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Bedürfnisse und Grenzen in Beziehungen (er-)leben

Neulich in einer Fortbildung zum Thema Paartherapie sagte der Dozent:„Die meisten Konflikte in Beziehungen entstehen dadurch, dass die Partner (immer m/w/d) nicht in der Lage sind, über ihre jeweiligen Bedürfnisse und Wünsche zu sprechen“. Der Satz blieb bei mir hängen. Und mich beschäftigt seither, wie viel bessere Beziehungen wir leben könnten, wenn uns das gelingen würde. Die Frage ist nur: wie?

In Konflikten neigen Menschen dazu, die Schuld vorrangig beim Gegenüber zu sehen. Das ist erst mal einfacher, als bei sich zu schauen – eine Art Selbstschutz also. Wenn wir jedoch besonders selbstkritisch sind, schauen wir vielleicht auch bei uns und rechtfertigen jedes schlechte Benehmen unseres Partners. Vielleicht, weil wir konfliktscheu sind. Dabei herrscht in einer Beziehung – wie in jeder Form von zwischenmenschlichem Kontakt – eine Dynamik, an der (mindestens) zwei Menschen beteiligt sind. Wie kommt es aber dazu, dass Konflikte häufig zu verhärteten Fronten führen?

Wenn es emotional wird, gelingt es vielen Menschen nicht, objektiv zu bleiben. Häufig nutzen wir dann Du-Botschaften à la „Wenn du dich nur anders verhalten würdest, wäre mein Leben viel einfacher!“ Ein klassisches Beispiel, das sicher viele Paare kennen und Therapeuten zu hören bekommen, ist die offen gelassene Zahnpastatube. Sie ist in 99,9 % der Fälle jedoch lediglich ein Synonym dafür, dass sich der dadurch verärgerte Partner in seinem Bedürfnis, etwa nach mehr Unterstützung im gemeinsamen Alltag, nicht gesehen fühlt. Meist handelt der vermeintliche „Übeltäter“ zunächst nicht aus böser Absicht, sondern weil er ein anderes Verständnis von Ordnung hat.

Mehrfach und womöglich irgendwann auch nicht mehr freundlich daran erinnert, macht er dann eventuell dicht und/oder es passiert ihm als klassische freudsche Fehlleistung. Ohne sich über solch eine Situation einmal tiefergehend auszutauschen, eskaliert diese vermeintliche Kleinigkeit gerne. Heißt das im Umkehrschluss, dass man doch lieber alles um des lieben Friedens willen verdrängen soll? Bitte nicht. Es geht vielmehr darum, eine andere Form von Kommunikation zu etablieren.

Kommunikation als ein Fundament für gelingende Beziehungen

Eine sehr gute Möglichkeit, um sich klar und dennoch wertschätzend gegenüber dem Partner zu äußern, bietet die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Marshall B. Rosenberg, einem US-amerikanischen Psychologen. 

Bei dieser geht es, kurz zusammengefasst, darum, dem Gegenüber die eigene Beobachtung hinsichtlich eines bestimmten Verhaltens mitzuteilen plus die Gefühle, die dieses bei einem selbst auslösen. Wichtig dabei ist, bei sich zu bleiben und Ich-Botschaften zu verwenden. Anschließend wendet man sich mit seinem Bedürfnis und Wunsch an den Partner und gibt ihm natürlich auch ausreichend Raum, um zu antworten. Beispiel für die GfK s. Abb.

Bei der GfK geht es vor allem darum, friedlich miteinander in Kontakt zu treten. Der Partner kann, muss aber den an ihn gerichteten Wunsch nicht erfüllen.

Daher geht es auch darum, möglichst ohne zu große Erwartungen ins Gespräch zu gehen. Vielmehr gelingt es so besser, sich in seinen Partner einzufühlen und auch seine Position zu verstehen. Durch diese Art der Kommunikation reagieren viele Menschen jedoch wieder zugänglicher, da sie sich nicht mehr als „Sündenbock“ fühlen. Es gibt viele Kurse und auch Bücher, die die Gewaltfreie Kommunikation näherbringen. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, diese zunächst gemeinsam mit einem Therapeuten oder Berater einzuüben.

