AD(H)S bei Erwachsenen: Ressource oder Defizit?
Lange Zeit galt das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit und ohne Hyperaktivität als eine Störung im Kindesalter. Heute wissen wir jedoch: AD(H)S gab es schon immer und es ist keine Krankheit unserer modernen Zivilisation! Neuen Studien zufolge nehmen 30 bis 50 % der diagnostizierten AD(H)S-Kinder die Symptomatik mit ins Erwachsenenalter.1) Daneben gibt es eine nicht unerhebliche Anzahl Erwachsener (4,5 %), die auf der Grundlage eines nicht diagnostizierten AD(H)S oft jahrelang mit Problemen wie mangelnder Konzentration, fehlendem Organisationsvermögen, chaotischen Beziehungen oder emotionaler Instabilität kämpfen.2)
Mithilfe der Hirnforschung gelang es in den letzten Jahren, neue detaillierte Erkenntnisse zu AD(H)S zu gewinnen. AD(H)S stellt eine erblich bedingte Störung des hirneigenen Botensystems und der Informationsverarbeitung dar. Besonders betroffen sind die Neurotransmittersysteme Noradrenalin und Dopamin.3) Als Grund für den Dopaminmangel in unterschiedlichen Hirnregionen werden Dopamintransporter-Probleme angenommen. Ein „Zuviel“ oder eine Überaktivität der Dopamintransporter führt zu einem raschen Abbau des Dopamins im synaptischen Spalt und verursacht somit einen chronischen Dompaminmangel.
Weitere Forschungen zeigten zudem, dass im präfrontalen Kortex und in Teilen des Belohnungssystems, besonders des Nucleus accumbens, sich deutlich weniger Andockstationen für das Dopamin befinden. Das Belohnungssystem funktioniert somit anders. Dies könnte eine Erklärung darstellen, warum Menschen mit AD(H)S weniger motiviert sind, an uninteressanten, langweiligen Aufgaben dranzubleiben.4)
Das anders funktionierende Belohnungssystem dient auch zur Erklärung, warum Erwachsene mit einer AD(H)S-Symptomatik häufiger zu Suchtmitteln oder ungesunden Lebensweisen tendieren. Sie versuchen, den Mangel an positiven Rückmeldungen aus dem Belohnungssystem über andere Methoden zu kompensieren.5)
Diese Vorgehensweise stelle ich in der verkehrspsychologischen Praxis im Zusammenhang mit einem Führerscheinverlust durch Suchtmittel oder Regelverstöße häufiger fest.
Eine weitere Erklärung zum Verstehen des Symptoms AD(H)S versucht der Autor Thom Hartmann mit seinem Buch, „Eine andere Art, die Welt zu sehen“.6) In seiner Theorie vertritt er die Auffassung, dass AD(H)S-Betroffene mit einer genetischen Normvariante aus der Steinzeit leben. Zum Überleben in der Steinzeit benötigte die Menschheit findige Jäger, die mit ihren sog. AD(H)S-Ressourcen wie Überaktivität, Impulsivität, Ablenkbarkeit, Hyperfokussierung und Reizoffenheit das Überleben der Sippe garantierten.
Leider sind in unserer heutigen Welt, die getrimmt ist auf Funktionieren, ausdauernde und stetige Leistungserbringung, diese Ressourcen eher hinderlich und führen bei den Betroffenen zur Entwicklung vielfältiger Scheiterstrategien. Auch verträgt unsere getaktete Arbeitswelt keine kreativen Visionäre, die ständig mit neuen Ideen brillieren oder unangepasst vorpreschen, ohne zuvor die Situation genau zu analysieren und somit überlegt und angepasst zu handeln.
Beispiel aus unserer verkehrspsychologischen Praxis
Herr B. ist 26 Jahre alt und hat aufgrund seiner Alkoholproblematik in Kombination mit einem Unfall zum zweiten Mal den Führerschein verloren. Beim ersten Vorfall hatte Herr B. einen Blutalkoholwert von 1,75 Promille und beim zweiten Vorfall einen Blutalkoholwert von 1,95 Promille.
