Zum Hauptinhalt springen

Suche nach Lebendigkeit in der Not

Das Konzept Integrativer Methodik (KIM) - Erklärt mit einem Fallbeispiel

Am 2. November 2013 fand in Hannover das 40-jährige Jubiläum des Instituts KIM e. V. statt. Das „Konzept Integrativer Methodik“ wurde in lebenslanger Praxis entwickelt und gelehrt von der Psychologin Hanna Elisabeth Schumann (1924- 2007). Schumann begründete u. a. in den sechziger Jahren den Aufbau der Supervisorenausbildung in der Bundesrepublik im Leitungsteam der Akademie des Deutschen Vereins für Öffentliche und private Fürsorge in Frankfurt/Main.

Ursprung des KIM war die Suche der jungen Studentin und Fürsorgerin Hanna Elisabeth Schumann nach einer Methode, mit der sie durch den Krieg schwer traumatisierte Kinder und Jugendliche in den Trümmern des befreiten Berlin 1945 erreichen konnte. Diese Kinder und Jugendlichen galten damals als „asozial“, häufig als kriminell und nicht besserungsfähig. In ihrer Anteilnahme für diese Kinder und der Arbeit mit ihnen entdeckte sie, wie aussichtsreich es ist, sich nicht auf all die Störung und Verstörung zu konzentrieren, sondern in diesen Kindern den - immer vorhandenen - lebendigen und unversehrten Kern zu finden und dafür zu sorgen, dass dieser Kern, dieses „leuchtende Kind“ sich entwickeln kann und Zugang findet zu einem Sinn, der größer ist als die allgegenwärtige Misere.

Eine ressourcen- und sinnorientierte Methode war geboren und wurde im Laufe der Jahrzehnte von Schumann in Theorie und Praxis weiterentwickelt und ausdifferenziert. Heute ist KIM ein wunderbares Werkzeug für alle, die Menschen unterstützen, sich – für sich selbst stimmig – zu entwickeln. Das Konzept Integrativer Methodik wird in Pädagogik, Seelsorge, Sozialarbeit, Coaching, Supervision, Beratung und Psychotherapie angewendet. Es lässt sich gut verbinden mit unterschiedlichen beraterischen und therapeutischen Methoden.

Der Fachtag zum 40-jährigen Jubiläum des KIM-Instituts bildete die Vielfalt in der Anwendung ab. Im Folgenden mein leicht gekürzter Redebeitrag zum Institutsjubiläum.

Arbeitsfeld Psychotherapie in der Heilpraktikerpraxis – Das Konzept Integrativer Methodik als emanzipatorischer Ansatz.

Ich habe diesen Titel für meinen Jubiläumsbeitrag gewählt, weil es eine durchgängige, teilweise überraschende Erfahrung in meiner Arbeit mit dem KIM ist, dass sie befreiend wirkt. Befreiend für die Klientin (ich arbeite mit Frauen), die sich als die einzigartige Person, die sie ist, gewürdigt sieht, ihre Ressourcen und Selbstheilungsmöglichkeiten entdeckt.

Befreiend für mich als Beraterin/Therapeutin, weil ich mich darauf verlassen kann, dass bei der Klientin – wenn auch gut verborgen – „alles da“ ist, was diese braucht, um wieder ins Lot zu kommen.

Im Folgenden werde ich die wesentlichen emanzipatorischen Aspekte bei der Arbeit mit dem Konzept Integrativer Methodik stichwortartig benennen und einige wenige kürzere Ausführungen zur Illustration machen.

Gesundheits-/Krankheitsverständnis

Im Verständnis des KIM ist Leben Entwicklung. Dabei sind seelische Störungen und Unbalancen normal. Du bist also kein Freak, weil du vielleicht eine Depression oder Angstzustände hast! Die Erkrankungen sind Hinweise, dass etwas am Gesamtgleichgewicht gestört ist, denen sich nachzugehen lohnt.

