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Buchbesprechungen

Ein kühner Ansatz für eine neue Perspektive. Kriege und Krisen als „Geburtswehen“ einer neuen Zeit? Erste umfassende Veröffentlichung zur „Metamoderne“

Der stetig wachsende Bedarf an psychotherapeutischer Unterstützung hat – von individuellen Ursachen ganz abgesehen – viele Gründe. Basierend auf ihrer praktischen Erfahrung verweisen Heilpraktiker für Psychotherapie (immer m/w/d) häufig auf eine sich aufaddierende Wirkung der diversen Krisen und gesellschaftlichen Verwerfungen und einer sich vertiefenden Verunsicherung der oder des Einzelnen: Es fehlt offenbar zunehmend an sinn- und identitätsstiftenden Bezugsgrößen, an einem Rahmen, in dem die oder der Einzelne sich orientieren kann. Familie, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, selbst über Jahrzehnte allgemeingültige Normen verlieren an Bedeutung.

Während z. B. in Dänemark die Politik versucht, über „dänische Kultur“ das Gefühl einer gemeinsamen Identität zu bewahren und damit einen stabilisierenden Rahmen zu geben, stehen in Deutschland weite Teile von Politik und Gesellschaft dem Gedanken einer – wie auch immer definierten – „Leitkultur“ kritisch gegenüber. Die stattdessen stets betonte „Weltoffenheit“ ist aber für sich genommen vielen Menschen offenbar zu unkonkret: Der Mensch sei (noch?) nicht „global“; er brauche, um sich wohl- und sicher zu fühlen, einen Wertekanon.

Wenn Menschen ein klares „Das ist richtig, aber das ist falsch“ fehlt, kann das zu einer gesellschaftlichen Herausforderung werden – Stichworte sind Populismus und Polarisierung – kann aber auch für die Psyche der Einzelnen gravierende Folgen haben. Die Arbeit von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten sowie der Heilpraktiker für Psychotherapie wird, gerade angesichts ihrer Methodenvielfalt und der in der Regel kurzen Wartezeiten, immer wichtiger. Sie kann aber, so scheint es, kaum mehr als die Symptome einer tiefgreifenden Veränderung bekämpfen, die auch im internationalen Gefüge sichtbar wird und rasant an Fahrt aufzunehmen scheint. Noch vor wenigen Jahren diktierten Weltbank und EU mit einer zuweilen als arrogant empfundenen Selbstsicherheit und Entschlusskraft ins Straucheln geratenen Nationen – wie Griechenland – den Weg aus der Krise. Inzwischen werden die G7 von Staaten wie Indien oder China an die Wand gedrückt, weder der Ukraine-Krieg noch die Klimaerwärmung noch der Krieg im Gaza-Streifen lassen bei den einst tonangebenden Akteuren der Welt auch nur annähernd die klare Haltung von einst erkennen. Auf individueller wie auf internationaler Ebene scheinen Antworten und Lösungen „von gestern“ nicht mehr zu funktionieren.


Nach Ansicht von Dr. Maik Hosang, Professor für Kultur- und Sozialökologie, und dem Hirnforscher Dr. Dr. Gerald Hüther spricht vieles dafür, dass die sich häufenden Krisen, Kriege und Katastrophen neue Antworten erfordern aus einem neuen Denken. Sie seien möglicherweise gar der Beginn einer neuen Epoche, die zwar große Risiken, aber auch Chancen birgt: Hosang und Hüther sprechen von der „Metamoderne“. Historisch folge sie in der Reihe „Vormoderne“, „Moderne“, „Postmoderne“, doch während die bisherigen Abschnitte der Moderne stets auf dem Vorläufer aufbauten und die dort gelegte Basis für eine Weiterentwicklung nutzten, zeichne sich in der Metamoderne eine Art interdisziplinärer Ansatz ab, der nicht nur zwischen verschiedenen und sogar scheinbar gegensätzlichen Lösungs- und Verhaltensansätzen vermittelt, sondern aus ihnen eine neue, integrierende Basis schafft. Die sich daraus entwickelnde Eigendynamik biete Chancen für den oder die Einzelne, ebenso wie für Unternehmen und Staaten.

Veröffentlichungen zum Thema sind bislang in erster Linie auf Englisch erschienen. Das Buch „Die Metamoderne“ gilt deshalb im deutschsprachigen Raum als eine Art Standardwerk. Zumal Gerald Hüther und Maik Hosang als Herausgeber den Themenkomplex von den verschiedensten Seiten beleuchten (lassen): Sie haben Beiträge von unter anderem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern, Psychotherapeuten, Kulturwissenschaftlern, Designern und Organisationsentwicklern gesammelt.

