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Einfach mal nur Atmen

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Hallo! Wir beginnen heute unser Beisammensein mit einer kleinen Übung. Ja, richtig: einer Übung! Eine Üüü-h-üüübuuung!

fotolia©AntoniaguillemIn meinen Seminaren für angehende durch den VFP Geprüfte Psychologische Berater und Heilpraktiker für Psychotherapie weise ich nur allzu gerne charmant darauf hin, dass die pure Selbsterfahrung einer der besten Wege ist, um sich wahrlich vertraut zu machen im Hinblick auf das, wie die eigene Arbeit wirkt und was man mit ihr bewirkt. Selbsterfahrung fällt dem einen oder anderen nicht gerade leicht. Dem einen leichter als dem anderen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie in hervorragender Kombination aus Theorie und Praxis darauf vorbereitet, sich als Mensch privat und beruflich zu entwickeln und dabei immer wieder etwas Neues für sich zu finden.

Wer seinen Blick, sein Herz und seinen Kopf offen hat für „an-sich-selbst“ gerichtete Fragen, kreative und psychologische sowie philosophische Auseinandersetzungen, öffnet sich auch gegenüber der Möglichkeit, selbstsicher, konvergent und authentisch ... neugierig, hinterfragend und bejahend sein Beruf(ung)sStreben und -Leben zu gestalten. Um mit Menschen Wirkung zu schaffen, um Entwicklung zu generieren, ist es manchmal durchaus erfrischender, sich aus einem Pool an Verfahren und Tools zu bedienen, als bei einer Methode zu bleiben.

Ich rede hier nicht davon, von allem ein bisschen zu machen. Ich rede davon, dass man sich mit unterschiedlichen Übungen vertraut macht, um herauszufinden, was für einen selbst und für die Arbeit passt. Ein wacher Blick für Bedürfnisse – die eigenen und die der anderen – stellt die Basis für den Erfolg in der Zusammenarbeit mit Menschen dar. Und wo ist die Zusammenarbeit mit Menschen nicht wichtig?! Sehen Sie!

Es liegt in der Verantwortung eines jeden, mit sich selbst zu arbeiten und sich mit einem möglichst bunten Strauß an Methoden vertraut zu machen. Ich wähle lieber je nach Klient bzw. Zielgruppe aus einer Vielzahl von Übungen, als mich auf einige wenige zu beschränken. Nun gut, ich verstehe, dass nicht jeder gerne Rollenspiele, Gesprächsrunden, Befindlichkeitsbegrüßungen und anderweitige Selbsterfahrungseinheiten mitmacht – aber ich bin davon überzeugt: Nur wer seine Aufgaben und Übungen, die man seinen Klienten oder in Supervisionen zuteilwerden lässt, selbst erfahren hat und sich darauf einlassen konnte, der berät und trainiert professionell.

So, lassen Sie uns also gemeinsam einige Augenblicke teilen und selbst erfahren. Ich lade Sie dazu ein. Ist das nicht ein fantastischer Gedanke, dass vielleicht gerade jetzt jemand genau diese Zeilen liest und sich denkt ... ? ... ?! ... Tja, ey, ich weiß ja jetzt nicht, was Sie denken – aber lassen Sie das. Wir hören jetzt alle mal auf zu denken! Geht nicht? Sie müssen ja lesen! Gut, dann denken wir uns eben zusammen einige Lebensmomente fort aus dem Alltag. Machen Sie mit oder eben nicht. Jeder ist wie gesagt für sich selbst verantwortlich, für das, was er mitnimmt auf seinem Weg, wie mutig er ist, in sich selbst hineinzublicken, ob er sich einlässt und zulässt, wie viel Lust er darauf hat, die Welt, die Menschen und sich selbst zu erleben.

Wenn man mit Menschen arbeitet, erlebt man oft und fühlt, dass sie zu gestresst sind, um sich z. B. auf kreative Übungen einzulassen. Diese Menschen kommen und reden mit uns und Sie spüren, dass da noch ganz viel im Kopf ist, das blockiert. Zu viel, um Neues entstehen zu lassen. Chaos im Kopf.