Es hilft meinen Klientinnen, als „normal“ angesprochen zu werden. Und es motiviert sie, wenn sie erfahren, dass es hinter ihrem Leid etwas zu entdecken gibt, was wertvoll für sie ist.

Das Rollenverständnis der KIM-Berater und -Therapeuten

Wir gehen davon aus: Unsere Klienten und Klientinnen sind Experten für sich selbst. Sie allein können wissen, was gut und richtig für sie ist. Sie sind voller Potenziale und Ressourcen, auch wenn diese verschüttet sind. Mithilfe dieser Ressourcen können sie Lösungen finden und ergreifen, die ihnen entsprechen.

Wir als Berater und Therapeuten haben die Aufgabe, Bedingungen zu schaffen, die so sind, dass unsere Klienten herausfinden und umsetzen können, was ihnen entspricht. Wir sind also für die Rahmenbedingungen und den Prozess verantwortlich. Die Inhalte des Prozesses bestimmen unsere Klienten alleine. Die Deutungshoheit über das, was für sie stimmt, haben unsere Klienten.

Ressourcenorientiertes Arbeiten
Die Entwicklung des ganzen Menschen steht im Zentrum der Arbeit

Von vorneherein ist die gesamte derzeitige Lebenslage unserer Klienten Thema der gemeinsamen Arbeit. Eine Störung, eine Erkrankung ist nur zu verstehen im Kontext des ganzen Lebenszusammenhanges. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Ressourcen, über die ein Mensch verfügt. Die Orientierung in der Arbeit ist nicht: Wie werde ich eine Störung/ein Symptom los, sondern: Wie kann ich erreichen, dass ich mehr so leben kann, wie es mir entspricht und woran mich bisher meine Störung hindert. Es geht um eine bessere Zukunft.

Meine Erfahrung ist: Die Arbeit mit Ressourcen macht gute Laune. Man kann zusehen, wie Menschen aufblühen, wenn sie über das sprechen, was ihnen guttut und sie glücklich macht.

Die Aussicht, sich den eigenen Ressourcen zuwenden zu dürfen, um mehr über das eigene Leid zu erfahren und mithilfe dieser Ressourcen einen besseren Weg für sich zu finden, ist sehr motivierend und macht sogar gelegentlich Spaß!

Arbeit mit inneren Bildern

Im KIM arbeiten wir viel mit zeichnerischen Analogien, imaginativen Szenen und Dialogen. Diese Arbeit bezieht die Potenziale der rechten Hirnhälfte, dem Sitz der Emotionen und sinnlichen Eindrücke, in die Arbeit mit ein. Auf diese Weise bekommen unsere Klientinnen und Klienten einen Zugang zu vorhandenem aber unbewusstem Wissen, welches von ihnen in der weiteren Arbeit auf der Bilderebene auch wirksam zu beeinflussen ist. Eine Veränderung auf der Bilderebene – die alle sinnlichen Eindrücke umfasst (also auch Hören, Schmecken, Fühlen, Riechen) – ist nachhaltiger als jede rational nachvollzogene Einsicht, weil sie direkt in unserem Gefühlsleben verankert ist. Die Bedeutung innerer Bilder für unsere Entwicklung und unser Wohlbefinden hat übrigens die Hirnforschung in den letzten Jahren beeindruckend aufgezeigt.

Unsere Klienten erfahren so, dass sie über innere Schätze und hilfreiche Kräfte verfügen, von denen sie vorher nichts ahnten. Das verhilft zu mehr Selbstvertrauen und zu einem besseren Selbstbild.

