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Die Bedeutung einer klaren Objektbeziehung für die Entspannung Stärkung des Nervensystems – Heilung der Nervosität und Unruhe

Sehr viele Menschen leiden heute unter Unruhe, Anspannung oder klagen über Nervosität. Die Nervosität ist so weitverbreitet, dass schon bald jeder davon betroffen ist. Sie ist nicht nur an sich belastend, sondern kann Erkrankungen wie Bluthochdruck, Reizdarm, Magengeschwüre, Ängste und Angststörungen, Depressionen sowie Schlafstörungen begünstigen. Schließlich kann sie zu Erschöpfung führen. Deshalb spielt die Entwicklung von Entspannung und Ruhe eine wichtige Rolle für die Gesundheit.

Im Yoga z. B. soll die Entspannung unter anderem mit der Entspannungslage, bei der der Übende über einige Minuten ausgestreckt auf dem Rücken liegt und sich selbst autosuggestive Anweisungen wie „mein Fuß ist entspannt“, „mein Bein ist entspannt“ usw. gibt, erzielt werden. Interessant ist hierbei folgende Beobachtung: Es gibt Menschen, die unter einer so starken Nervosität leiden, dass sie es gar nicht aushalten, mehrere Minuten in der Entspannungslage ruhig zu liegen, sondern dabei sogar noch unruhiger werden. Es scheint doch nicht so einfach zu sein, auf diese direkte Weise eine Entspannung herbeizuführen.

Bei genauerer Betrachtung, woher Unruhe und Nervosität kommen, wird dieses Phänomen verständlicher.

Die zwei Grundfunktionen des Nervensystems

Unruhe, Anspannung und Nervosität werden über das Nervensystem vermittelt. Diesbezüglich ist es aufschlussreich, das Nervensystem in seinen Grundfunktionen einmal genauer zu betrachten. Die Funktion des Nervensystems gliedert sich in zwei große unterschiedlich arbeitende Bereiche. 1. Willkürliches Nervensystem und der Bezug nach außen

Der eine Teil, das willkürliche oder auch animalische Nervensystem, ist für schnelle Informationsverarbeitung, bewusste Wahrnehmungen und willkürliche Bewegungen zuständig. Allgemein ist es dafür verantwortlich, den Menschen mit seiner Umwelt in Verbindung zu bringen. Das willkürliche Nervensystem ist hauptsächlich über die Sinnesorgane am Kopf und an der Peripherie über die Haut und über die Muskulatur der Arme und Beine tätig.

2. Vegetatives Nervensystem und der Bezug nach innen

Der andere Teil, das vegetative Nervensystem, hingegen ist für die Konstanterhaltung des inneren Milieus verantwortlich. Es reguliert eigenständig die Organfunktionen, wie es erforderlich ist. Vom Vegetativum werden unter anderem die Herz- und Kreislauffunktion, die Atemfunktion, die Verdauungsfunktion, die Stoffwechselund Ausscheidungsfunktion und der Wärme- und Energiehaushalt gesteuert. Das vegetative Nervensystem arbeitet autonom, d. h. wir können die Herzschläge i. d. R. nicht bewusst steuern, sie z. B. schneller oder langsamer schlagen lassen. Auch die Darmbewegungen können nicht bewusst gesteuert werden. So ist es oft nicht ganz einfach, eine Verstopfung zu beheben, da man die Darmbewegungen eben nicht direkt beeinflussen kann. Die beiden Hauptnerven des vegetativen Nervensystems sind der Sympathikus und der Parasympathikus, die als Gegenspieler zusammenwirken. Der Sympathikus dominiert in psychischen und physischen Stresssituationen und dient der Leistungssteigerung. Der Parasympathikus hingegen dominiert, wenn man ruhig und entspannt ist. Er dient der Regeneration. (Abb. 1)

Störeinflüsse auf das Nervensystem durch nicht bewusst verarbeitete Einflüsse

Das willkürliche Nervensystem mit seinen bewusst und willentlich steuerbaren Funktionen und das unbewusst und autonom arbeitende vegetative Nervensystem sollten im günstigsten Fall harmonisch aufeinander abgestimmt sein und im richtigen Verhältnis zusammenwirken. Aufgrund der Flut an – häufig emotional aufgeladenen – Informationen, denen wir über die Medien ausgesetzt sind, wird jedoch das willkürliche Nervensystem sehr stark beansprucht. Es ist kaum möglich, die vielen Informationen bewusst zu verarbeiten, so gleiten diese unmittelbar in das Unbewusste. Suggestionen und Lügen, die nicht erkannt werden, werden ebenfalls nicht über das Bewusstsein verarbeitet, sondern wandern direkt in das Unbewusste. Traumen werden ebenfalls im Unbewussten aufgespeichert. Indem all diese Einflüsse ohne bewusste Verarbeitung in das Unbewusste hinabsinken, sind sie nicht einfach verschwunden, sondern sie wirken auf das vegetative Nervensystem störend und Unruhe stiftend ein. Dadurch wird der Sympathikus, der einen erhöhten Anspannungszustand und erhöhte Wachheit herbeiführt, vermehrt aktiv. In schweren Fällen kommt der Regeneration und Aufbau bringende Parasympathikus nicht mehr zum Eingreifen. Damit entsteht die sog. Sympathikotonie, die mit der Zeit zu einer großen Erschöpfung führen kann.


