Wissenswertes zur Depression
Die Depression erfährt eine stark zunehmende psychische Diagnostik. Als Erkrankung wird sie tabuisiert. Man spricht nicht darüber. Sie ist eine Erkrankung, die katastrophale Auswirkungen haben kann. Neben einer schweren Niedergeschlagenheit, sozialem Rückzug, Antriebslosigkeit und ständiger Grübelneigung ist die schlimmste Auswirkung der Suizid.
Nicht nur für die Erkrankten besteht ein ausgesprochen hoher Leidenszustand. Auch für Lebenspartner und Familienangehörige. Wenn sie es denn wissen. Denn die Depression wird häufig nicht erkannt oder verbirgt sich hinter der Strategie eines lebensbejahenden und gesunden Menschen – weil man an Depression eben nicht leidet.
Umso mehr ist es erforderlich, ein Bild von der aktuellen Forschung und über neue Erkenntnisse zu haben. Prof. Carmine Pariante (Prof. für biologische Psychiatrie) am King`s College, London, ist auf dem Weg, eine neue Behandlungsmethode zu erforschen:
https://www.ardmediathek.de/tv/Dokumentationen-und-Reportagen/Depressionneue-Hoffnung/hr-fernsehen/Video?bcastId=26131780&documentId=48914460.
Nach seinen Erkenntnissen kann Stress Auslöser für Entzündungsherde im Körper sein, die über Lymphkapillaren (feinste Verzweigungen der Lymphgefäße) mit dem Gehirn kommunizieren und dort Einfluss auf die Aktivität der Botenstoffe (Serotonin, Dopamin und Noradrenalin) haben. Eine Störung der Aktivität der beschriebenen Botenstoffe ist zumindest neurobiologisch eine der gesicherten Ursachen – neben anderen – für das Bestehen einer Depression.
Die Erkenntnis, dass auch das Gehirn über einen eigenen Anschluss an das Lymphsystem verfügt, gibt es erst seit 2015. Ein neuer und letztendlich revolutionä- rer Ansatz ist daher, die Depression – und konkret Entzündungsherde – mit speziellen Antibiotika, die außerdem geringe Einflüsse auf die Darmschleimhaut ausüben, zu bekämpfen. In klinischen Tests verzeichnen sich bereits Erfolge.
Zum besseren Verständnis mag die anthropologische Sichtweise herhalten. Unsere hominiden Vorfahren waren ständig Stresssituationen ausgesetzt. Dauerhaft wurde die Umgebung auf Gefahren gescannt. Adrenalin wurde ausgeschüttet, die Kampf- und Abwehrbereitschaft gestärkt, die Muskeln wurden angespannt. Unser Vorfahre in der afrikanischen Savanne hatte nur zwei Reaktionsmöglichkeiten – kämpfen oder flüchten.
Der moderne Mensch hat dieses Verhalten modifiziert übernommen und schaltet bei Dauerstress in den Krankheitsmodus. Eine bei Dauerstress bestehende hohe Adrenalinausschüttung ist für das Herausbilden von Entzündungsherden verantwortlich. Das ist heute bekannt. Über den lymphatischen Highway gehen diese Informationen an das Gehirn. Wenn eine psychische Resilienz nicht besteht, kann sich dann eine Depression herausbilden.
Die Überschrift zu diesem Artikel habe ich mir nicht ausgedacht. Eine Klientin von mir leidet an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Typus Borderline. Nach einer Phase relativer Stabilität nahm sie die Behandlung wieder auf. Sie war schwer depressiv und hatte akute Suizid-Fantasien. Ich forderte sie auf, ihren Zustand konkret zu beschreiben: „Selbst wenn die Sonne scheint, ist alles grau“, sagte sie weinend und völlig verzweifelt.
Die Erkenntnisse des Prof. Pariante bilden kein Alleinstellungsmerkmal. Im Rahmen des „Forschungsnetzes zu psychischen Erkrankungen“, das vom Bundesministerium für Forschung gefördert wird, überprüfen Mediziner der Berliner Charité in einer klinischen Studie, ob sich ein bestimmtes Antibiotikum zur Behandlung von Depressionen eignet. Langfristiges Ziel ist es, das richtige Medikament für den einzelnen Patienten zu entwickeln. Es ist die Idee einer „personalisierten Psychiatrie – in etwa vergleichbar mit der personalisierten Krebstherapie“, die es heute bereits gibt.
Ich habe häufiger mit Klienten zu tun, die an einer Depression leiden. Diese psychische Störung ist aber meistens nicht der eigentliche Behandlungsgrund, sondern eine zusätzlich bestehende Erkrankung wie etwa eine generalisierte Angststörung, Panik, ein Burnout-Syndrom oder eine Anpassungsstörung.
Meine Psychotherapie läuft daher häufig parallel zu einer bestehenden Depression. Den Schweregrad der Depression erfahre ich über das ausführliche anamnestische (analytische) Vorgespräch (ca. 1,5 Stunden) sowie die genaue Beobachtung des Klienten zu seiner Gefühlslage und seiner Körpersprache. Da ich über ein umfangreiches medizinisches Wissen verfüge (ehemals Ausbilder der Risikomedizin einer Lebensversicherung), berate ich auch zu Nebenwirkungen bei verordneten Antidepressiva. So sind beispielsweise Nebenwirkungen der neuen Medikamentengeneration (SSRI) nicht unumstritten.
Als verantwortlicher Heilpraktiker für Psychotherapie verweise ich bei Bedarf an entsprechende Ärzte (Fachärzte für Psychiatrie oder Fachärzte für Psychotherapie) und ggf. entsprechende Kliniken für eine stationäre Behandlung – z. B. in diesem Jahr bereits bei einer Wahnerkrankung und im letzten Jahr bei bestehender hoher Suizidalität.
Dadurch, dass ich in ein Netzwerk von Ärzten eingebunden bin, kann ich betroffene depressive Patienten auch auf die Forschungen von Prof. Carmine Pariante hinweisen und sie bitten, bei ihrem Arzt des Vertrauens einmal eine gezielte Untersuchung nach verborgenen Entzündungsprozessen im Körper vornehmen zu lassen. Sie können dann eine entsprechende Antibiotikatherapie bekommen.
Depressive Störungen sind leider weit verbreitet und haben multifaktorielle Ursachen. Zudem ist dieses Erkrankungsbild nach meinen Erfahrungen immer noch stark tabuisiert. Wenn sich ein Klient in eine Therapie begibt, ist das daher in jedem Fall eine mutige, aber auch richtige Entscheidung. Der Psychotherapeut ist dann gefordert, mit hoher Achtsamkeit und geeigneter Methodik die Behandlung aufzunehmen.
Rainer Wieckhorst
Heilpraktiker für Psychotherapie, Therapiepraxis Balance-Concept in Reinbek, Kommunikationsexperte, Autor
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