Sein Leben charakterisierte er wie folgt: „Ich war nie sehr diszipliniert und zielstrebig. In der Schule war ich ständig zappelig und der vorlaute Klassenkasper. Den Stoff habe ich schon kapiert, aber es war auch nicht sonderlich spannend und bei Fächern wie Mathe habe ich komplett abgeschaltet. Spaß zu haben, stand eigentlich immer im Vordergrund. Hatte ich Spaß an einer Aufgabe, egal ob Schule, Arbeit oder Privatleben, dann habe ich die Aufgabe auch mit voller Leidenschaft durchgezogen. Die Meinungen anderer zu meiner Person sind mir sehr wichtig, auch wenn ich es mir öfter nicht eingestehe. Auf Menschen zuzugehen, fällt mir schwer. Bin ich jedoch mit jemandem auf einer Wellenlänge, dann bin ich sehr aufgeschlossen und vertrauenswürdig. Ich trete gerne in sämtliche Fettnäpfchen und bin ziemlich tollpatschig. Mein Selbstbewusstsein ist nicht besonders stark ausgeprägt, ich zweifle ständig an mir und meinen Fähigkeiten.
Mit dem Alkohol habe ich mit 13 Jahren begonnen. Der Alkohol machte die Welt lustiger, man war dann gut drauf und fühlte sich wohl und es war nicht mehr so langweilig in der Kleinstadt. Der Alkohol machte mich ruhiger, das Zappelige wurde dann besser. Ab 15 ging es dann richtig los und ich habe regelmäßig am Wochenende getrunken. Der Alkohol machte mich selbstbewusster und redseliger. Bis zum 17. Lebensjahr habe ich nur Bier getrunken, dann bin ich auf Sekt umgestiegen und konnte nach relativ kurzer Zeit zwei Flaschen Sekt trinken. Ab meinem 18. Geburtstag habe ich begonnen, Schnaps zu trinken, und im Laufe der Zeit schaffte ich zwei Flaschen Whiskey. Jedoch hat mich der Schnaps aggressiv gemacht. Ich verwickelte mich in Schlägereien und kam dadurch auch mit dem Gesetz in Konflikt.
Nach der ersten Auffälligkeit im Straßenverkehr habe ich versucht, kontrolliert zu trinken. Ich habe mir Grenzen gesetzt, was eine Zeitlang auch relativ gut funktioniert hat. Dennoch gab es Abende, an denen ich total betrunken war. Diese Abende habe ich mir als Ausrutscher schöngeredet: ‚Ich habe die Sache schon im Griff, denn ich bin ja nicht mit dem Auto gefahren.‘“ Nach der zweiten Auffälligkeit kam Herr B. zu uns in die verkehrspsychologische Praxis. In den Therapiesitzungen, die er im Vorfeld des anstehenden medizinisch-psychologischen Gutachtens als Grundlage zur Wiedererlangung seines Führerscheins in Anspruch nahm, wurde die AD(H)S-Symptomatik erstmalig zur Sprache gebracht und in Verbindung mit der Alkoholproblematik bearbeitet. Damit Herr B. seinen Führerschein wiederbekommt, benötigt er ein positives Gutachten von einer Begutachtungsstelle. Die Grundlage dafür stellen die „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung“ dar, die bei Alkoholmissbrauch ein Jahr Abstinenz sowie Aufarbeitung der Alkoholproblematik vorschreiben.
Als Erstes wurde der Grad der Schwere der Alkoholproblematik diagnostiziert: inwieweit hier von Alkoholmissbrauch oder schon einer Abhängigkeit ausgegangen werden kann. Auf der Grundlage des ICD- 10 anhand der Punkte 1, 2 und 4 wurde eine beginnende Abhängigkeit diagnostiziert.
