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Die Illusion vom Zustand - Die Geschichte einer Selbsterfahrung - Das Glück als Moment

Auf dem Weg in meinem bereits langen Leben als Unternehmer und mit einer Suchtkrankheit sowie als Heilpraktiker für Psychotherapie begegneten mir viele Dinge, die zu tiefgreifenden Überlegungen Anlass geben.

Von frühester Kindheit an war ich – aus Gründen, die mir selbst nicht gänzlich klar sind – auf die Zukunft fixiert. Mit dem Erreichen verschiedener Lebensabschnitte, sei es das Erwachsenenalter, das Ende meiner Ausbildung oder der Erwerb des Führerscheins, verband ich stets die Hoffnung, endlich einen Zustand des Glücks und der Zufriedenheit zu erlangen. Doch diese Erwartungen erfüllten sich nicht. „Nun, dann wohl beim nächsten Mal“, sagte ich mir und setzte meine Suche fort, stets getrieben von der Vorstellung des ultimativen Ziels.

Mein Leben führte mich von einem Hobby zum anderen Hobby, von einem Wohnort zum nächsten, von einer Beziehung zur nächsten, doch das ersehnte Glück und die Zufriedenheit blieben aus. Unverdrossen spielte ich dieses Spiel weiter, getreu dem Motto „Es wird sich schon fügen“. Jedoch drohte ich nach Jahrzehnten im Strudel meiner Alkoholabhängigkeit

Die Begegnung mit der Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker markierte einen Wendepunkt. Mein Weg zur Abstinenz war geprägt von Rückfällen und Entzügen. Doch durch die Reflexion meines Verhaltens fand ich immer wieder einen Ausweg aus der Spirale der depressiven Enttäuschung. „Wenn ich nur dauerhaft abstinent bleiben könnte ...“, so dachte ich, „dann würde alles gut“.

Doch auch in diesem Lebensbereich stellte sich die erhoffte Erfüllung nicht ein. Am Ende meiner Kräfte, hörte ich auf zu kämpfen und begann zu akzeptieren, dass der Alkohol und die Sucht über meine Kräfte hinausgingen.

Das, was wir bei den Anonymen Alkoholikern als Kapitulation bezeichnen, führte zu einer tiefgreifenden emotionalen Veränderung in mir: Ich wollte und musste nicht mehr trinken. Der Drang zum Trinken war gelegentlich noch präsent, mal schwächer, mal quälender, doch ich konnte ihm widerstehen. Auch wenn ich manchmal über mein Schicksal unglücklich war, gab es Momente, in denen ich so etwas wie Glück empfand – z. B. beim Erwachen mit einem klaren Kopf oder wenn ich nachts aus einem angstvollen Traum, in dem ich betrunken war, aufschreckte und die Erleichterung spürte, dass es nur ein Traum gewesen war.

Solche Glücksmomente sind flüchtig; ich kann sie nicht festhalten, doch die Erinnerung daran bleibt. Über die Jahre hinweg hat mich dieser Gedanke immer wieder beschäftigt. Heute empfinde ich Dankbarkeit für die zahlreichen Momente des Glücks, an die ich mich immer gerne erinnere, auch wenn mein nüchternes Leben wie jedes andere seine Höhen und Tiefen hat. Aus der daraus gewonnenen Erkenntnis prägte ich das geflügelte Wort: „Glück ist nicht Zustand, Glück ist Moment. Wer den Zustand sucht, geht am Moment vorbei.“

Der Weg als Ziel

Das Glück erkannte ich also als flüchtigen Augenblick, der bei mir als Moment erscheint und nicht als beständiger Zustand. Die tiefgehende Reflexion über das, was wir gemeinhin als „Zustand“ bezeichnen, führte mich zu weiteren Entdeckungen und Einsichten. Unser Bedürfnis nach Sicherheit und Verlässlichkeit gebiert den Wunsch nach konstanten Lebensumständen, die über lange Zeit unverändert bleiben sollen, stets von Gleichwertigkeit, Positivität und Frieden geprägt. Wir streben nach unseren Zielen und hegen die Vorstellung, dass wahres Glück erst nach ihrer Erreichung anhaltend sein wird.

Meine eigene Vorstellung davon hatte ich bereits in der Endphase meiner Alkoholkrankheit formuliert: „Wenn ich erst nachhaltig trocken sein kann ... dann würde alles gut werden, dann würde ich nur noch Glück empfinden und stets gute Laune haben!“ Das Ziel – ein Zustand. Statisch. Unveränderlich. Auf Dauer.