Das in Unruhe gebrachte und aufgewühlte vegetative Nervensystem wirkt dementsprechend Unordnung bringend auf die Organe, es können dadurch z. B. Herzunruhe, Ängste oder Schlafstörungen entstehen sowie Durchfall oder Verstopfung u. v. m. Gleichzeitig schlägt diese untergründige Unruhe hoch in das willentliche Nervensystem. Der Betroffene wird fahrig in seinen Bewegungen, zappelig, er neigt zu Unkonzentriertheit, Gedankensprüngen etc. Aber auch im Bewusstsein selbst zeigen sich deutliche Auswirkungen. Der Einzelne ist durch die bestehende Unruhe und die aus dem Körper aufsteigenden Ängste, je nach Schwere der Symptome, ein Stück weit auf sich selbst zurückgeworfen und das Bewusstsein ist wie eingehüllt.

 

Das heißt, der Einzelne (immer m/w/d) ist mehr bei sich selbst, er findet nicht mehr so gut in einen bewussten, objektiven Außenbezug, sondern ist subjektiv bei sich gefangen. Je nach Schweregrad führt dies zu mehr oder weniger starken Projektionen der eigenen Innenwelt auf die Objekte im außen. (Abb. 2)

Die Stärkung des willkürlichen Nervensystems fördert Entspannung und Ruhe

Ausgehend von diesen Zusammenhängen ist es für die Entwicklung von Entspannung und Ruhe sehr wesentlich, dass das willkürliche Nervensystem in seiner bewussten Wahrnehmungsfunktion gestärkt wird oder anders ausgedrückt, dass eine objektive Außenwahrnehmung mit klaren, geordneten und wahren Gedanken gefördert wird. (Abb. 3)

Je mehr das mit dem Bewusstsein in Zusammenhang stehende willkürliche Nervensystem aufgebaut und damit gegenüber den einhüllenden Unruhetendenzen aus dem unbewusst und autonom arbeitenden vegetativen Nervensystem stabilisiert wird, desto mehr wird auch das geschwächte vegetative Nervensystem in seiner ordnenden und regulierenden Funktion gestärkt. In der Folge kann sich Ruhe und Entspannung entwickeln. Weiterhin wird Erschöpfungszuständen entgegengewirkt und die Regeneration gefördert.

Diese sich entwickelnde Ruhe und Entspannung kann mit einem gewissen Training auch zunehmend in fordernden Situationen im Alltag aufrechterhalten werden. Es handelt sich hier nämlich nicht nur um eine Übung, die man zur Beseitigung von Symptomen praktiziert, sondern es erfolgt damit eine grundsätzliche und tiefgreifende Stärkung des gesamten Nervensystems.
Übungsbeispiel: Wie kann eine klare Objektbeziehung in einer praktischen Umsetzung herbeigeführt werden?
Als Objekt kann z. B. ein Baum, eine Blume, ein Gebäude oder auch der eigene Körper dienen.
1. Eine klare, objektive Anschauung zur Sache bilden

Der erste Schritt besteht darin, dass man einmal für einige Minuten wirklich auf das Objekt hinschaut. Wir sind es heute gewöhnt, dass der Blick nur flüchtig über die Gegenstände gleitet und man entweder sofort zu irgendwelchen Schlüssen und Bewertungen kommt oder das Objekt sogleich in das Unbewusste hinabgleitet und die Aufmerksamkeit schon wieder zu einem nächsten Gegenstand weiterwandert. Hierbei kann aber keine wirklich klare Beziehung zu dem Objekt entstehen. Aus diesem Grund geht es zunächst einmal darum, über ein längeres Hinschauen die äußere Form, Farbe und Struktur des Objektes genau zu erfassen. Alles Subjektive sollte hierbei draußen gehalten werden, z. B. Bewertungen, Sympathien und Antipathien, Emotionen, Ängste etc. Für das Erfassen des Objektes ist es sehr hilfreich, sich konkret die Frage zu stellen „Wie ist die Form?“ und diese dann in Worten zu beschreiben. Assoziationen wie „Der Stängel sieht aus wie eine Fahnenstange.“, sollten hier keinen Raum haben, sondern es geht um eine konkrete Beschreibung der Form wie beispielsweise „Der Stängel ist vertikal, er ist lang und dünn, unten ist er kräftiger und nach oben hin wird er zarter.“ Genauso verfährt man mit der Farbe und mit der Struktur. (Abb. 4)


