Lebensidee
Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich grüße Sie ganz herzlich und hoffe, Sie sind wohlauf in dieser „schrägen“ Zeit, die allmählich wieder in „normaleres“ Fahrwasser kommt. Lassen Sie sich von besonderen Momenten des Lebens aufheitern und bereichern. Ich bin mir sicher, dass es da einiges zu finden gibt.
Meine Erfahrungen der letzten Wochen und Monate waren, mich ganz bewusst und intensiv mit mir und meiner Familie zu beschäftigen und all dem Raum und Fokus zu geben, was der Moment gerade brachte. Diese Momente dankbar und wertschätzend anzunehmen und mit diesem „Baumaterial“ am und im eigenen Heim zu werkeln, um Neues und Kreatives zu gestalten. Und damit meine ich sowohl im Inneren als auch im Äußeren.
In diesem Text möchte ich Sie mit auf die Reise nehmen, in Ihre Lebens-ID-ee und Ihre Lebens-ID einzutauchen.
Welche Vorstellung, welche Idee haben Sie vom Leben? Welche Lebens-ID macht Sie als Mensch im Ganzen aus?
Es gibt immer mal wieder Phasen und Momente, in denen es wichtig und manchmal auch notwendig ist, an- und innezuhalten, um den Lebenskompass neu auszurichten und sich zu fragen: „Wo stehe ich gerade? Bin ich noch auf meinem Kurs? Wo braucht es vielleicht eine Richtungsänderung? Was macht mich als Mensch aus? Welche Anteile trage ich in mir?“
Sie können sich bewusst von innen heraus auf diesen Prozess einlassen oder durch Impulse von außen herangeführt werden. Die Entscheidung liegt ganz allein bei Ihnen. In der Achtsamkeit für sich selbst bekommt man mehr und mehr das Gespür dafür, was gerade ansteht und wo es gut- oder nottut, einen Schritt weiterzugehen auf der Reise zu sich selbst – mit all seinen Facetten.
In jedem von uns steckt enormes Potenzial, eine Welt voller Möglichkeiten, die für uns „bereitgestellt“ wird. Doch schöpfen wir diese immer aus oder verharren wir in der ach so gemütlichen Komfortzone oder stecken gar darin fest?
Sehen wir unser Lebensglas als ein kleines Marmeladenglas mit Schraubverschluss oder ist es ein großes Gefäß ohne Deckel?
Wenn wir auf die Welt kommen, werden wir in einen Kosmos voller Möglichkeiten hineingeboren und sind wie ein reines unbeschriebenes Blatt Papier, auf dem wir unsere Lebensgeschichte schreiben.
Manches mag über die Gene vorherbestimmt sein, doch vieles, was im Laufe unseres Lebens auf diesem Blatt steht, wird durch unsere Erfahrungen mit unserem Umfeld geprägt und bestimmt unser Leben.
Gerade die ersten Kindheitsjahre schreiben einen Großteil unseres Lebensprogramms und wirken 24/7. Kinder ahmen die Verhaltensweisen ihrer Bezugspersonen nach, da diese Vorbilder sind. Und diese Vorbilder haben wiederum ihre Vorbilder nachgeahmt und sich angepasst. Vielleicht kommt Ihnen das auch bekannt vor?
Haben Sie auch gesagt, dass Sie niemals dies oder das, was Sie bei Ihren Eltern nicht gut fanden, übernehmen wollten, und sich dann doch irgendwann dabei ertappt, dass Sie es genauso tun?
Und genau in diesem bewussten Erkennen liegt die Chance, es zu verändern. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.
Stellen Sie sich einmal in solch einer Situation folgende Fragen:
Will ich das überhaupt?
Ist das meins?
Oder woher kommt es?
Für wen mache ich das Ganze?
Im Laufe unseres Lebens passen wir uns mehr und mehr an unser Umfeld an. Warum? Vielleicht um dazuzugehören, mitzuspielen oder wertgeschätzt und anerkannt zu werden?
Dieses Nachahmen und Anpassen ist ein ganz normaler Prozess, der uns Menschen innewohnt. Doch manchmal passen wir uns zu sehr an und leben nicht mehr das, was unser Herz uns sagt und was sich stimmig anfühlt. Und vielleicht verlieren wir auch unsere Lebensidee etwas aus den Augen? Dann beginnt unser Lebensglas zu schrumpfen und wird zur gemütlichen Komfortzone, in der wir uns wohlfühlten.
Sicher ist sicher! Doch auf die Dauer wird es manchmal in dieser Komfortzone doch etwas eng …
Eng auch vielleicht dadurch, dass wir Anteile ablehnen, verdrängen und loswerden wollen, die uns als einzigartigen Menschen ausmachen?
