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Der Traum von der psychotherapeutischen Praxis

Der Traum von der psychotherapeutischen Praxis

Wer die Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie absolviert und sich zur Prüfung anmeldet, träumt ganz bestimmt von der eigenen Vollzeitpraxis.

Nur wenige in der Heilpraktikerausbildung haben Erfahrung als Freiberufler oder Unternehmer. Größtenteils suchen Angestellte, vor allem aus sozialen oder medizinischen Berufen, eine neue spannende Herausforderung, um dem Hamsterrad zu entkommen und den Weg zur beruflichen Selbstverwirklichung zu beschreiten.

Naivität und kein Startkapital

fotolia©darakchiDie laufenden monatlichen Kosten für Raummiete, Werbung, Nebenkosten, Reisekosten und Steuerberatung werden sich bei einem bescheidenen Niveau auf 1 500 Euro im Monat summieren. Allein um diese Kosten zu decken, sind bei einem Stundensatz von 50 Euro bereits 30 Stunden Therapie monatlich zu verkaufen. Um zu den Fixkosten einen Überschuss von 2 000 Euro zu erwirtschaften, sind weitere 40 Stunden Therapie notwendig. Der Mindestumsatz einer kleinen Praxis beträgt somit 70 Stunden Therapie zu 50 Euro in der Stunde.

Fünf Therapie-Stunden am Tag bei 20 Arbeitstagen im Monat mit einer entsprechenden Vor- und Nacharbeit sind bereits eine 40-Stunden-Arbeitswoche. Werden diese simplen Zahlen genannt, herrscht bei vielen potenziellen Praxisgründern Erstaunen und Ratlosigkeit.

Selbstverständlich sind bei einer Gründung noch keine 100 Stunden im Monat zu verkaufen, sodass mindestens ein halbes Jahr der Umsatz als Startkapital auf dem Geschäftskonto liegen sollte, und zwar nachdem die Praxis ausgestattet wurde. Addiert man den Monatsumsatz von 3 500 Euro mal sechs und rechnet für die Grundausstattung einer Praxis 10 000 Euro, dann benötigt der Gründer ein Startkapital von 31 000 Euro Bargeld. Bei einer kreditfinanzierten Praxis reicht ein Stundensatz von 50 Euro schon nicht mehr aus.

Geniale Marketingideen von zukünftigen Praxisgründern

Nach dem internen geistigen Kassensturz kommen den zukünftigen Praxisinhabern die genialen Ideen. Man kann nebenberuflich eine Praxis betreiben, als Dozent und Seminarleiter dazuverdienen oder einen lukrativen Angebotsmix finden. In der Tat sind die Dozenten der eigenen Schule Vorbild. Viele Heilpraktiker mit eigener Praxis arbeiten in der Heilpraktikerausbildung und entwickeln Seminarformate.

Unterschätzen sollte man auf keinen Fall die Reputation und die Anziehung für potenzielle Klienten, wenn der Praxisinhaber auch in der Lehre tätig ist. Eine weitere immer wieder gern genannte Idee ist die Praxisteilung oder die Miete nach Stunden. So kann eine einmal eingerichtete Praxis als eine Art Praxisgemeinschaft geführt werden. Der Inhaber teilt seine Kosten und der Mietende zahlt für konkrete Aufträge. Selbstverständlich kann auch der Betrieb eines Onlineshops mit Ölen oder Vitaminen die Kasse aufbessern.

Reputation und der erste Eindruck

Die vorgenannten Ideen sind eventuell einleuchtend, doch wenig erfolgreich. Heilpraktiker wollen mit Menschen arbeiten und dazu ist das Vertrauen der Klienten eine zwingende Bedingung. Eine anziehende Reputation aufzubauen erfordert einerseits professionelle Arbeit, jedoch auch Geduld und eine gewinnende Präsentation. Die Qualifikation, die Praxisausstattung, die Website, die Kleidung und auch das Auftreten sind maßgeblich für den ersten Eindruck. Ärzte mit Privatpraxis haben mitunter ausgeklügelte Dienstleistungsstrategien, Designer und Innenarchitekten. Bei Heilpraktikern scheint vieles improvisiert, denn der Mangel an finanziellen Ressourcen ist unübersehbar.

