Offener Brief an den ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow
Sehr geehrter Herr Buhrow,
ich schreibe Ihnen, weil an mehreren ARD-Sendungen ablesbar ist, dass bei einem wichtigen Gesundheitsthema eine bedenklich tendenziöse Berichterstattung im ARD-Verbund stattfindet. Dies ist leider nicht auf einzelne Journalisten (immer m/w/d) herunterzubrechen, weswegen ich Ihnen in Ihrer Funktion als übergeordnete Stelle schreibe und Sie bitte, meine Einwände zu überprüfen. Die Einseitigkeit und Systematik, mit der diese Themen behandelt werden, hält einer umfassenderen Betrachtung schlicht nicht stand. Dennoch wird ein gesamter Berufsstand diskreditiert. Es geht um die Gesundheitsthemen „alternative Heilmethoden“ und „Heilpraktiker“.
Ich beziehe mich auf Sendungen wie:
- Heilpraktiker: Quacksalber oder sanfte Therapie? Das Erste, WDR und SWR
- Homöopathie – die Macht der Kügelchen. Das Erste, SWR
- Was können Heilpraktiker und Homöopathie wirklich? Münchner Runde, November 2019
- Kurzberichte in Sendungen wie Plusminus
Alle Sendungen sind auch noch in der Mediathek aufrufbar unter den Stichworten „Heilpraktiker“ und „Homöopathie“.
Meine Einwände:
Die Reportagen laufen wiederholt nach demselben Schema ab: Ein Heilpraktiker mit geradezu krimineller Energie wird spektakulär als Aufhänger für die Story genutzt, begleitet von entsprechenden Kommentaren. Er dient dann auch weiterhin als roter Faden durch die Sendung. Statistisch betrachtet ist diese Ausprägung jedoch eine absolute Ausnahme. Dennoch wird so der Eindruck vermittelt, Heilpraktiker seien per se gefährlich. Dies als handwerklichen Kniff für einen „guten“ Aufhänger zu begründen, muss überdacht werden.
Um die Anfangsthese der Sendung zu belegen, Heilpraktiker seien unseriös, werden gezielt weitere irritierende Beispiele für Heilpraktiker angeführt: etwa Pendeln; auf Holzfeldern sitzen gegen Viren; Heilpraktiker, die den assoziierten Wirkmechanismus der Homöopathie nicht erklären können; aus dem schulischen Zusammenhang genommene, seltsam anmutende Unterrichtseinheiten an Heilpraktikerschulen. Wie groß das gesamte Spektrum der alternativen Heilmedizin tatsächlich ist, wie umfangreich die HP-Ausbildung an den bekannten Schulen ausfällt und welches detaillierte Wissen auch dank Fortbildungen dahintersteckt, bleibt außen vor. Eine umfassendere Recherche würde jedoch genau das ergeben. Bitte überprüfen Sie dies journalistisch korrekt und zeigen auch diese Seite auf!
In allen Reportagen wird die klassische Wissenschaft völlig selbstverständlich als übergeordnete, allwissende Instanz dargestellt, die Interviewpartner werden dabei entsprechend in Szene gesetzt. Hier fehlt die Auseinandersetzung, inwieweit die klassische Medizin mit ihren Grundsätzen die Alternativmedizin in all ihren Ausprägungen überhaupt beurteilen kann. Es müsste eine entsprechend alternative Argumentationsführung zur Diskussion gestellt werden.
Eine Vorverurteilung von Homöopathie und Alternativmedizin findet bei der ARD bereits bedenkenlos in den Einleitungen von Moderatoren statt. In Plusminus heißt es etwa noch vor dem Beitrag schlicht: Homöopathie nützt nichts, aber warum sitzen dann so viele Patienten der Lüge auf …? Das könnte man als Agitation einstufen.
Alle Reporte wiederholen nicht nur immer wieder dieselben Aussagen, sie lassen auch noch immer wieder dieselben Vertreter sprechen. Ärztin und Onkologin Jutta Hübner etwa scheint bereits zum festen Inventar der ARD zu gehören. Wo sind neue Meinungen und Einschätzungen? Warum kommen nicht häufiger und im selben Umfang ähnlich versierte HP-Verbandsvertreter oder etwa ein Vertreter des großen Homöopathie-Produzenten wie DHU zu Wort?
Warum müssen Heilpraktikerverbände beklagen, man habe ihre Aussagen in Interviews derart aus dem Zusammenhang gerissen und so stark verfälscht, dass sie weitere Interview-Angebote absagen? Hier ließe sich sicherlich mehr Stimmigkeit erreichen, indem man die Positionen zwar notwendigerweise verkürzt, aber in Absprache miteinander genauer wiedergibt.
