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Fallstudie Das eigene „Geburtstrauma“ heilen:

Erlebe es noch einmal – mit einem positiven Gefühl!

Zum Termin erscheint eine 49-jährige Klientin, die mir aus einer vorausgegangenen Trauerbegleitung bekannt ist. Damals konnten wir mithilfe eines Rituals die negativen Emotionen, die durch den Verlust des geliebten Vaters entstanden sind, lösen.

 

Sie komme heute wegen der Beziehung zu ihrer Tochter, die ambivalent und konfliktbehaftet sei. Momentan halte sich diese überwiegend im Ausland auf, war aber vor einigen Wochen für 14 Tage zu Besuch in Deutschland. Vor allem, wenn die beiden längere Zeit auf engem Raum zusammen seien, gäbe es Stress. Die Klientin ist dann jedes Mal im Vorfeld schon in Gedanken damit beschäftigt. Sie wünsche sich ein besseres Verhältnis zu ihrer Tochter. Die Klientin ist verheiratet, ihren Mann beschreibt sie als ihren Ruhepol. Sie ist in Teilzeit berufstätig, fühle sich in der Gemeinde wohl und familiär gut eingebunden. Zu ihrem zweitgeborenen Sohn bestehe ein enges Verhältnis. Das Erscheinungsbild ist gepflegt und ansprechend. Sie sei sportlich aktiv und reise gerne. Medikamente, Alkohol- und Drogenkonsum werden verneint. Bei der Anamnese kommen wir natürlich auch auf die Schwangerschaft und Geburt zu sprechen, die hier der entscheidende Schlüssel sind.

Die Schwangerschaft war von beiden Seiten erwünscht und es ging ihr die ganze Zeit sehr gut. Sie habe bis drei Wochen vor der Geburt noch gearbeitet. Nachdem der errechnete Geburtstermin um 14 Tage überschritten war, wurde die Geburt eingeleitet. Obwohl die Entbindung noch natürlich verlaufen konnte, war sie richtig erschrocken, als ihr die Tochter endlich in die Arme gelegt wurde: Mit 59 cm, 4 700 g und langen, abstehenden Haaren sah diese vollkommen anders aus, als sie es sich vorgestellt hatte. Nach der Geburt litt sie an Wochenbettdepressionen und es fiel ihr sehr schwer, eine Bindung zu ihrer Tochter aufzubauen. Die Klientin hat bei der Entbindung sicherlich kein klassisches (Geburts-)Trauma nach der Definition der ICD-10 (F43.1 – posttraumatische Belastungsstörung, PTBS) erlitten. Allerdings einen tiefgehenden Schock – verbunden mit Scham und Schuldgefühlen über ihre Reaktion als Mutter – der die Beziehung bis heute beeinträchtigt. Ich lade die Klientin ein, im geschützten Raum und in Bewegung noch einmal diese Geburt zu erleben und sie dabei so zu gestalten, wie sie es sich gewünscht hätte. Die Klientin ist einverstanden und möchte im Stehen beginnen. Im Hintergrund lasse ich auf Wunsch eine entspannte Klaviermusik zur Begleitung des Prozesses laufen. Zunächst lade ich die Klientin ein, sich selbst mit dem Schwangerschaftsbauch von damals vorzustellen. Sie schließt die Augen, um ganz bei sich anzukommen. Dann berichtet sie von einem Ziehen im Unterbauch. Es fühle sich fast wie die Kontraktionen von Wehen an. Sie atmet gleichmäßig und berührt dabei ihren Bauch. Nach einiger Zeit möchte sie sich hinlegen und wir bereiten gemeinsam ein Bett aus Decken und Kissen, die sich im Raum befinden. Ich knie mich dabei hinter die Klientin, um ihr den Rücken zu stabilisieren und zu streicheln. Ähnlich wie es ihr Mann bei der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter gemacht hatte.


Ich bitte sie, sich jetzt vorzustellen, wie sie ihre neugeborene Tochter im Arm hält. Als Ersatz verwenden wir eine zusammengerollte Decke. Zudem lade ich sie ein, ihre Gefühle im Moment wahrzunehmen. Mit einem Blick auf die Tochter spricht sie mir folgende Sätze nach (auszugsweise): „Du bist meine Tochter und ich bin deine Mutter. Danke, dass du dich für mich entschieden hast. Auch ich habe mich für dich entschieden. Ich wollte auch, dass du meine Tochter bist. Ich liebe dich.“


Tränen der Rührung laufen ihr dabei über die Wangen. Ich lasse sie noch in diesem Gefühl verweilen, bis sie mir durch Augenkontakt signalisiert, dass der Prozess für sie abgeschlossen ist.

Durch diese positive Erfahrung wird die Geburt der Tochter nun mit neuen Emotionen überschrieben – ähnlich wie auf der Festplatte eines Computers. Einfach, indem wir es über den Körper spüren und in unseren Zellen verankern. Und wenn sie sich jetzt an die Geburt erinnert, greift ihr System auch auf die erlebten positiven Gefühle zu. Im Herbst des Jahres meldet sich die Klientin telefonisch bei mir und berichtet, dass ihre Tochter wieder zu Besuch sei und alles bisher sehr entspannt verlaufe.

Es ist für mich immer wieder berührend, solche Prozesse begleiten zu dürfen.

Christine Rump Heilpraktikerin für Psychotherapie, Holistische Tanz- und Bewegungstherapie, Trauer-, Sterbe- und Krisenbegleitung, Systemische Bild-, Gestalt- und Traumatherapie
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