Was würden Sie mit so einem Menschen tun? Dieser Mensch sollte sich entspannen. Sich ordnen. Sich spüren. Sagen wir mal so: Entspannung ist schon eine feine Sache. Also lassen Sie die Person erst einmal ankommen (ich meine nicht nur bei Ihnen – sondern auch bei sich – zu sich finden), schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre, reden z. B. erst einmal selbst oder fragen, wie der Tag des Gegenübers gewesen ist. Wo wir gerade dabei sind: Wie war denn Ihr Tag eigentlich?

Schließen Sie mal kurz die Augen und denken Sie darüber nach. Lassen Sie vor Ihrem inneren Auge den Tag in Bildern Revue passieren – die letzten Stunden und Minuten. Ganz kurz. Egal, wo Sie jetzt sind. Genau eine halbe Minute die Augen schließen und die Außenwelt ausblenden und öffnen für die Innenwelt. 30 kleine Sekunden. Nicht länger. Schaffen Sie das? Genau eine halbe Minute? Schließen Sie mal die Augen und zählen Sie. Und nach 30 Sekunden Lebenszeit treffen wir uns hier wieder.

1-2-3-4-5-6-7-8-9-10 ... Atmen nicht vergessen. Atmen. Augen schließen. Und einfach auch mal nur atmen ... 25-26- 27-28-29-30!

Einige haben gefuscht. Hab ich gemerkt! Na, und die anderen? Die anderen machen jetzt mal weiter. Atmen Sie jetzt einmal tief ein und wieder aus. Einatmen. Ausatmen. Gleich noch einmal. Tief ein – und fast doppelt so lang wieder aus. Ein. Und aus. Und noch einmal! Ein. Und aus.

Hören Sie Ihrem Atem zu. Vertiefen Sie Ihren Atem. Wo im und am Körper spüren Sie Ihren Atem? An der Nase – leicht kühl und voller Energie? Im Hals – streichelnd und mit zarter Wärme? An der Bauchdecke – die sich ruhig hebt und senkt ... hebt und senkt ... hebt und senkt? Wenn Sie nun einatmen und ausatmen, versuchen Sie, an nichts Bestimmtes zu denken. Jeder Gedanke, der kommt, darf sein. Darf aber auch wieder gehen. Sie lassen los. Sie lassen ziehen. Sie atmen. Denn Sie haben nichts zu tun außer lesen und atmen. Das sollten Sie genießen. Atmen Sie. Ein. Und aus. Drei Mal.

Einfach mal nur atmen

2016 04 Atmen3Nun lassen Sie vor Ihrem inneren Auge das Bild von einem traumhaften Strand erscheinen. Die Sonne scheint nach Ihren Wünschen. Der angenehm warme Sand schmiegt sich um Ihre Füße. Die Gischt spült die Gedanken über den Strand; nimmt mit jeder Welle verbrauchte Energie und bringt mit jeder neuen Woge gemischt mit einer inspirierenden Brise voll Frische und Klarheit über den gegenwärtigen Moment neue Lebensenergie wieder. Lassen Sie in Ihrem Kopf und durch Ihren Atem das leise Geräusch der Wellen entstehen, die gleichmäßig, ruhig – voller Selbstverständlichkeit wie der Atem – an den Strand gespült werden. Sie sehen die Wellen vielleicht. Sie hören sie irgendwo. Ihr Atem schwingt mit den Wellen und Sie mit Ihrem Atem. Hin und her. Hin und her. Sie atmen durch. Ihr Atem führt Sie durchs Leben.

Machen Sie sich bewusst, dass Sie durch die Beeinflussung Ihres Atems Ihre Wahrnehmung und Ihr inneres Wohlbefinden beeinflussen können. Sie sehen das glitzernde, ruhige, azurblaue Meer und Sie sehen die zarten Wolken, die sich gemächlich und sanft über den Himmel schieben. Ihre Gedanken kommen und gehen wie diese Wolken.

