Wie eine einzige Umarmung sein Leben rettete! Die unglaubliche Geschichte des Herrn Terayama!
Als ich von der Geschichte des Herrn Terayama in einem medizinischen Journal las, war ich neugierig geworden. Es stand, er sei vom Krebs geheilt: ohne Therapie, ohne Arznei! Diese Geschichte ist in Japan, wo ich seit drei Jahren lebe, sehr ungewöhnlich. Einmal weil normale Medien derartige Erfolgsstorys lieber verschweigen, aus Angst vor Repressalien der Pharmaindustrie, dann weil ein wissenschaftlicher Beweis fehlt. Man ist hierzulande nämlich wissenschaftshörig wie sonst nirgendwo. Was nicht beweisbar ist, existiert nicht. Basta.
Insofern wundert es die deutschen Leser sicher, dass das Land, das „Reiki“ exportiert, selbst diese Heilmethode belächelt und als Unfug abtut. Apotheken in Japan bieten kein einziges Naturprodukt an. Das letzte halbwegs natürliche Produkt, Tiger-Balsam, verschwand vor zehn Jahren aus den Regalen. Da hat die Pharma- und Chemieindustrie wirklich ganze Arbeit geleistet. Umso mehr war ich über den Artikel des Herrn Terayama erstaunt und wollte ihn treffen. Ich schickte ihm eine E-Mail und drei Tage später trafen wir uns in einem Café in Tokio. Doch zuvor noch einige Hinweise für all jene, die sich mit Japan weniger auskennen.
Dass Japaner sich nicht die Hand schütteln, sondern sich verbeugen, weiß jeder. Doch auch sonst ist Körperkontakt verpönt. Ich habe noch kein verliebtes Paar gesehen, das sich in der Öffentlichkeit umarmt oder geküsst hat. Selbst Ehepaare halten nicht Händchen beim Spaziergang. Laut einer Reportage des BBC, bei der Hunderte Japaner befragt wurden, sieht es innerhalb der eigenen vier Wände nicht besser aus. 80 % aller Verheirateten lebten ohne Sex. Als Grund wurde u. a. angegeben, man sei nach der Arbeit zu müde, hätte Angst vor Schwangerschaft (Kinder kosten viel Geld) oder sei nie in der Stimmung, Mann wie Frau. Man fragt sich also berechtigt, wann sich die Menschen hierzulande denn berühren.
Gemäß Michiko, einer psychologischen Beraterin in Yokohama, würden weder Ehepaare (außer eventuell beim Sex) noch Eltern und Kinder sich umarmen. Ich wollte es genau wissen und fragte nach, ob denn eine Mutter nie ihr Kind an sich drückt. Die Antwort war ein klares Nein!
Ich fragte, ob das so in Ordnung ist für die Kinder. Es könnte ja sein, dass die, kulturbedingt, daran gewöhnt sind und nichts vermissen. „Nein“ war die Antwort, „darum gebe ich diese Workshops für Kinder, bei denen ich sie am Ende umarme. Die meisten brechen in Tränen aus. Ein dreijähriger Junge zitterte am ganzen Körper und wollte gar nicht mehr loslassen.“
Michiko erzählte mir von einem Fall, wo ein anderer Junge seine Mutter regelrecht um eine Umarmung angefleht hatte, dies aber abgelehnt wurde. Dass es bei Japanern eher steril zugeht, wusste ich, doch solche Extreme waren mir neu. Ich wollte wissen, ob der Bericht der BBC stimme bzw. ob da zwischen Verheirateten echt nichts läuft. Sie bejahte es und fügte hinzu, dass es an Schulen so gut wie keine Aufklärung gäbe. Auch sonst sei alles, was mit Körperberührung zu tun hat, ein Tabuthema. Das heißt, die Männer haben keine Lernmöglichkeit.