Die Diagnose AD(H)S erfolgte anhand der biografischen Anamnese, Schilderungen aus dem Alltag, Kompensationsstrategien sowie psychologischen Fragebögen. Herr B. erzählte z. B. von Ablenkbarkeit, starken emotionalen Schwankungen, Ungeduld, Kreativität, Empathie, dem Austesten von Grenzen, Aufschieberitis, der Unfähigkeit, ein Buch zu Ende zu lesen, schnellem Verlust des roten Fadens, Reizempfindlichkeit, Hyperfokussiertheit bei interessanten Dingen, Einzelgängertum usw.
Im therapeutischen Prozess wurden zunächst im Rahmen der Psychoedukation die neurologischen Zusammenhänge zwischen AD(H)S und Alkohol vermittelt.
Die weitere Bearbeitung der AD(H)SSymptomatik erfolgte auf der Grundlage des systemischen Ansatzes und konzentrierte sich auf die Ressourcen des Klienten. Es erfolgten ressourcenorientierte Interventionen zur Stabilisierung des Selbstbewusstseins, zum Umgang mit Emotionen, zur Impulskontrolle und zum Umgang mit Alkohol.
Eine ressourcenorientierte Intervention zur Stabilisierung des Selbstbewusstseins stellt für mich die Arbeit mit der Lebenslinie dar, die ich in Abschnitte von jeweils sieben Jahren aufteile sowie in eine positive und negative Seite.
Wichtige Fragen dazu:
- Welche „natürlichen“ Einschnitte (Geburt, Schule, Pubertät, Ausbildung usw.) hat es gegeben?
- Welche sonstigen tieferen Lebenseinschnitte/Wendepunkte haben Sie erlebt?
- Was waren die jeweiligen persönlichen Herausforderungen in der Situation?
- Was war nach der Krise anders als vorher?
- Welche persönlichen Grenzen (z. B. körperlich, mental) wurden berührt?
- Was hat Ihnen in der jeweiligen Situation geholfen, diese zu bewältigen?
- Was zeichnet Sie aus?
- Auf was sind Sie stolz in Ihrem Leben?
- Was macht Sie glücklich und dankbar?
- Was sind Ihre schönsten Erinnerungen?
- Wer liebt Sie oder wen lieben Sie?
Parallel dazu wurde in das Bild der Lebenslinie die Alkoholkonsum-Kurve eingetragen mit Startpunkt/Endpunkt, Anstiegen/Abfällen und Mengen.
Herr B. hat somit ein komplexes Bild seines bisherigen Lebensverlaufs erhalten mit für ihn wichtigen Mustern und Ressourcen. Im Laufe des therapeutischen Prozesses konnte er sein bisheriges Leben würdigen, auch mit einem gewissen Stolz auf seinen Weg blicken, sich Glücksmomente ohne Alkohol verschaffen, ein Sportprogramm beginnen und sich verstärkt dem Zeichnen widmen. Des Weiteren hat er eine Liste mit wichtigen Zielen für die Zukunft erarbeitet.
Die emotionalen Schwankungen kann er heute mit der „Stopp-Übung“ im Zaum halten. Wir haben im Rahmen einer Imaginationsübung trainiert, negative Gedankenkreisel über den Stopp-Befehl zu verlassen, dabei die negativen Gedanken in eine Schachtel zu verpacken und sich auf etwas Positives zu fokussieren.
Heute hat sich in seinem Leben vieles verändert. Er ist seit fast einem Jahr abstinent, ist erfolgreich in seinem Beruf, hat eine Verlobte, mit der er demnächst eine gemeinsame Wohnung beziehen wird, die Beziehung zur Familie ist von Respekt und Vertrauen geprägt. Für seine Bilder erhält er viel Zuspruch und Lob, das er auch annehmen kann.