Schenken Sie sich selbst ein Lächeln und atmen Sie natürlich weiter. Ruhig. Gleichmäßig. Und jetzt spüren Sie einmal in sich hinein – in Ihren Körper. Ich mache mit. Spüren Sie erst einmal in Ihre Füße. Ihre Füße – wo stehen oder liegen sie jetzt? Stehen Sie fest auf dem Boden? Wie fühlen sich die einzelnen Zehen an? Sind Ihre Füße warm und entspannt? Versuchen Sie, Ihre Füße maximal zu entspannen. Schicken Sie Ihren Atem in Ihre Füße und lassen Sie dort alles los. Gehen Sie nun über zu den Beinen. Fühlen Sie die Waden – angenehm schwer – und streichen mit Ihrem inneren Auge über diese Partien. Fühlen Sie über die Knie in die Oberschenkel. Ihre Beine sind warm. Versuchen Sie, Ihre Oberschenkel maximal zu entspannen. Und nun schicken wir alle zusammen unsere Aufmerksamkeit zum Gesäß. Autsch. Ah. Oh. Aua. Wissen Sie, machen Sie mal alleine weiter. Da will ich nicht hineinfühlen. Da tut`s noch weh. Also nicht im Gesäß, sondern am Steiß.

Diese Entspannungsübung, die wir gerade gemacht haben, kommt aus meinem Yogaunterricht. Aus dem Yogaunterricht kommt auch mein Aua. Ja, mein Aua. Wie es von Oohm, atmen und lächeln zu aua, Atem anhalten und Schmerz gekommen ist? Kennen Sie die Übung „Der herabschauende Hund“? Im Sanskrit, der heiligen indischen bzw. Yoga-Sprache, heißt das Ganze „Adho Mukha Svanasana“.

Es sei vorweg gesagt: Ich habe nie behauptet, dass jede Übung für jeden geeignet ist. Ich habe auch nie behauptet, dass jede Übung gut für jeden ist. Ähnlich ist es beim Yoga. Na jedenfalls geht es beim Yoga darum, seine eigenen Grenzen zu erfühlen und zu spüren, welche Übungen einem liegen und welche nicht. Es geht darum, die Übungen für sich zu machen und so auszuführen, wie man kann. Im Yoga lernt man, in sich hineinzublicken und sich kennenzulernen – sich selbst zu erfahren.

Meine Yogalehrerin wies an: „Atmet ein und kommt nach oben, atmet langsam aus und gleitet nach unten. Einatmen. Ausatmen. Entspannt eure Gesichtszüge. Atmen! Seid liebevoll zu euch selbst. Spürt die Energie, wie sie durch euren Körper strömt. Seid aufmerksam und achtsam. Atmet.“

Wissen Sie, was ich hatte? Einen hochroten Kopf hatte ich. Ich hielt wie immer bei dieser Übung die Luft an und biss die Zähne zusammen. Der knurrende Hund in mir dachte: „Ach, atmen?! Gut, gut ... ich atme ... boah, diese Übung finde ich echt anstrengend. Die soll entspannen?! Puh ...“

Yoga lehrt uns, dass solche Gedanken schaden können. Gedanken an die eigene Leistung. Gedanken an andere oder anderes. Man soll bei sich bleiben. Die körperlichen Übungen im Yoga sind anstrengend. Doch viel anstrengender ist es, seinen Kopf frei zu bekommen und auf seinen Atem zu achten.

Ich war also kopfüber, Hände aufgestellt, Füße aufgestellt, Bauch eingezogen, auf meiner Matte und sollte im flüssigen Auf und Nieder vom herabschauenden in den heraufschauenden Hund, „Urdhva Mukha Svanasana“, und zurück. Dabei atmen. Gar nicht so leicht. Immer mit dabei, mein Po. Der wurde von mir ambitioniert nach oben in die Luft gestreckt und dann eifrig nach unten gedrückt und nach oben gereckt und – aaaaah! Der jaulende Hund. Da hatte jemand zu spüren bekommen, was passieren kann, wenn man nicht bei sich ist. Glauben Sie mir: Ich habe dadurch viel (über mich) gelernt ...