Es wunderte mich nicht mehr, dass die Todesursache Nr. 1 in Japan der Suizid ist, laut offizieller Statistik noch vor Krebs. Selbstmorde unter Jugendlichen nehmen stark zu. Fast täglich bleibt in Tokio oder Osaka irgendwo ein Zug stehen, weil mal wieder jemand auf die Gleise gesprungen ist. Das gehört hierzulande zum Alltag.
Das drückt aber auch aus, dass der Mensch leidet, wenn er weder Körperkontakt noch Liebe noch Herzlichkeit erfährt, und dass Japaner hiervon keine Ausnahme sind. Diese Umstände muss man kennen, um den folgenden Fall zu begreifen.
Herr Terayama war 45 als er Nierenkrebs diagnostiziert bekam. Er war leitender Angestellter bei Toshiba und hatte viel Stress, viel Arbeit. Die Ärzte rieten zur Entfernung einer Niere, die voll war mit Metastasen. Nach geglückter Operation sagten sie ihm, er habe noch maximal vier Monate zu leben, man könne nichts mehr für ihn tun.
Terayama, dem die Schulmedizin schon immer suspekt vorkam, wollte das nicht wahrhaben. Er schickte seiner verbliebenen Niere täglich gute Energie, fing mit Visualisierungs- und Atemübungen an und tat sich selbst viel Gutes.
Und, sagte er sich, falls es doch zu Ende geht, will ich wenigstens was von der Welt gesehen haben. Prompt flog er nach England, wo er unterwegs von der Findhorn Gemeinschaft erfuhr, die bekannt sei für alternative Heilmethoden und deren Verbreitung. Er reiste also im Zug nach Schottland, wo zufällig ein Seminar stattfand zum Thema Eigenliebe. Als am Ende die Seminarleiterin ihn spontan umarmte (so richtig liebevoll), da fing er an zu heulen wie ein kleines Kind und war nicht mehr zu bremsen. Er empfand dies als Energiestrom, der seine Seele berührte, und erlebte tiefste Freude, die er bislang nicht kannte.
Als er nach Japan zurückreiste und zur Kontrolle ins Krankenhaus ging, konnte man keine Metastasen feststellen. Die Ärzte standen vor einem Rätsel. Heute ist Herr Terayama 83 Jahre alt. Als ich ihn antraf, spürte ich seine Energie und musste zugeben, dass er fitter war als ich. Treppensteigen machte ihm nichts aus und die Mittagshitze in Tokio ebenso wenig. Er spielt seit vielen Jahren Cello, weil die Frequenz sein Herz anspreche, sagt er. Cello sei seine Medizin geworden. Daneben meditiert er regelmäßig und ernährt sich gesund. Fast jede Woche hält er irgendwo einen Vortrag über die bedingungslose Liebe, gibt Beratungsgespräche, schreibt Bücher und gibt Seminare. Er liebt es, morgens um 4 Uhr aufzustehen, weil dann die Energie am stärksten sei. Ich war sprachlos. Doch gleichzeitig machte mich die Begegnung nachdenklich.
Wenn eine liebevolle, herzliche Berührung so viel ausmachen kann, warum geben wir uns nicht mehr davon? Allen voran zwar die Japaner, doch es betrifft alle. Bei 45 % Single-Haushalten in Deutschland und rapide abnehmender Kommunikation unter den Menschen (dank Internet) vereinsamen wir immer mehr. Die drastische Zunahme psychosomatischer Erkrankungen und die Verkaufsrekorde an Psychopharmaka belegen ihrerseits, dass irgendwas nicht stimmt, im Osten wie im Westen.
Ob nun eine Umarmung (engl. „hug“) das beste Rezept für jeden ist, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall aber ist Liebe Mangelware in den Industrienationen und da steht Japan nicht allein. Noch bis vor 30 Jahren waren Psychologen in Taiwan unbekannt. Es gab keine und es brauchte sie keiner. Heute ist ihre Zahl schon bei 150. Die Familien halten nicht mehr zusammen. Es geht nur noch um Geld, (Pseudo-)Sicherheit und materielle Werte. Man hat uralte östliche Werte gegen amerikanische ausgetauscht. Musik und Filme kommen fast alle aus den USA.
