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Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten ist nicht immer leicht

2014-01-Zusammen1

Der Fall: Depressive Episode, Anpassungsstörung bei chronischentzündlicher Darmerkrankung

fotolia©Christian SchulzIn meiner Fallbetrachtung möchte ich darauf eingehen, wie die Zusammenarbeit mit Fachärzten sehr gut funktionieren bzw. durch Voreingenommenheit und Arroganz scheitern kann. Ausschlaggebend ist hierbei in erster Linie die Einstellung der Mediziner gegenüber uns Heilpraktikern und ihr eigenes Wertebild. Aber auch wir können einiges für eine gute Zusammenarbeit tun. Schon während meiner Ausbildung hatte ich immer wieder von Dozenten gehört, wie schlecht es um die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Psychologen bzw. Heilpraktikern für Psychotherapie bestellt sei. Im Vorfeld machte ich mir also Gedanken, was ich persönlich für einen guten Umgang miteinander tun kann, zumal mein Mann niedergelassener Internist ist.

So gestaltete ich meine Flyer und Homepage sehr überlegt. Ich wies ausdrücklich auf die Störungsbilder hin, die ich behandeln kann, und dass mein Angebot eine Ergänzung und keine Gleichstellung bzw. kein Ersatz gegenüber klinischen Psychologogen und/oder Medizinern bedeutet.

Ich lud mit einer sehr persönlich gehaltenen Einladung zu meiner Praxiseröffnung ein. Bei Ärzten, mit denen ich voraussichtlich mehr zu tun haben würde, schrieb ich zusätzlich noch einen Brief, indem ich näher auf meine Tätigkeiten einging und ausdrücklich betonte, dass ich mir meiner Grenzen bewusst bin. Dies war besonders beim Chefarzt der Psychiatrischen Klinik vor Ort von Vorteil, aber auch bei einigen Hausärzten. Zu meiner Einweihung kamen acht Ärzte und eine niedergelassene klinische Psychologin. Andere boten mir spontan an, Flyer bei sich auszulegen.

Wie wichtig diese Aufklärungsarbeit war, zeigte sich später bei der Behandlung meiner Patienten. Meistens haben diese kein Problem damit, wenn ich sie um die Entbindung von der Schweigepflicht bitte und frage, ob ich mich mit dem Hausarzt wegen der medikamentösen Therapie kurzschließen könne. Auch die von mir kontaktierten Ärzte reagieren sehr positiv. Ich fasse mich bei dieser Kontaktaufnahme sehr kurz, gebe meinen Eindruck wieder und betone, dass diese Information nur dem Wohle des Patienten diene, ich ihn, den Facharzt, nicht belehren wolle, die Entscheidung über die medizinische Therapie natürlich beim Mediziner selbst liege.

Die Musterberufsordnung für Ärzte (MBO) legt generell Folgendes fest:

§ 29 a Zusammenarbeit mit Dritten (1)

Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, zusammen mit Personen, die weder Ärztinnen oder Ärzte sind, noch zu ihren berufsmäßig tätigen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern gehören, zu untersuchen oder zu behandeln. Dies gilt nicht für Personen, welche sich in der Ausbildung zum ärztlichen Beruf oder zu einem Fachberuf im Gesundheitswesen befinden.

(2) Die Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Fachberufe im Gesundheitswesen ist zulässig, wenn die Verantwortungsbereiche der Ärztin oder des Arztes und des Angehörigen des Fachberufes klar erkennbar voneinander getrennt bleiben.

Auf die Zusammenarbeit mit Medizinern möchte ich anhand eines negativen und eines positiven Beispiels eingehen.

Bei mir stellte sich eine junge Patientin vor, die seit einigen Jahren an einer Colitis ulcerosa, vom chronisch progredienten Verlaufstyp, mit schweren Schüben litt: Heftige Bauchkrämpfe und blutige Stühle waren wesentliche Symptome der Primärerkrankung, regelmäßige Bluttransfusionen deshalb notwendig. Durch die erforderliche hochdosierte Cortison-Dauertherapie war sie äußerlich stark verändert (Cushing), hatte ein ausgeprägtes Schwächegefühl und litt unter starken Knochenschmerzen.

Ständige Untersuchungen, die ihrer Meinung nach äußerst entwürdigend und belastend sind, und Krankenhausaufenthalte in immer kürzeren Abständen führten zu einer mittelgradigen depressiven Episode, die vom Hausarzt mit Antidepressiva anbehandelt wurde. Sie war sehr verunsichert aufgrund der schlechten Prognose, zog sich immer mehr zurück und verließ mittlerweile das Haus nur noch in Begleitung. Ihre früheren sozialen Kontakte hatte sie, bis auf die Familie, total abgebrochen.

Auch fühlte sie sich von den Ärzten und den Psychologen – sie hatte in den vier Wochen nur zwei kurze Gespräche – während der Reha wie eine Nummer behandelt. Dies wirkte sich negativ auf ihr Selbstwertgefühl aus. Hinzu kam, dass notwendige Untersuchungen wegen der Budgetierung nicht vorgenommen wurden. Sie klagte auch über den rüpelhaften Umgangston im Krankenhaus, was dazu führte, dass sie Medizinern und Krankenhäusern gegenüber sehr kritisch war.

