Der Wille zum Sinn: eine Sinnfahndung
Wer kennt das nicht? Hiob hat mal wieder angeklopft, um seine Botschaft zu übermitteln. Nicht selten tut er dies auch seriell.
Mehr als einmal hatte ich das Gefühl, in diesem schicksalhaften Bereich des Seins herrscht keine Freiheit. Aber nach einer Weile des Erspürens veränderte sich mein Blick. Ich bin frei, zu den Bedingungen und Botschaften Stellung zu beziehen, die mir vom Leben überreicht werden. Und in diesem Sinne wähle ich die Freiheit, anzunehmen, dass das Leben zu jeder Zeit und in jeder Situation einen bedingungslosen Sinn hat, der unter keinen Umständen verloren werden kann. Das heißt nicht, dass ich an jeder Stelle in der Lage bin, die Sinnhaftigkeit zu begreifen. Aber ich will mich wieder und wieder öffnen, sie zu erspüren und zu erahnen.
Die Botschaft meiner Krebsdiagnose ...
… z. B. hat zunächst das gesamte Repertoire der ungeliebten Emotionen in mir geweckt und schien mir keinesfalls sinnvoll.
Ich wollte sie nicht. Punkt.
Und auch das Entsetzen, die Angst, die Wut und all die Emotionen, die durchlebt werden wollten, standen nicht auf meiner Wunschliste. Es hat mich viel Kraft gekostet, sie zu durchleben. Und sicher gab es auch Momente der Besinnungslosigkeit, aber mit einem gewissen Abstand finde ich nun auch den Raum, mich an den Willen zum Sinn zu erinnern.
Geholfen hat mir dabei der wiederholte Besuch von Prof. Dr. Viktor Frankl – im Geiste versteht sich. Keiner ist für mich so sehr mit dem Terminus „Der Wille zum Sinn“ verbunden wie er. Dieser österreichische Professor für Neurologie und Psychiatrie hat es geschafft, aus einer unabänderlichen Lebenssituation größter äußerer und innerer Not am Ende des Tages etwas Gutes, Sinnvolles entstehen zu lassen.
Der Wille zum Sinn: An ihm will ich mich orientieren.
Er gibt Auskunft darüber, dass es sie gibt, diese Wesen, die sich trotz widrigster lebensbedrohlicher Umstände zu einer Weltanschauung durchringen, von der aus das Leben sinnvoll ist. Zu ihnen will ich mich zählen.
Bei aller innerer Not, dem Leiden und den unbeantworteten Fragen bin ich doch der festen Überzeugung, dass (meine) Krankheit den Versuch einer Lösung darstellt und mich dazu einlädt, noch tiefer in mein Selbstverständnis einzutauchen, noch tiefer in die Menschwerdung hineingetragen zu werden.
Womöglich wird gar durch das Vorhandensein von so etwas wie einem Sinnlosigkeitsgefühl erst auf den Willen zum Sinn geschlossen.
Worte mit Konsequenzen –
Auf meiner Website findest du folgende Worte, die meiner Grundüberzeugung entsprechen:
„Jedes Symptom hat beste Chancen, Wegweiser zu sein auf dem ganz persönlichen Weg der Heilung. Unsere Symptome laden uns ein, unbeachtete Bewusstseinsanteile ans Licht zu befördern, und liefern so wichtige Hinweise zu essenziellen Themen und Fragestellungen, die uns zu bahnbrechenden Antworten führen können. Wir sind eingeladen, auch – und gerade – die unwillkommenen Gäste in Körper und Geist willkommen zu heißen und unter die Lupe zu nehmen. So können sie zu Hebammen werden auf unserer Reise zu mehr Selbstverständnis.”
Diese Überzeugung macht auch nicht vor der so gefürchteten Krebsdiagnose halt.
Aus meinem Erleben hat auch Krebs – wie alle Erkrankungen – sowohl eine physische als auch emotionale Komponente.
Alle Erkrankungen sind Hologramme ...
… die gleichzeitig genetische, umweltbedingte physische, ernährungsphysiologische, emotionale, spirituelle und verhaltensbiologische Aspekte enthalten.
Inzwischen gibt es zahlreiche Untersuchungen, die Aufschluss geben über die emotionalen Grundlagen des Brustkrebses. Viele Betroffene neigen dazu, ihre Emotionen hinter einer stoischen Fassade zu verbergen, in Beziehungen viel mehr zu geben als zu empfangen und ihre eigenen Bedürfnisse zu verleugnen. Die klinische Psychologin Dr. Lydia Temoshok hat Hunderte von Fallberichten durchgesehen. Für sie gibt es ein bestimmtes Verhaltensmuster, das sie als zwanghaft liebenswürdig, aufopfernd, angepasst und vermittelnd beschreibt.
Aber was auch immer wissenschaftliche Studien herausfinden, ist nichts im Vergleich zu dem ganz persönlichen Wissen, das uns (die) Krankheit verschaffen kann. Meine ersten unzensierten Gedanken auf die Diagnose haben mir viel erzählt über meine innere Befindlichkeit. Vieles davon hätte ich mir nicht erlaubt zu denken und zu fühlen – ohne diese veränderte Lebenssituation.
Einer meiner ersten Gedanken war:
„Endlich keine Form mehr wahren müssen (genauso wie mein Tumor) und endlich alles leben und äußern, alle Gefühle und Bedürfnisse äußern (in jeder Form). Endlich nicht länger geben (können), sondern empfangen.“
So betrachtet passe ich in das „Type C Behavior Pattern“ von Dr. Temoshok. Aber viel wichtiger ist es, was ich ganz unmittelbar durch die Krankheit über mich selbst erfahren kann, um die nächste Stufe des Seins zu erklimmen.
Wenn das Zurückhalten und Herumgekrebse, das Erdulden und das Verängstigte dadurch aus der Verbannung ans Tageslicht befördert wird, wenn ich mir erlaube, alles zu leben, dann kann dadurch womöglich ein Bann gebrochen werden, der mich mit Lebenskraft erfüllt und mich heilt.
In diesem Sinne ist auch mein Wille zum Sinn ungebrochen:
Jetzt falle ich aus der Rolle, damit ich aus der Falle rolle ...
Über deine inspirierende Rückmeldung freue ich mich vom Herzen.
Beate Kohlmeyer
Heilpraktikerin für Psychotherapie, zertifizierte Psychologische Beraterin, Hannover
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