Es fällt auf, dass in Interviews aufseiten der klassischen Medizin in der Regel wortgewaltige Medienerfahrene zu Wort kommen, während die Alternativmedizin eher zurückhaltende und medienunerfahrene Vertreter zeigt. Dies ist ausgesprochen auffällig in der Münchner Runde vom November 2019 erkennbar, bei der sich die Apothekerin/Heilpraktikerin letztlich gegen drei klassisch orientierte, sehr versierte Gesprächsteilnehmer behaupten musste. Dies gelang erwartungsgemäß kaum.
Frage: Wie kann diese Personenauswahl derart augenfällig ungleichgewichtig ausfallen?
Ausgesprochen bevorzugt wird in den ARD-Beiträgen/-Diskussionsrunden die Debatte um eine der schlimmsten Krankheiten geführt, den Krebs. Obgleich die klassische Medizin hier ebenfalls deutlich an ihre Grenzen stößt, wirft man der Alternativmedizin Versagen und Scharlatanerie vor. Interessanterweise – wie etwa auch die Münchner Runde aufzeigte – erhebt verständlicher- und richtigerweise kaum ein Alternativmediziner oder Heilpraktiker den Anspruch, Krebs heilen zu können (außer die von der ARD zitierten kriminellen Ausnahmen). Eine Kombination der Verfahren dagegen wird sogar von vielen Ärzten vertreten, weil sie damit entsprechende Erfahrungen machten. Letzteres bleibt aber in aller Regel unerwähnt oder nebensatzartig unterbewertet. Unerwähnt bleiben zudem die positiven Stimmen bei anderen Krankheiten, vor allem chronischen. Hierzu gab es auf ARD-Sendern bereits Ärzte, die der Alternativmedizin sogar eine höhere Erfolgsquote ohne Nebenwirkungen bescheinigten. Dennoch stellt man in den Sendungen wiederholt den gesamten Berufsstand massiv infrage, was sonst bei keiner Branche vorkommt, in der es Auswüchse gibt, auch nicht bei Fehlleistungen in der Ärzteschaft.
Ich frage mich: Was ist da los in der ARD?
Was den Berichten fehlt:
Eine Diskussion, ob die heutige Medizinwissenschaft alleiniger argumentativer Maßstab sein kann. Alternativmedizin soll eine Alternative darstellen, die nicht zwangsweise den wissenschaftlichen Denkstrukturen entsprechen muss. Wir wissen aus der Geschichte zur Genüge: Nur weil man sich etwas nicht erklären kann, wäre es falsch zu behaupten, es existiere nicht. Unbekannte Wirkmechanismen sollten daher auch durch Empirik feststellbar sein dürfen, die man verstärkt mit in die Diskussion einbringen sollte. Alles stets auf den Placeboeffekt oder längere Behandlungsgespräche zu schieben und damit das wissenschaftliche Beweisverfahren bereits zu beenden, wirkt gerade in der Wiederholung doch sehr verkürzt.
Welche eigenen Erklärungsansätze für Heilung bietet die Alternativmedizin? Hier sind allerdings nicht beliebige Heilpraktiker nebenbei in ihrer Praxis parallel zu einer Behandlung zu befragen. Genau wie bei der klassischen Medizin in den Beiträgen sind entsprechende Fachleute mit Vertreterfunktion zu interviewen, etwa Hersteller von Alternativ-Medikamenten oder Verbandssprecher.
Welche alternativen Heilmethoden, etwa auch aus der Pflanzenheilkunde und Spagyrik, werden von Heilpraktikern insgesamt angeboten? Gibt es dabei Themenspezialisten unter den Heilpraktikern? Wie hoch ist die Zufriedenheit von Patienten?
Eine mögliche, gemeinsame Abwägung von Heilpraktikern und Ärzten, für welche Diagnosen jeweils klassische oder alternative Medizin sinnvoll sein kann, wäre angemessen. Die ARD vermittelt unterm Strich, die Ärzteschaft sei generell gegen Heilpraktiker. Viele Ärzte jedoch sehen das ganz anders. Sie kooperieren aus guten Gründen mit Heilpraktikern oder haben selbst beide Richtungen eingeschlagen.
Vielen Dank für Ihr interessiertes Lesen! Ich hoffe, obige Einwände regen Sie zum Überprüfen der Beiträge an.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Straßburg
Journalist, Heilpraktiker für Psychotherapie