Der Heilpraktiker für Psychotherapie ist kein Scharlatan

Wer die Prüfung zum Heilpraktiker für Psychotherapie besteht, hat gegenüber einem selbst ernannten Mentalcoach, Managementberater oder Motivations- und Lebenssinn- Couch eine echte und anerkannte Qualifikation. Ein Heilpraktiker für Psychotherapie handelt nach Berufsregeln, die Fehlbehandlungen weitestgehend ausschließen, denn mit der Prüfung ist auch das Gesundheitsamt davon überzeugt, dass keine Gefahr für die Gesundheit seiner Klienten besteht. Bei nicht geprüften, selbst ernannten Experten kann sich der Klient nicht sicher sein. Auch ein Klient mit kleinen Problemen gehört in die Praxis eines ausgebildeten Heilpraktikers. Solange es selbsternannten Experten nicht verboten ist, an Klienten zu üben, sollte der Heilpraktiker für Psychotherapie mit seiner Qualifikation werben und diese Kompetenz professionell kommunizieren.

Praxis und Dresscode

Die Praxis ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln bequem zu erreichen und befindet sich in einem ansprechenden Gebäude. Parkplätze in unmittelbarer Nähe sind selbstverständlich. Die Innenausstattung ist gut ausgewählt und passend. Arbeitet der Praxisinhaber allein oder nur mit einem Angestellten, reicht eine Praxis mit drei Räumen. Zum Wohlfühlprogramm gehört die kostenlose Selbstbedienung mit Wasser oder warmen Getränken. Dafür müssen hochwertige Getränkeautomaten angeschafft werden, die dem Zeitgeist entsprechen. Heute wird eher stilles Wasser, Latte macchiato oder Cappuccino getrunken. Ein kleines Angebot von aktuellen und hochwertigen Zeitschriften anzubieten, hilft einem überpünktlichen Klienten, die Zeit zu überbrücken.

Die Selbstzahler von Psychotherapie sind es gewohnt, Beratung in Anspruch zu nehmen und dafür zu bezahlen. Entsprechend ist die Erwartungshaltung.

Der Behandlungsraum sollte so eingerichtet werden, dass der Klient sich wohlfühlt. Dazu gehören bequeme Sitzmöbel, angenehme Farben, ein Wandmonitor und dezente Technik, über die auch mal Musik eingespielt werden kann. Der Therapeut sollte angemessen gekleidet sein. Dazu kann sich der Praxisinhaber die Frage stellen, wie ein Heilpraktiker aussehen sollte.

Ein Schlosser trägt Blaumann, ein Banker Anzug, ein Arzt den weißen Kittel und der Künstler ist von einer anderen Welt. Die Hypnotherapeuten z. B. bevorzugen die Farbe Schwarz. Einige Regeln aus dem klassischen Dresscode können übernommen werden: keine Jeans, keine kurzen Hosen, keine kurzärmligen Shirts, keine Jesuslatschen, kein auffälliger Schmuck.

Klienten durch Kooperationen

Der Heilpraktiker für Psychotherapie kann mit Hausärzten, Schulen, Unternehmen, Fitnessstudios, Unternehmensberatern oder mit Ausbildungs- und Seminarunternehmen kooperieren. Kooperationen sind dann erfolgreich, wenn der Empfehlende auch einen Vorteil von der Empfehlung hat. Provisionszahlungen wirken sich negativ auf eine Kooperation aus und sind keine Option. So kann ein Hausarzt durch seine Empfehlung bei psychosomatischen Symptomen das Allgemeinbefinden seines Patienten verbessern. Dies wird der Patient auch unmittelbar seinem Hausarzt zuschreiben. Um körperliche Ursachen von psychischen Problemen auszuschließen, sollte ein Heilpraktiker für Psychotherapie mit einer Vielzahl von Ärzten kooperieren, denn die körperliche Untersuchung und eine Labordiagnostik sind dem Arzt vorbehalten.

Eine interessante Arbeit ohne die Chance auf schnellen Reichtum

Heilpraktiker für Psychotherapie ist kein Lifestyle. Wer in eigener Praxis arbeitet und kein Seminarunternehmen oder einen Onlineshop betreibt, kann dennoch komfortabel leben und arbeiten, ohne jemals den Spitzensteuersatz zahlen zu müssen.

Für viele Heilpraktiker für Psychotherapie ist dieser Beruf eine Berufung mit Zukunft.

Roger Kanzenbach

 

Roger Kanzenbach
Dipl.-Ing., Unternehmensberater, Immobilien- Projektentwickler,
in der Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie an der Paracelsus Schule