten Cortisol aus, welches direkt in den Zellkern eindringt und den biochemischen Prozess beeinflusst. Cortisol kann direkt das Angst-Gen aktivieren (Universität Psychiatrie Freiburg).

Forschungsergebnisse zeigen, dass anhaltende Änderungen der Lebensumstände zu epigenetischen Veränderungen führen können. So konnte bei eineiigen Zwillingen nachgewiesen werden, dass im Alter von drei Jahren epigenetisch noch hohe Übereinstimmungen vorlagen. Dies war im Alter von 50 Jahren nicht mehr der Fall, wenn wenig Lebenszeit miteinander verbracht wurde. Ältere Zwillinge sind demnach trotz ihrer genetischen Identität epigenetisch unterschiedlich – abhängig davon, wie unterschiedlich das Leben der beiden verlaufen ist.

Jeder Mensch kann im Verhaltensbereich auf biologischer Ebene einem biologischen Risiko (Ausbruch einer Angsterkrankung) entgegenwirken (Meditation, gesunde Ernährung, Yoga, Achtsamkeitstraining, Psychopharmakotherapie und Psychotherapie). Laut Untersuchungen der „Universität Psychiatrie Freiburg“ wirkt Psychotherapie nicht nur im kognitiven Bereich (Verhaltensänderungen, Reframing), sondern ebenso auf einer Zellkernebene.

Welche Anforderungen bestehen dadurch für den Psychotherapeuten?

Die Bedeutung einer umfangreichen und differenzierten Psychotherapie wird enorm erhöht, weil das Spektrum der Einflussnahme sich ausweitet. Das bedeutet konsequenterweise, in der psychotherapeutischen Beratung auf diese geschilderten Wirkungsweisen hinzuweisen. Auf die Eigenverantwortung des Klienten zur Beachtung der letztendlich beträchtlichen äußeren Einflüsse darf getrost verwiesen werden.

Rainer WieckhorstRainer Wieckhorst
Heilpraktiker für Psychotherapie, Experte für Angst- und Panikstörungen, Kommunikationsexperte, Publizist, Therapiepraxis Balance-Concept, Reinbek

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.