Die jedoch größte Bereicherung erfuhr Herr B. über die Beschäftigung mit dem Thema AD(H)S. Es war für ihn sehr entspannend, endlich einen Namen für seine etwas andere Art zu erhalten. Dies half ihm, seine persönlichen Ecken und Kanten humorvoll in sein Lebenskonzept zu integrieren.
Persönlich habe ich die Arbeit mit Herrn B. als sehr bereichernd empfunden und ich wünsche ihm alles Gute für seinen weiteren Lebensweg.
Ich denke, die Fallbesprechung zeigt sehr deutlich, wie anstrengend ein Erwachsenenleben mit AD(H)S sein kann, gleicht es doch einer Gradwanderung mit einem hohen Risiko zum Scheitern.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass 50 % aller Erwachsenen, die von AD(H)S betroffen sind, häufig eine Begleiterkrankung in Form von Alkohol-/Drogenmissbrauch, Depressionen, Angst-, Zwangs- und Essstörungen oder Lernschwierigkeiten aufweisen.7)
Bleibt die Frage: Wie wollen wir als Gesellschaft mit dieser Problematik umgehen?
Die Digitalisierung der Lebens- und Arbeitswelt bedingt eine kontinuierliche Erhöhung von Komplexität und Unsicherheit. Diese erfordert vom modernen Menschen flexible Anpassung an hochkomplexe Strukturen sowie das routinierte Managen von Unsicherheiten. Leider fühlen sich viele von diesen Bedingungen zunehmend gestresst, überfordert und ausgebrannt.
Menschen mit AD(H)S zeichnen sich unter anderem durch eine große Begeisterungsfähigkeit, Offenheit, Neugier, Flexibilität im Denken sowie eine außergewöhnliche Problemlösefähigkeit aus.
Vielleicht braucht unsere Gesellschaft genau diese Menschen mit ihren besonderen Fähigkeiten. Menschen, die sich ohne Wenn und Aber mit Neugier und Offenheit auf komplexe neuartige Problemlösungen einlassen können und großartige Visionen entwerfen können. Die sich nicht in vorgefertigte Strukturen pressen lassen und auch unter unsicheren Bedingungen kreative Lösungen generieren können. Und wer weiß, vielleicht sichern diese ehemaligen Jäger der Steinzeit auch in den heutigen unruhigen Zeiten das Überleben der Menschheit.
Schon Albert Einstein postulierte: „Damit die Menschheit weiterleben kann, benötigt sie eine neue Art des Denkens, denn Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind, und unsere Welt hat im Moment eine ganze Menge Probleme, für die innovative und kreative Lösungen benötigt werden.“
Quellen
1) Claus, Dieter/Aust-Claus, Elisabeth/Hammer, Petra-Marina: Das ADS-Erwachsenen-Buch, 2014, Seite 16
2) https://www.adhs-ratgeber.com
3) https://www.spektrum.de/news/die-transmitterchemie-stimmt-nicht/1007330
4) https://www.spektrum.de/news/die-transmitterchemie-stimmt-nicht/1007330
5) https://www.spektrum.de/news/die-transmitterchemie-stimmt-nicht/1007330 Vgl. http://www.adhs.de
6) http://www.adhs.de
7) Claus, Dieter/Aust-Claus, Elisabeth/Hammer, Petra-Marina: Das ADS-Erwachsenen-Buch, 2014, Seite 16
Isabella Stotter
Systemische Psychotherapie, Beratung und Coaching
Pressemitteilung von: Konferenz ADHS. Schnellere Pillen für „Zappelphilippe” – Therapeutische Bankrotterklärung Datum: 22.06.2018 13:37, Kategorie: Gesundheit & Medizin
1. Die Absicht einer Revision der ADHSBehandlungsleitlinien durch die AWMF, die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V., mit dem Ziel, einen schnelleren Einsatz von Psychopharmaka zu ermöglichen, belegt die seit Jahren von der Konferenz ADHS kritisierte Tatsache, dass der biologistisch-medizinische Ansatz bei „ADHS“ in der echten Ursachenarbeit weitgehend hilflos ist und therapeutisch nichts anderes anzubieten hat als Pillen.