2. Eine möglichst getreue bildliche Vorstellung von der Sache kreieren Nachdem die erste Phase der Übung für einige Minuten aufrechterhalten worden ist, folgt nun der zweite Schritt. Jetzt wendet der Übende den Blick vom Objekt hinweg und kreiert in seiner Vorstellung ein möglichst dem Original entsprechendes Bild und bewahrt dieses für einige Minuten in seinem Bewusstsein. Die Vorstellung sollte nicht im Kopf, sondern ein Stück weit vor der Stirn im Raum gebildet werden. Falls es anfangs schwierig ist, mit geöffneten Augen eine Vorstellung aufzubauen, können die Augen hilfsweise geschlossen werden. Durch das längere Aufrechterhalten der bildlichen Vorstellung entsteht ein Konzentrationsaufbau. Gleichzeitig bewahrt der Übende auch hier die Fragestellung „Wie ist die Form?“ in der Aufmerksamkeit. Ergebnisse dieser ungewöhnlichen gedanklichen Eigenaktivität sind sofort bemerkbar. Schaut der Übende nach dem Absolvieren der Übung noch einmal auf das Objekt, so wird er feststellen, dass ihm dieses vertrauter geworden ist und dass er es besser kennengelernt hat. Er nimmt vielleicht plötzlich ein Detail wahr, das er vorher noch übersehen hatte, und es entsteht Interesse zum Weiterforschen. Insgesamt empfindet der Übende das Objekt näher, lebendiger und leuchtender.


Die Entwicklung einer klaren Objektbeziehung und das Lichtwirken
In seinem Buch „Die Seelendimension des Yoga“ eröffnet Heinz Grill einen sehr interessanten und weitreichenden Zusammenhang von Entspannung und Ruhe mit einem Lichtwirken:
„Solange der Mensch auf den Körper und seine ihm eigene Wahrnehmung zurückgeworfen ist, befindet er sich in einem ausweglosen Stadium der Anspannung und Unruhe. Eilt ihm aber ein Licht entgegen, das die Umgebung erleuchtet, weicht das Eingeschnürtsein und Zurückgeworfensein auf den Körper zurück und es entsteht die natürliche Ruhe und Zuversicht.

So kann man sagen: Sobald die menschliche Wahrnehmung in eine natürliche und realistische Beziehung mit einem Objekt der Außenwelt tritt, weicht das körperliche Wesen in einer geringfügigen Weise zurück. Das Objekt gewinnt die Aufmerksamkeit und somit das Interesse. Die leibliche Situation kann nun vergessen werden. Der Mensch fühlt sich durch die beleuchtete Situation der Außenwelt in einem sicheren Raume geborgen und dieser schenkt ihm die nötige Entspannung.“

Mit dem aktiven, von einem Gedanken getragenen Wahrnehmungsprozess bzw. der Entwicklung einer klaren Objektbeziehung entsteht somit eine Art Lichtwirken. Dieses ist sowohl für den Einzelnen, als auch für einen aufmerksamen Beobachter wahrnehmbar bzw. empfindbar. Solange der Einzelne eingehüllt in seiner Innenwelt bleibt und nicht richtig in Beziehung nach außen findet, kann auch das Licht nicht richtig zirkulieren. Der Betroffene erscheint nicht nur abgeschirmt, sondern er wirkt wie verdunkelt, verschattet. Sobald aber ein konkreter, klarer und gedanklich geführter Bezug zu einem Objekt aufgebaut 

„Solange der Mensch auf den Körper und seine ihm eigene Wahrnehmung zurückgeworfen ist, befindet er sich in einem ausweglosen Stadium der Anspannung und Unruhe. Eilt ihm aber ein Licht entgegen, das die Umgebung erleuchtet, weicht das Eingeschnürtsein und Zurückgeworfensein auf den Körper zurück und es entsteht die natürliche Ruhe und Zuversicht.“

wird, lichtet sich die unmittelbare Sphäre um die jeweilige Person und das betrachtete Objekt. Das Objekt wird nicht mit den Assoziationen, Emotionen oder Projektionen des Betrachters eingehüllt, sondern es kann selbst mehr in Erscheinung treten. (Abb. 5)
Fazit
Indem eine klare Objektbeziehung hergestellt und über einige Zeit aufrechterhalten wird, entsteht eine harmonische Ordnung im Nervensystem. Die beiden maßgeblichen Regionen des willkürlichen Nervensystems und des unwillkürlichen vegetativen Nervensystems finden in ein wohl abgestimmtes Zusammenwirken. Das Bewusstsein ist nicht im Innenraum gefangen, sondern befindet sich in einem weiten Außenbezug. Dies bildet die Basis, damit das Licht wieder natürlich zirkulieren kann, und somit fühlt sich der Übende sicher im ihn umgebenden Raum geborgen und es können Ruhe und Entspannung eintreten. Mit einer wiederholten Aktivität dieser Art erfährt das Bewusstsein und in der Folge das Nervensystem eine tiefgreifende Stärkung und Zentrierung. Die damit sich freisetzenden regenerativen Kräfte wirken bestehenden Erschöpfungstendenzen und -zuständen entgegen.
Literatur
Grill, Heinz: Die Seelendimension des Yoga (2018), Kapitel: Innere Ruhe und Entspannung Grill, Heinz: Übungen für die Seele (2022) Steiner, Rudolf: Nervosität und Ichheit. Stressbewältigung von innen (2009) Grill, Heinz: Kosmos und Mensch (2015), Kapitel: Das Nervensystem