Ich fand mich dann ein paar Tage später auf der Liege eines Physiotherapeuten wieder. Meiner Heilmittelverordnung ist zu entnehmen gewesen, dass ich über eine „Iliososakralgelenk-Blockierung“ klagte und entsprechend über Leiden am Steiß, weil ich wohl zu übermotiviert gewesen bin. So eine Blockierung ist schmerzhaft und auch das Lösen und Bearbeiten derselben. Um die Schmerzen aushalten zu können, die der Physiotherapeut mir durch die Therapie zufügte, versuchte ich in den Schmerz hineinzuatmen, anstatt den Atem anzuhalten.

Jetzt haben Sie und ich – nein, anders: Einige von Ihnen und ich haben ja gerade eine Atemübung gemacht, um ein wenig zu entspannen. Ich konnte bei dieser ... ähm ... Atemübung beim Physiotherapeuten aber gar nicht entspannen, auch wenn das Atmen ein wenig half. Einatmen und ausatmen. Na ja, wissen Sie: Es ist aber auch geradezu entspannend gewesen, als ... ja, als der Schmerz nachgelassen hat.

Es ist mittlerweile viel besser. Aufatmen – Aufatmen! Wann haben Sie eigentlich zuletzt aufgeatmet? Ist Ihnen vielleicht etwas passiert, wo Sie dachten ... und dann doch nicht und ... Wenn man denkt, dass ... und dann ist doch alles gut? Gerade in diesen Situationen kann man mit Atem auch viel bewirken. Kann einmal ein- und tief ausatmen, sich sammeln, nochmals tief ein- und ausatmen und den Atem als eine Art Anker im Leben betrachten.

Nichts ist so schlimm, wie es im ersten Moment erscheint. Jedenfalls meistens. Man lebt weiter. Man atmet weiter. Der Atem lenkt uns. Der Atem ist immer (für uns) da. Der Atem trägt uns durchs Leben und gibt uns einen zuverlässigen Rhythmus vor. Einatmen. Ausatmen. Wie schön, dass es manchmal nicht viel bedarf, um Effekte zu schaffen. Lebenswichtige Effekte. Lebenswichtige Energien. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Einatmen ...

Ich gehe natürlich weiterhin zum Yoga. Ich möchte lernen, mich besser wahrnehmen zu können. Durch Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation und das Pranayama, also die Atemübungen im Yoga, lerne ich eine großartige Mélange an wirksamen Methoden kennen, um mich selbst und meine Klienten zu erden und zu fokussieren. Fokus ist wichtig im Leben. Unser Leben heutzutage ist voller Inhalte und Inputs. Wir sind gezwungen, ständig im Hintergrund Daten auszuwerten, zu analysieren, zu filtern, irgendwie auf einer Linie zu bleiben. Manchmal muss man nur kurz die Augen schließen und drei Mal tief durchatmen. Das hilft schon, um sich ein Reset zu setzen. Wir müssen uns immer wieder kleine Energiequellen suchen, um neue Energie zu haben und geben zu können. Sonst hetzen wir atemlos und auch irgendwann energielos durch unser Leben.

So, letzte kraftvolle Übung für heute: Nehmen Sie jetzt intuitiv einen Arm Ihrer Wahl vor und halten Sie Ihren Arm gestreckt, die Handfläche flach zur gegen- überliegenden Wand gerichtet. Atmen Sie ein und wieder aus. Einfach mal nur atmen. Denken Sie an etwas Schönes. Bewegen Sie Ihre Handfläche zuerst nach rechts und dann nach links. Wiederholen Sie diese Bewegung ein paar Mal.

Winke, Winke und tschühüüüss ...

Jenny MiosgaJenny Miosga
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Geprüfte Psychologische Beraterin, Dozentin, Journalistin

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