Als ich vor ca. 20 Jahren in Sri Lanka lebte und dort mein Ayurveda-Resort leitete, besuchte ich oft andere Zentren und befragte die Kurgäste dort nach ihrer Absicht, und was sie sich erhofften. Viele gaben zu, wegen der Massagen und wegen des guten Essens zu kommen. Natürlich genossen sie auch Strand, Sonne und Meer. Aber es waren überwiegend ausgelaugte, ausgepowerte weibliche Manager- und Karrieretypen, die alleine lebten und die ein Defizit an Berührung und Streicheleinheiten hatten. Eigentlich ist es traurig, dass man dafür um die halbe Welt fliegen muss.
Wenn eine rein menschliche, herzliche und liebevolle Berührung einem kranken Mann dazu verholfen hat, gesund und munter 83 zu werden, mit nur einer Niere, dann sollte dies allen psychologischen Beratern ein wichtiger Hinweis sein im Umgang mit Klienten, aber auch für die eigene Gesundheit.
Man kann Menschen auf verschiedenen Ebenen und auf verschiedene Weise berühren. Mit ehrlicher Anteilnahme und Mitgefühl lässt sich so manch ausgetrocknetes Herz bewässern. Ebenso durch anteilnahmsvolles Hinhören. Durch einen langen, liebevollen Händedruck. Den Beratungsraum zu Hause kann man heimisch und gemütlich einrichten, mit schöner (aber leiser) Musik, Aromalampe und herrlich duftendem Kräutertee, den man serviert. Das löst mehr Entspannung aus als ein steriler weißer Raum, in dem man einem Menschen im weißen Kittel gegenübersitzt, der die Wände mit Zertifikaten und Diplomen dekoriert hat. Geben wir unserem Gegenüber das, was wir selbst am meisten nötig haben: Menschlichkeit, Verständnis und Wohlwollen.
Es muss nicht immer eine Ganzkörpermassage mit teuren Ölen sein, was zudem sehr aufwendig und personalintensiv ist. Eine sechsminütige Kopfmassage am Anfang einer Sitzung kann Balsam für die Seele sein. Oder eine reine Bauchmassage, wie sie von Frau Watanabe gelehrt wird, und die auf eine tiefenpsychologische „Entgiftung“ abzielt. Jede empfindliche Stelle würde mit einem mentalen Problem korrespondieren, sagt sie. Durch leichten Druck massiert sich die Blockade mitsamt Problem einfach weg. Auf Anfrage gebe ich ihre E-Mail-Adresse weiter.
Wenn wir geistig-seelisch nicht verkrüppeln wollen, müssen wir einen Weg finden, andere an uns heranzulassen, abseits der Sexualität. Natürlich kann man liebevolle Streicheleinheiten auch in das Liebesspiel miteinfließen lassen, dann aber müssen alle Erwartungen an einen „bestimmten Ausgang“ abgestellt werden. Das kann man relativ schnell erlernen, ohne dafür einen 500 Euro teuren Tantra-Workshop besuchen zu müssen.
Das deutsche Wort „Behandlung“ hat die Hand als Kern. Das japanische Wort für Therapie ist „Te-Ate“ (Te = Hand, Ate = Auflegen). Diese Weisheiten gehen im digitalen Zeitalter leicht verloren. Ich glaube sehr wohl an die Heilwirkung einer liebevoll durchgeführten Massage. Hierin müssten m. E. mehr Therapeuten ausgebildet werden. Ein kräftiges Kneten, Drücken und Reiben mag bei Muskelzerrungen helfen, doch es ist nicht der Körper, der heutzutage am meisten leidet, sondern die Seele.
Prof. h. c. Manfred Krames
Autor von „Beethovens Neunte und der Schrei nach Liebe“