Die ersten Therapiestunden galten deshalb der Stabilisierung und der Arbeit am Selbstwertgefühl. Dies erfolgte durch Gesprächstherapie und systemische Beratung. Nach 4 bis 6 Stunden zeigten sich deutliche Erfolge, sie kam besser mit ihrer Erkrankung zurecht, nahm wieder am sozialen Leben teil und versicherte mir, dass es ihr seit den Besuchen bei mir wesentlich besser ginge. Stark belastend waren aber nach wie vor die ausgeprägten Knochenschmerzen. Sie konnte weder die Treppe alleine gehen, noch auf einem normalen Stuhl sitzen. Obwohl ich wusste, dass sie Kontakte zu Ärzten so gut wie möglich mied, konnte ich sie von der Notwendigkeit einer Untersuchung beim Orthopäden überzeugen, indem ich auf die Gefahr einer Osteoporose durch Cortison hinwies. Auch könnte eine effektive Schmerztherapie besprochen werden.

Negativ-Beispiel

Die Patientin bekam relativ kurzfristig einen Termin zur Untersuchung. Beim nächsten Besuch in meiner Praxis war sie wieder sehr verunsichert und verzweifelt. Eine Knochendichte-Messung war nicht durchgeführt worden. Stattdessen eine sehr schmerzhafte körperliche Untersuchung, mit dem Fazit, dass sie sich zu wenig bewege, unter Verspannungen leide und die Schmerzen keineswegs auf Knochenveränderungen beruhten, sondern psychosomatischer Natur seien. Da sie die Anweisungen des Arztes (umdrehen, aufstehen ...) wegen der Schmerzen nur zögerlich befolgen konnte, herrschte dieser sie an, sie solle sich nicht so anstellen – ohne ihre Mitarbeit sei keine Untersuchung möglich. Dringende Empfehlung war die stationäre Aufnahme in eine psychosomatische Klinik. Die Gespräche bei einer Heilpraktikerin für Psychotherapie wären keinesfalls ausreichend und würden nicht der Gesundung dienen, obwohl sie versicherte, dass ihr die Gespräche guttäten.

Die Patientin war sehr irritiert und wusste sich keinen Rat, zumal sie keinesfalls in stationäre Behandlung gehen wollte. Ich hörte mir ihre Ausführungen an und versuchte mittels Kontextualisierung (Ausnahmefragen) eine Lösung mit ihr zu erarbeiten.

Zunächst fragte ich sie, was passieren müsste, damit sie sich in der Psychiatrischen Klinik vorstellt, wie der Besuch ablaufen sollte, wie der Psychiater sein müsste und was ihr sonst noch helfen würde, um dort vorstellig zu werden. Nachdem diese Aspekte ausführlich thematisiert waren, versuchte ich ihr zu verdeutlichen, dass die Vorstellung nur eine mögliche Option sei, sie jedoch selbst zu entscheiden habe, ob sie stationär aufgenommen werden wolle oder der Termin lediglich ihrer Information diene. Auch könne sie in dem Zusammenhang einen Fachmann wegen der Dosierung ihrer Antidepressiva zu Rate ziehen. Sie sei weder fremd- noch selbstgefährdend, also könne sie auch nicht gegen ihren Willen aufgenommen werden. Letztendlich stimmte sie einer Vorstellung zu, wenn ich sie dabei unterstützen würde.

Positiv-Beispiel

Wegen der äußerst kritischen Einstellung der Patientin gegenüber Ärzten und medizinischen Einrichtungen und um Transparenz zu schaffen, rief ich in ihrem Beisein in der Ambulanz der Psychiatrischen Klinik an. Ich berief mich auf meinen Vorstellungsbrief, schilderte die Situation und bat um einen möglichst zeitnahen Termin. Der Sekretärin war mein Schreiben bekannt. Zudem schilderte ich die Empfehlung des Orthopäden und dass ich mich bezüglich der Weiterbehandlung absichern möchte. Trotz der generellen Wartezeit von 3 bis 4 Monaten wurde meine Patientin „eingeschoben“ und bekam einen Termin innerhalb der nächsten 2 Wochen. Wir vereinbarten unseren nächsten Termin im Anschluss an das Gespräch im Krankenhaus, mit der Möglichkeit, mich bei Unsicherheiten und Ängsten jederzeit früher zu kontaktieren.

3 Wochen später kam sie relativ entspannt zu mir in die Praxis und berichtete, dass sie ein sehr nettes Gespräch mit dem Oberarzt gehabt habe, der sich ihrer Bedenken angenommen, die Dosierung der Antidepressiva geändert habe und keinen Anlass sehe, sie stationär aufzunehmen. Nur solle sie weiter ambulant psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, gerne auch weiterhin bei mir. Sehr froh berichtete sie, dass sie sich aufgrund unseres Gesprächs gut auf den Termin vorbereitet gefühlt habe und jetzt erleichtert und gestärkt durch diese Erfahrung sei.

Auch für mich bedeutete diese Rückmeldung sowohl Sicherheit als auch Bestätigung.

Ich kann nur jedem Kollegen und jeder Kollegin empfehlen, sich nicht von „Halbgöttern in Weiß“ abschrecken zu lassen. Wir haben eine sehr gute Ausbildung und wenn wir uns unserer Verantwortung bewusst sind und uns nicht überschätzen, können wir sehr gute Arbeit leisten.

Übrigens: Kurze Zeit später wurde die Patientin in der Universitätsklinik geröntgt mit dem Ergebnis, dass sie aufgrund der hohen Cortison-Gaben eine beginnende Osteoporose habe.

Gabriele Kemmer Gabriele Kemmer
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Psychologische und Systemische Beraterin
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