Ich habe viele Jahre meines Lebens den südkoreanischen Anteil abgelehnt und nicht gelebt, den mir meine Mama geschenkt hat. Ich habe immer nur die deutsche Seite gelebt und das hatte zur Folge, dass es mich ständig aus meiner Mitte gerissen hat. Erst nachdem ich diesen Anteil, der mich zur Hälfte ausmacht, liebevoll angenommen und versöhnt habe, war ich in meiner ganzen Kraft. Seitdem konnte ich mein volles Potenzial im Sport und im Leben ausschöpfen.
Ich lade Sie ein, einmal in Ihr Leben einzutauchen und sich folgende Fragen zu stellen:
- Welche Anteile machen mich aus?
- Welche Werte sind mir wichtig?
- Welche Bedürfnisse habe ich?
- Durch welche Glaubenssätze bin ich geprägt?
- Wie bin ich kulturell, moralisch, ethisch oder spirituell geprägt?
- Welche Anteile lebe ich bewusst und welche noch nicht?
Sie sind in jeder Lebenssituation ein Ganzes und Teil eines Ganzen. Das ist Ihre Lebens-ID. Und egal wo Sie hingehen, Sie nehmen sich immer mit. So kann es von Nutzen sein, aus einer Beobachterposition von oben auf eine Situation zu blicken, hineinzuspüren und zu fühlen, was gerade da ist. Dadurch sind Sie besser in der Lage, sich einen Überblick zu verschaffen und proaktiv zu handeln.
Nehmen wir einmal die Glaubenssätze, die uns mitunter daran hindern, weiterzukommen.
Was glauben Sie? Kann ein Junge, dem man früher oft genug gesagt hat, dass Jungs stark sein müssen und nicht weinen dürfen, später als Mann Gefühle leichter zulassen oder eher weniger damit umgehen?
Oder wie kann ein Erwachsener später mit dem Thema Essen umgehen, wenn er als kleines Kind immer alles aufessen musste, obwohl sein natürlicher Instinkt ihm immer gezeigt hat, dass und wann es genug ist! Und das nur, weil Oma oder Opa, Mama oder Papa gelernt haben, dass es sich gehört, aufzuessen?
Natürlich kann man nicht alles über einen Kamm scheren und jeder Mensch geht anders damit um. Doch einen Versuch ist es allemal wert, sich mit seinen eigenen Glaubenssätzen auseinanderzusetzen und einmal genauer hinzuschauen.
Oder wie sieht es mit unseren Bedürfnissen aus?
Ein bekanntes Zitat von Goethe lautet: „Gebt den Kindern Wurzeln und Flügel!“
Diese beiden psychologischen Grundbedürfnisse von Sicherheit und Verbundenheit einerseits und Freiheit und Autonomie andererseits lassen uns Menschen zufriedener leben und uns glücklicher fühlen. Doch oftmals sind wir uns unserer Bedürfnisse gar nicht bewusst. Das heißt, wir können diese nicht greifen, benennen bzw. wissen gar nicht, welche Absicht dahintersteckt, wenn wir dies oder das tun, denken oder fühlen.
Deswegen ist es umso wichtiger, sich in der Selbstreflexion klarzumachen, was einem wichtig und wertvoll ist und welches Bedürfnis erfüllt werden mag. Ein bewusster Prozess, der Schritt für Schritt vonstatten geht. Manchmal sind es nur Mikroschritte – immerhin. Denn Lessing sagte schon: „Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht immer noch geschwinder als der, der ohne Ziel umherirrt!“
Diesen Prozess nenne ich Entfaltung.
Stellen Sie sich nochmals Ihr weißes unbeschriebenes Blatt Papier vor, mit dem Sie auf die Welt kommen, und malen vor Ihrem inneren Auge ein großes rotes Herz darauf.
Im Laufe der Zeit machen Sie viele Erfahrungen mit Menschen und Situationen, haben viele Erlebnisse, beginnen, ein Wertesystem aufzubauen, das für Sie stimmig ist, leben mehr oder weniger Ihre Bedürfnisse, werden durch Ihre Herkunft, Ihr Umfeld und Ihre Umwelt geprägt. Auch weniger schöne Erfahrungen, Traumata oder andere einschneidende Erlebnisse prägen sich in Ihnen ein. All dies sind „Puzzleteile“, die in Ihrem Herzen entstehen. Nennen wir sie Anteile Ihrer Persönlichkeit oder Ihrer Identität – das, was Sie als Mensch ausmacht.
Nun ist es aber so, dass wir meist die Dinge oder in diesem Fall die Anteile, die mit weniger guten Erfahrungen in unserem Gehirn oder „unserer Blackbox“ – unserem Unterbewusstsein – verknüpft sind, verdrängen und nicht noch einmal erleben wollen. Denn wenn etwas wehtut, mag man diesen Schmerz eher vermeiden. Und das tun wir Menschen mehr oder weniger oft. Das meiste allerdings unbewusst.
Viele dieser unschönen Erfahrungen bringen Sie dazu, das Blatt zu falten, zu knicken oder zu zerknüddeln. Es wird immer kleiner und vielleicht haben Sie auch das Gefühl, dass Ihnen Lebensenergie verloren geht und Sie nicht das leben, was Ihnen und Ihrer Lebens-ID-ee entspricht?