Die Diagnose „ADHS” wird schon heute viel zu oft gestellt und dient als Legitimation für eine lediglich zudeckende, nicht jedoch heilende Behandlung mit Psychostimulanzien, deren Langzeitfolgen noch weitgehend unerforscht sind. Eine schnellere Medikamentierung gefährdet noch mehr Kinder in psychischer Not. Sogar das DSM-5 bestätigt, dass die eingesetzten Tests „nicht ausreichend sensitiv und spezifisch genug (sind), um zur Diagnosestellung verwendet zu werden.” Es herrscht keineswegs einhelliger Konsens unter den Fachgesellschaften. So hat etwa die Vereinigung der Analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (VAKJP) die neue Leitlinie ADHS S3LL nicht unterzeichnet.
Die Konferenz ADHS rät allen direkt oder indirekt Betroffenen von einer derartigen Diagnose noch dringender ab als bisher. Sie kann zu einem irreversiblen Abhängigkeitskreislauf aus Medikation, scheinbarem Behandlungserfolg, starken Nebenwirkungen und der verpassten Chance einer echten, nachhaltig wirksamen, beziehungsorientierten psychodynamischen oder tiefenpsychologischen Psychotherapie führen. So verfestigt sich eine Suchtstrukur der emotionalen Fremdsteuerung durch Pillen statt nachhaltig neu erlernter Selbststeuerung.
2. Für die Konferenz ADHS ist schon die Vergabe der Diagnose „ADHS” ein folgenschwerer Fehler, weil sie verschiedenste Kinder über einen Kamm schert und kein anderes Verhaltensverständnis zulässt als ein mechanistisch-neurobiologisches.
Die „ADHS”-Diagnose verdrängt die persönliche, einfühlende Betrachtung des Kindes im Kontext seiner je individuellen Lebensbedingungen. Unruhe oder Unaufmerksamkeit ist keine biologische Krankheit, sondern die Antwort eines fühlenden Menschenwesens auf eine innere und äußere Situation. Die Konferenz ADHS ist höchst beunruhigt über die Bedenkenlosigkeit, mit der man Kindern, die sehr lebhaft, sehr verträumt, sehr verspielt und überdies vielleicht kerngesund widerspenstig sind, eine „ADHS”-Diagnose anhängt. Jedes Symptom hat einen Sinn. Es gibt zahllose Beispiele des vollständigen Verschwindens von sogenannten „ADHS“-Symptomen nach professionellen, die Situationen berücksichtigenden psychosozialen, heilpädagogischen oder tiefenpsychologischen Interventionen. Echte Therapie macht unabhängig und will die Gefühle und das Verhalten der Kinder nicht „in den Griff kriegen", sondern sie verstehen und sich selbst befreien helfen.
3. Die neurobiologische „ADHS"-Hypothese hält nicht einmal einer oberflächlichen logischen Prüfung stand. Es ist und bleibt hoch spekulativ, die betreffende Symptomatik auch nur in zwei oder drei Prozent der Fälle auf eine genetisch bedingte Hirnstoffwechselstörung zurückzuführen. Es gibt kein „echtes ADHS” als biologisch-genetische „Krankheit”.
Selbst das neue DSM-5 stellt fest, dass es „keinen biologischen Marker anhand dessen ADHS diagnostiziert werden kann” gibt, obwohl in der Welt der Betroffenen bzw. deren Eltern seit Jahren systematisch der Mythos einer „Hirnkrankheit ADHS“ aufgebaut wird, die angeblich auch noch angeboren sei. Nichts davon ist belegt, es gibt keinerlei eindeutige neurobiologische oder genetische Befunde.