Dabei geht es sowohl um die Entwicklung der Metamoderne an sich als auch um konkretere Fragen an die Zukunft, etwa um „metamodernes Führen“ in Unternehmen, um die Frage, ob ein klimagerechtes Wirtschaftswachstum möglich ist, oder um die Idee eine metamodernen Finanztheorie. Wer sich auf die Vorstellung einer beginnenden „neuen Zeit“ – eben der Metamoderne – einlässt, dem kann das Buch Anregungen geben und helfen, die aktuelle Situation in einem neuen Licht und aus einer anderen Perspektive zu betrachten.


Denn wie auch die Vorläuferepochen letztlich als gesamtgesellschaftliche Entwicklung entstanden sind und sich nicht von herrschenden Strukturen steuern ließen, sei auch die Metamoderne Einladung an und Chance für das einzelne Individuum. Rezension: Jens Heckmann

Maik Hosang, Gerald Hüther (Hg.): Die Metamoderne. Neue Wege zur Entpolarisierung und Befriedung der Gesellschaft. Vandenhoek & Ruprecht Verlag, ISBN 978-3-52540-034-0

Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen steht die Therapie des Betroffenen (immer m/w/d) naturgemäß im Vordergrund. Allerdings dürfen die Angehörigen, und hier vor allem die Kinder, darüber nicht vergessen werden. Zwar gibt es für sie inzwischen zahlreiche Unterstützungsangebote, doch bleibt die Gefahr groß, dass Kinder psychisch Erkrankter mit ihren dadurch bedingten seelischen Belastungen alleingelassen werden – auch, weil sich nicht jedes Kind offensiv extrovertiert verhält.

Zwar dürfen Heilpraktiker für Psychotherapie nicht jede seelische Erkrankung behandeln – z. B. keine schweren Depressionen und keine Psychosen – doch können sie bei der Unterstützung der Kinder Betroffener entscheidende Hilfe leisten. Das Buch „Und dann war Mama Königin“ stellt auf verschiedene Weise die Kinder psychisch erkrankter Menschen in den Fokus und kann gerade auch Heilpraktiker für Psychotherapie bei ihrer Arbeit mit den Kindern psychisch kranker Menschen unterstützen.

Im ersten Teil des liebevoll illustrierten, hochwertigen Buches werden Jungen und Mädchen direkt angesprochen: Kindgerechte, kurze Texte beschreiben (fiktive) Kinder und ihre Lebenssituation mit dem erkrankten Elternteil. Themen sind dabei unter anderem Zwangsstörungen, Phobien, Depressionen, aber auch Heimweh, Schizophrenie, Traumafolgestörungen und Suchterkrankungen. In erdachten Briefen wenden sich die Kinder an ihr Elternteil, schildern, wie es ihnen mit der Situation geht und was sie sich stattdessen wünschen. Die Eltern antworten darauf ebenfalls in Briefform.

Gerade für Kinder bedeutet die psychisch bedingte Wesens- und Verhaltensänderung einer elterlichen Bezugsperson eine massive Beschädigung des (vermeintlich) sicheren Lebensumfelds. Sie wirkt zutiefst verunsichernd und beängstigend und übersteigt in der Regel bei Weitem die vorhandenen Lösungs- und Erfahrungskompetenzen eines Kindes. Erhebliche, auch langfristige psychische Beeinträchtigungen können eine Folge sein. Dem jugendlichen (Vor-)Lesepublikum wird mit „Und dann war Mama Königin“ verdeutlicht, dass es sich bei der jeweiligen Erkrankung zunächst einmal um eine „echte“ Krankheit handelt, für die niemand etwas kann und für die man sich nicht schämen muss. Einfache Fragen erleichtern den Mädchen und Jungen den Zugang zum Thema und erhöhen die Identifikation mit den geschilderten Schicksalen. Die kurzen Geschichten in dem Buch können Kindern helfen, ihre Überforderung und Ratlosigkeit zumindest so weit zu überwinden, dass Fragen und darüber Sprechen möglich werden; die Kinder erfahren, dass sie mit ihren Erlebnissen nicht allein dastehen und dass es Erklärung und Hilfe gibt. Der zweite Teil des Buches richtet sich an Erwachsene; sowohl an das seelisch gesunde Elternteil wie auch an interessierte Laien oder Menschen, die in Unterstützungsorganisationen aktiv sind. Verschiedene Einrichtungen stellen sich kurz vor; außerdem kommen Erwachsene zu Wort, die selbst von einer seelischen Erkrankung betroffen waren. In diesem Buchteil sind auch etliche Kontaktmöglichkeiten mit kompetenten Einrichtungen zu finden. Rezension: Jens Heckmann
Claudia Gliemann: Und dann war Mama Königin. Illustration Louise Heymans, Monterosa Verlag, ISBN 978-3-94264-020-6