Um sein Leben bewusst in die Hand zu nehmen, sich zu entfalten und mehr und mehr das zu leben, was Ihren wahren Werten und Bedürfnissen entspricht, bedarf es der bewussten Innenschau, neuer Ansichten und Perspektiven. Dann können Sie Ihr Herz-Blatt wieder entfalten und Ihr volles Potenzial entwickeln und die Lebensenergie beginnt, wieder mehr zu fließen.
Bei einem Thema, das einer Notwendigkeit bedarf, verändert zu werden, ist der
1. wichtige Schritt:
Das Anhalten und Innehalten. Stehen bleiben, einen Schritt zur Seite treten, raus aus der Situation gehen, einfach beobachten und in die Rolle des Detektivs schlüpfen: „Aha, interessant. Was ist hier los?“
Der 2. Schritt:
Das genauer unter die Lupe nehmen: Die Aspekte Körper/Geist/Gefühle miteinbeziehen. „Wie geht es mir körperlich? Was denke ich? Was für Gefühle nehme ich wahr?“
Der 3. Schritt:
Die Entscheidung! Den Kompass neu ausrichten. „Wohin geht meine Reise? Bleibe ich stehen? Gehe ich weiter? Oder gehe ich zurück?“
Diese Entscheidung können Sie nur alleine treffen. Proaktiv oder passiv.
Proaktiv bedeutet, es bewusst selbst in die Hand zu nehmen und anzupacken, oder passiv, sich die Entscheidung abnehmen zu lassen. Aber wundern Sie sich bitte nachher nicht, dass Sie nicht weitergekommen oder ganz woanders gelandet sind ... Welche Wahl treffen Sie?
Der 4. Schritt:
Die Klarheit und der Fokus! „Wie möchte ich es ab sofort? Wie möchte ich mich fühlen? Wie soll es sein?“
Der 5. und letzte Schritt:
Das Umsetzen! Tun Sie es einfach!
Was kann schon passieren, außer einer weiteren Erfahrung? Wenn Sie es nicht tun, werden Sie niemals erfahren, was und wie es gewesen wäre!
Denn es genügt nicht, alles nur im Kopf zu haben, es aber nicht in die Tat umzusetzen. Wenn ein Architekt nur seinen Plan im Kopf oder vielleicht auf Papier hat, diesen aber nicht an die weiterführenden Stellen leitet und den Bau veranlasst, bleibt es nur das „Traumschloss auf Wolken“, das man nur in seinen Gedanken bewohnen kann!
Und da unser Gehirn ein Muskel ist, der getreu dem Motto funktioniert „use it or lose it“, haben wir immer wieder die Möglichkeit, Dinge zu verändern, wenn der Anreiz erstrebenswert ist. Ich bin mir sicher, dass Sie fündig werden!
Wichtig dabei ist, dass Sie Ihrem Gehirn eine konkrete, spezifische und glasklare „Handlungsanweisung“ geben, mit der es etwas anfangen und gleich umsetzen kann.
Um wieder zurück zu den Anteilen zu kommen, die Sie als Mensch ausmachen und Ihre Identität formen, ist es sinnvoll, Ihr Leben immer wieder zu betrachten und in sich hineinzuspüren, wo sich etwas nicht stimmig, eckig und holprig anfühlt oder rund, leicht und entspannt.
Gradmesser dafür gibt es viele – körperlich, geistig oder gefühlsmäßig. Immer da, wo es Sie viel Energie kostet, Sie sich extrem anstrengen müssen und Sie nicht 100 % wollen, Ihr Gefühl etwas anderes sagt als der Kopf, lade ich Sie ein, eine kurze Pause einzulegen, stehen zu bleiben, zu beobachten, zu hören und zu fühlen, was da gerade los ist. Und dann geht es weiter wie schon beschrieben.
Das Wichtigste jedoch ist, die Dinge ohne Krampf und Kampf anzugehen, liebevoll zu sich zu selbst zu sein und darauf zu vertrauen, dass der richtige Moment genau jetzt ist.
Ich wünsche Ihnen eine besondere Zeit mit sich selbst, in der Sie authentisch das leben, was Sie als Mensch ausmacht. Denn je weniger Sie in Rollen schlüpfen und sich mehr und mehr so annehmen und zeigen, wie Sie sind, umso leichter wird es in Ihnen und um Sie herum.
Alles Liebe!
Simone Hauswald
Dipl.-Mentalcoach (CH), Biathlon-Weltmeisterin und -Medaillengewinnerin bei Olympischen Spielen
„Der Langsamste, der sein Ziel
nicht aus den Augen verliert,
geht immer noch geschwinder
als der, der ohne Ziel umherirrt!“
Gotthold Ephraim Lessing
Foto: ©myfotolia88