Doch bei genauer Betrachtung der Welt um uns herum erkennen wir immer wieder erstaunt, dass sich alles verändert. Die Intensität dieser Veränderungen, die wir wahrnehmen, hängt wesentlich von der Zeitspanne ab, die zwischen zwei Beobachtungen liegt. Bei Kindern von Bekannten oder Verwandten fällt uns auf, wie sehr sie sich verändert haben, wenn wir sie längere Zeit nicht gesehen haben: „Die sind aber groß geworden ...“

Wer sensibel dafür ist, mag bemerken, dass sich alles ständig wandelt. Nichts bleibt wirklich unverändert. Alles ist in ständiger Bewegung. Lediglich durch unsere Wahrnehmung entsteht oft der Eindruck, dass manche Dinge gleich bleiben. Doch das ist trügerisch. Nichts auf dieser Welt ist von Bestand. Auch wir selbst letztlich nicht! Ein anschauliches Beispiel verdeutlicht dies: Wir befeuchten einen Putzlappen. Für vollends unterzugehen. 

uns ist er nun nass. Doch in Wahrheit ist der Lappen lediglich „relativ“ nass! Platzieren wir ihn auf einer Apothekerwaage, sehen wir, wie die Zahlen auf der Digitalskala im Milligrammbereich unaufhörlich abnehmen. Der Lappen verliert stetig an Gewicht, da das Wasser permanent verdunstet.

Unsere Welt ist in Bewegung. Immer. Unsere Welt lebt! Leben bedeutet Bewegung, Veränderung. Nichts ist statisch!

Als ich meine ersten Schritte der Genesung in Richtung Trockenheit unternahm, stellte ich mir die Frage: Wann werde ich es wohl „geschafft“ haben? Nach 100 Tagen nüchtern? Nach 1 000? Oder erst nach 2 000? Diese Frage beschäftigte mich lange – wann würde ich wohl mein Ziel erreichen? Nach sehr vielen Jahren mit Hunderten Meetings und intensiven Gesprächen begriff ich schließlich: Wenn ich heute nicht trinke, dann habe ich mein Ziel bereits erreicht! Indem ich meine Sucht akzeptiere und den Weg einschlage, mein Leben im Umgang mit dieser Sucht zu gestalten, habe ich bereits gewonnen!


Der erste Schritt markiert den Beginn meiner Reise. Eine Reise der kontinuierlichen Weiterentwicklung. Es hört nie auf. Es geht immer weiter.

Alles verändert sich. Ich verändere mich. Ich lebe!

Schließlich erfasste ich die Bedeutung der alten chinesischen Weisheit: „Der Weg ist das Ziel“.

Die Kunst der Veränderung

Ich hatte nun einiges vom Glück erkannt, das in meinem Dasein nicht als anhaltender Zustand, sondern als flüchtiger Moment erscheint, sowie vom Leben, das sich letztendlich als eine beständige Metamorphose offenbart. Als der Wunsch in mir aufkeimte, dem Alkoholkonsum Einhalt zu gebieten, beschäftigte mich zwangsläufig die Thematik der Veränderung – meiner Veränderung. Es lag in meinem Bestreben, zahlreiche Aspekte meines Selbst sowie meine Denk- und Handlungsweise zu modifizieren. Ein Wunsch, mit dem ja heute ebenfalls meine Patienten zu mir in die Therapie kommen.


Die Frage nach dem „Wie“ erwuchs als zentrales Anliegen. In den Meetings bei den Anonymen Alkoholikern vernahm ich divergierende Ansichten. Einige behaupteten, wir blieben in unserem Wesen unverändert, unser Charakter manifestiere sich trotz Nüchternheit unverändert. Andererseits wurde mir anfangs stets eingeschärft, ich müsse Geduld walten lassen; die Veränderungen würden sich mit der Zeit einstellen, sofern ich nur die berühmten drei „G“ innehielte: Geduld, Geduld, Geduld. Dies entsprach jedoch nicht meinen Erwartungen! Dennoch blieb mir letztlich nichts übrig, als meine Ungeduld zu zügeln und dem Prozess treu zu bleiben. Die Vergeblichkeit meiner unermüdlichen Versuche, klüger zu sein als meine Freunde an den Tischen und die Lehren der Anonymen Alkoholiker umgehen zu können, hatte ich durch wiederholte Rückfälle bereits bitter erfahren. Wir möchten ja immer wieder mal zu gerne glauben, dass uns über Jahrzehnte angeeignete Konditionierungen recht schnell genommen werden könnten. Heerscharen von Scharlatanen ziehen dann ihren Nutzen aus dieser kruden Vorstellung.