Symptome werden nicht bekämpft, sondern in ihrer Funktion gewürdigt

Wir sehen Symptome als eine Art „Warnblinkanlage“, die signalisiert, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist, und wir sehen sie als Schutzfunktion für die Integrität der Person, solange die „Gleichgewichtsstörung“ nicht behoben ist. Dementsprechend ist es wichtig, ein Symptom kennenzulernen und es – beispielsweise in einem imaginativen Dialog – nach seiner Funktion für die Person zu befragen. Wenn deutlich ist, was das Symptom uns sagen will, gilt es, das Symptom zu „entlasten“, damit es nicht weiter agieren muss und gehen kann. Für unsere Klienten heißt das:

  • Ich muss mich meiner Symptome nicht mehr schämen, sondern kann neugierig auf das sein, was sie mir mitzuteilen haben.
  • Ich bin meinen Symptomen nicht mehr hilflos ausgeliefert, kann ihnen stattdessen helfen und sie zu meinen Verbündeten machen.
  • Indem ich das Symptom wertschätze, entwickle ich mehr Selbstachtung und Selbstliebe, d. h., die Klientinnen und Klienten entwickeln Verständnis für das Symptom und müssen sich wegen ihrer quälenden Symptome nicht länger selbst verachten und hassen! Das nimmt enorm Druck aus der sowieso schon angespannten Situation!

fotolia©Alexander RathsEin Beispiel

Eine 22-jährige Frau kommt mit folgendem Anliegen: Sie hat – immer wenn sie unter Druck steht – seit Jahren Asthma und seit ein paar Wochen sind noch Essattacken dazugekommen. Die Essattacken kommen inzwischen auch schon ohne Stressanlass. Sie isst ungeheure Mengen und hat in kurzer Zeit 10 kg zugenommen. Sie hat auch schon mit gelegentlichem Erbrechen nach den Essattacken angefangen.

Über einen imaginativen Symptomdialog (Essattacken/Kloß im Hals/Asthma) stellt sich heraus: Das Symptom zeigt sich in Gestalt einer schwarzen Würgeschlange. Diese Schlange umschlingt die Klientin von hinten und drückt ihr damit auch die Luft ab (Asthma). Die Schlange lässt die Klientin erst los, wenn die ihr genug zu essen gibt. Dann darf sie auch wieder frei atmen. Im Dialog stellt sich heraus, dass beide – die Klientin wie die Schlange – miteinander kämpfen und keine nachgeben will. Schließlich wird eine Lösung zwischen der Schlange und der Klientin gefunden. Die Schlange darf losgehen hinaus in die Welt. Ihr stehen alle Supermärkte offen und sie darf essen, so viel sie will. Im Gegenzug lässt sie die Klientin in Ruhe, sodass diese so essen kann, wie es ihr entspricht. Vorläufig wird die Vereinbarung zwischen Schlange und Klientin für je eine Woche geschlossen und dann erneuert.

Parallel hatte die Klientin mithilfe einer zeichnerischen Analogie erarbeitet, dass die Schlange/das übermäßige Essen eine Entlastungsmaßnahme ihres Organismus ist, weil sie familiär sehr unter Druck steht, was ihre weitere berufliche Orientierung angeht.

Der Klientin gelingt es im Zuge der weiteren Arbeit und weiterer Imaginationen – ich komme noch darauf zurück – die Situation mit ihrer Familie zu klären, diese von ihren Plänen zu überzeugen und ihre Pläne im Anschluss auch umzusetzen.

Während dieser Therapie konnte die Klientin seit dem ersten Symptomdialog mit der Schlange – auch in Stress-Situationen – anstrengungslos ganz normal essen. Auch das Asthma ist verschwunden. Eine große Hilfe war dabei, dass sie ein entspanntes Verhältnis zur Schlange gewonnen hatte (auf einem Bild schüttelten sie sich sogar freundschaftlich die Hände). Sie hasste und quälte sich nicht mehr mit Selbstvorwürfen. Die Schlange war befriedet, durfte schließlich essen, so viel sie wollte, während sie, die Klientin, sich um die Regelung ihrer familiären und beruflichen Angelegenheiten kümmerte.