Der Begriff „Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom (ADHS)“ ist also nur eine vage Sammelbezeichnung für eine Reihe von in unserer gegenwärtigen Gesellschaft zusehends unerwünschten, aber unter Kindern recht verbreiteten Verhaltensweisen, die unterschiedlichste Ursachen haben können. „ADHS" bezeichnet Verhalten, es kann nicht zugleich dessen Ursache bezeichnen.
4. Auch wenn in extremen Notfällen ein Medikament kurzfristig als Segen erscheinen kann, sind Behauptungen, Methylphenidat sei wirksamer als Psychotherapie, „in der Regel gut verträglich” und habe nur wenige Nebenwirkungen, falsch und gefährlich.
In der entsprechenden Studie wurde nur mit Verhaltenstherapie verglichen, tiefenpsychologische Studien wurden nicht herangezogen, obwohl diese seit vielen Jahren nachhaltige Wirkungen belegen. Für das Psychostimulans Methylphenidat ist neben möglichen Suchteffekten (wenn ich unerträglich bin, nehme ich etwas ein) und starken Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Kopfweh, Magenbeschwerden, Appetitlosigkeit bis zu Wachstumsverzögerungen und Herzrhythmusstörungen u. v. m. belegt, dass selbst langjährige Medikation keinerlei nachhaltige klinische Besserung bringt.
Die Konferenz ADHS ist entsetzt darüber, wie oft haarsträubende differenzialdiagnostische Achtlosigkeiten dazu führen, dass die eigentlichen, z. B. psychosozialen Ursachen der Symptomatik verkannt werden und daher eine sinnvolle Therapie unterbleibt. Die regelmäßige Einnahme von Medikamenten zur Verhaltenssteuerung begünstigt schwere Identitätsstörungen bei sich entwickelnden Kindern und Jugendlichen.
5. Verhaltensauffällige Kinder gehören nicht primär zum Arzt oder zum Psychiater, sondern zum Pädagogen, Heilpädagogen oder Psychotherapeuten.
Experten für Medizin, Gehirne und Körper können vielleicht einen fehlenden Ausschnitt des Gesamtbildes ergänzen, doch nicht über Fragen der Pädagogik oder Psychotherapie entscheiden. Ihre Wissenschaften sind für andere Wirklichkeitsbereiche zuständig.
Da beim Lernen, in der Erziehung und in der Therapie Vertrauen, Gefühle, Beziehungen und neue mitmenschliche Lebenserfahrungen wesentlich sind, sollten Pädagogen, Psychologen und Psychotherapeuten lebensweltlich erfahrene Experten des Mitgefühls, der inneren Erfahrung, der Beziehung und Selbstbeziehung, der Kommunikation, der Emotionen und der Konfliktbewältigung sein und keine Experten für „Gehirne” oder „Nervensysteme”.
Dies alles in Rechnung stellend und bestens gerüstet mit wissenschaftlichen Argumenten für unsere Haltung, hält die Konferenz ADHS es für einen Skandal, dass nun von der AWMF die Hürden für die Verschreibung von Methylphenidat herabgesetzt werden sollen, statt sie, was dringend erforderlich wäre, deutlich zu erhöhen.
Diese Pressemitteilung wurde auf openPR veröffentlicht.
Konferenz ADHS
c/o Freies Bildungswerk Rheinland, Luxemburger Straße 190, 50937 Köln
www.konferenz-adhs.org
Generalsekretär: Pascal Rudin,
Wir sind ein Zusammenschluss von namhaften Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen, die sich für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema ADHS einsetzen. Unsere Vision ist es, die Öffentlichkeit zu ermächtigen, das gegenwärtige schulmedizinische ADHS-Konstrukt kritisch zu hinterfragen und damit der einseitigen Biologisierung kindlichen Verhaltens entgegenzuwirken.
Link zur PM:
https://www.openpr.de/news/1008637/Schnellere-Pillen-fuerZappelphilippe-Therapeutische-Bankrotterklaerung.html
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