Daher fokussierte ich mich dann darauf, täglich, „nur für heute“ abstinent zu bleiben und die nächsten 24 Stunden anzugehen. Zwar wusste ich intellektuell, welche Veränderungen ich herbeiführen wollte, wie ich mich anders verhalten und reagieren wollte, doch mein Körper und meine Gefühle verweigerten sich meinen mentalen Entschlüssen. Unweigerlich beging ich immer wieder dieselben Fehler mit Verfehlungen und Reaktionen, die ich eigentlich ablegen wollte. Das „Warum“ dieser Wiederholungen quälte mich fortwährend. Warum konnte ich mich nicht ändern? War es überhaupt möglich? Und wenn ja – auf welche Weise?

So verstrichen Monate und Jahre. Ich vermochte abstinent zu bleiben, der Drang zum Alkohol schwächte sich ab, und ich erfuhr eine gewisse Demut und Dankbarkeit. Von meinen Mitstreitern vernahm ich wiederholt, dass sie Veränderungen an sich selbst beobachteten. Diese Tatsache weckte mein brennendes Interesse.

Zugegebenermaßen hatten sich auch bei mir gewisse Veränderungen eingestellt. Doch wie war dies möglich? Diese Frage trieb mich unaufhörlich um. Schließlich begann ich, mich selbst eingehend zu beobachten, meinen inneren Regungen zu lauschen und die aufkommenden Empfindungen in bestimmten Situationen zu erkunden.

Dabei stieß ich auf einen Mechanismus in mir: Sobald ich unliebsame Gefühle oder Reaktionen bemerkte, versuchte ich, diese zu unterdrücken, zu ignorieren oder ihnen auszuweichen. Ich wollte sie nicht fühlen, sie sollten verschwinden. Doch dies war ein aussichtsloses Unterfangen!


In diesem Moment erinnerte ich mich an eine Weisheit der Anonymen Alkoholiker: Die Entscheidung, das erste Glas zu trinken oder es stehen zu lassen, liege in meiner Hand! Solange ich mich gegen den Drang zum Trinken wehrte, war ich nicht in der Lage, diese Entscheidung zu treffen, und fiel dem Alkohol erneut zum Opfer. Erst als ich meine Sucht akzeptierte und den Impuls zum Trinken zuließ, konnte ich tatsächlich eine bewusste Entscheidung treffen! Demzufolge entschied ich mich dafür, dasjenige, was ich nicht an mir haben wollte, zuzulassen und nicht zu unterdrücken. Vielmehr begann ich, mich darauf zu konzentrieren und meine Aufmerksamkeit darauf zu richten. Dies führte mich letztlich zu meinem dreistufigen Veränderungsmechanismus: „Wahrnehmung, Bewusstmachung, Entscheidung!“

Ja, auf diese Weise konnte ich tatsächlich eine Veränderung herbeiführen! Indem ich mich zu vielen meiner unangenehmen Eigenschaften bekannte und sie akzeptierte, fand ich meinen Frieden mit ihnen. Heute plagen sie mich nicht mehr, heute schränken sie mich nicht mehr ein!


Durch meine bewussten Entscheidungen erlange ich zunehmend Selbstbestimmung, Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz. In mir wächst die innere Freiheit und letztlich erreiche ich eine größere Zufriedenheit. Meine Nüchternheit ermöglichte mir sogar die wunderbare Erfahrung, mit über sechzig Jahren noch einen neuen Beruf zu erlernen. Als Heilpraktiker für Psychotherapie setze ich vor allem auf Gesprächstherapie, stets mit dem Ziel, meine Patienten zu befähigen, sich selbst zu helfen. Dabei kann ich meine wie beschrieben erlangten Erkenntnisse auf entscheidende Weise einsetzen. Es ist stets eine erhebende Erfahrung, die Dankbarkeit der Menschen zu spüren, denen ich therapeutisch zur Seite stehen kann! Unser Leben ist von Veränderung geprägt und auch vor uns selbst macht diese nicht halt. Unsere Furcht davor ist völlig unbegründet!

Im Gegenteil: Veränderung eröffnet uns den Weg zur inneren Freiheit!

Michael Looks Heilpraktiker für Psychotherapie Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.