Entwicklungsnachholende Therapie (ENT) mit zurückgelassenen Personanteilen

Das ist eine weitere sehr effektive Methode im KIM, um alte Wunden zu heilen und traumatische Erfahrungen aufzulösen. Zurückgelassene Personanteile tauchen in Situationen von Angst und Panik auf, in Situationen, in denen Menschen „auf einmal“ ihre gewohnte Souveränität verlieren. Das ist ein die Betroffenen zutiefst verstörender und beschämender Vorgang. Wenn man nachfragt: Wie alt fühlen Sie sich in dieser Situation, dann sind sie mal 6, mal 15 oder 20 Jahre, auf jeden Fall jünger als ihr aktuelles Alter ist. Diese Personanteile sind zum damaligen Alterszeitpunkt aufgrund besonderer Belastungen in ihrer Entwicklung „steckengeblieben. Sie bedürfen einer nachholenden Entwicklung und damit die Integration in die gesamte Person in ihrem aktuellen Alter.

Als Beispiel komme ich zurück auf die junge Frau mit Essattacken. Ein Teil der Arbeit mit ihr war ENT, entwicklungsnachholende Therapie. Es gab bei ihr wiederkehrende Situationen, in denen sie sich so klein und hilflos fühlte, dass sie nur noch weinen konnte. Das be-traf Gesprächssituationen z. B. mit den Eltern oder der Chefin. Auch diese Stress- Situationen beförderten ihre Essattacken.

In der Imagination zeigte sich eine niedergeschlagene Sechsjährige, die einen Rucksack voller schwerer Steine trug. Die Steine symbolisierten für die Klientin Ansprüche, die ihr ihre Eltern aufgebürdet hatten. Im Dialog mit diesem Mädchen übernahm die Klientin die Erziehungsfunktion und die Verantwortung für den Rucksack, der viel zu schwer für so ein kleines Kind war. Die Kleine durfte den Rucksack abnehmen und spielen gehen.

Die Klientin hat damit ihrem inneren Kind die Freiheit gegeben, spielen zu gehen und all das zu tun, was andere kleine Mädchen in ihrem Alter gerne tun und für ihre Weiterentwicklung brauchen. Sie hat ihrem zurückgelassenen Kind glaubhaft versichert, und das war gar nicht leicht, dass in Zukunft sie, die Erwachsene alle Situationen übernehmen wird, für die die Kleine als Kind nicht zuständig ist, wie z. B. Gespräche mit ihren Eltern und der Chefin.

In der Folge gelang es ihr fast ausnahmslos, in ihrem realen Alter (22), mit ihrer erwachsenen Souveränität, sich auf erwachsene Art mit ihren Eltern und ihrer Chefin auseinanderzusetzen. Mit der Kleinen nahm sie regelmäßig Kontakt auf, um sich zu vergewissern, dass es ihr gut geht und sie nichts tun muss, was ihr altersmäßig noch nicht entspricht und in der Verantwortung der Erwachsenen liegt.

Die Therapie war nach fünf Monaten und zwölf Sitzungen beendet. Das Asthma und die Essattacken waren überwunden. Die Klientin konnte sich ihrem realen Alter entsprechend in Stress-Situationen behaupten und ihre beruflichen Pläne angehen.

Das Konzept Integrativer Methodik ist eine nachhaltig wirksame, unsere Klientinnen und Klienten ermutigende Arbeitsmethode. Sie „funktioniert“ allerdings nur, wenn wir als Berater/Therapeuten auf unsere Macht verzichten. Auf das gut meinende Bedürfnis, uns inhaltlich einmischen zu wollen, einen Prozess beschleunigen zu wollen und Ähnliches. Bei dieser Arbeit gilt im Zweifel immer: „Weniger ist mehr!“

Wir dürfen uns darauf verlassen, dass bei unseren Klienten alle Ressourcen vorhanden sind und nur darauf warten sich entfalten zu dürfen.

Stefanie Katz Stefanie Katz
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Dipl. Sozialökonomin, Schwerpunkt Psychotherapie und Beratung für Frauen
Praxisgemeinschaft Naturheilpraxis
Lange Reihe 40, 20099 Hamburg
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.