Wie schön und wichtig es doch wäre, diese Form der Kommunikation schon unseren Kindern zu Hause oder im Kindergarten bzw. in der Schule beizubringen ...

Sich seiner Grenzen und Bedürfnisse bewusst werden

Eine weitere sehr wichtige Voraussetzung, um gut in der Beziehung sein zu können, ist, dass man sich seiner eigenen Bedürfnisse und Grenzen bewusst wird und so gut wie möglich danach lebt. Auch das ist manchmal zunächst leichter gesagt als getan. Je nachdem, wie wir aufgewachsen sind, haben wir vielleicht erst mal keinen guten Zugang zu unseren Gefühlen und (Körper-)Empfindungen, die hierfür jedoch ein wichtiger Kompass sind. 

Beobachtung: „Ich beobachte seit ein paar Wochen, dass du morgens und abends immer vergisst, die Zahnpastatube wieder zuzuschrauben und zurück in den Schrank zu stellen. Obwohl ich dich schon mehrfach daran erinnert habe.“

Gefühl: „Ich fühle mich dadurch ignoriert, weil ich das Bad regelmäßig putze und aufräume, damit wir es schön haben. Und ich frage mich, warum du meine mehrfachen Bitten ignorierst. Das löst Wut und Traurigkeit bei mir aus.“

Bedürfnis: „Ich wüsste gerne, was bei dir los ist und was du vielleicht brauchst.“

Bitte/Wunsch:

„Bitte sag mir, was bei dir los ist und was ich vielleicht tun kann.“

Unsere schnelllebige Gesellschaft fördert das ebenfalls nicht. Die gute Nachricht: Auch das kann man (wieder) lernen und durch etwas Übung ins Leben integrieren. Entweder mit der bereits erwähnten professionellen Begleitung und auch selbst kann man einiges dafür tun. Etwa, indem man eine regelmäßige Gewahrseinsübung – „Awareness“ in der Gestalttherapie – in den Alltag aufnimmt.

Bei dieser nehmen Sie sich 5 bis 10 Minuten in ruhiger Umgebung Zeit. Machen Sie es sich gemütlich, schließen Sie gerne Ihre Augen und nehmen Sie einfach nur wertfrei wahr, was sich dabei an Gefühlen, Körperempfindungen oder auch Gedanken aus einer Art Beobachterposition zeigt. Das mag sich zunächst seltsam anfühlen, regelmäßig angewendet kann es jedoch sogar zu einer angenehmen Pause vom Alltag werden.

Auch das Tagebuch schreiben, regelmäßige Bewegung oder Zeit in der Natur können hierbei unterstützen. Immer natürlich vor dem Hintergrund, was Ihnen guttut bzw. zu Ihnen passt. Denn auch, wenn wir in Partnerschaften ein gemeinsames Leben führen, so bleiben wir doch Individuen und sollten uns daher möglichst auch immer wieder etwas Zeit für uns alleine nehmen. Dadurch, dass Sie ins Spüren kommen und sich selbst bewusster wahrnehmen, merken Sie mit der Zeit, was Ihre Bedürfnisse und Grenzen sind (diese stehen nämlich mit unseren Gefühlen in Verbindung) und was Sie selbst dafür tun können, um nach diesen zu leben.


Eigene Themen bearbeiten

Die Kommunikation und das Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse und Grenzen sind wichtige Säulen in der Partnerschaft. Aber sind sie das Einzige, was zählt? Nein, sind sie nicht. Auch die Vergangenheit kann mit reinschwingen und die Beziehung beeinflussen. Sie sind zwei Menschen, die beide ihren Rucksack mit Themen und Erfahrungen mitbringen.

Durch Prägungen und Vorbilder in der Kindheit und Jugend sowie Erfahrungen in Ihrem eigenen Beziehungsleben haben Sie verschiedene Muster und Verhalten erlernt. Damit können dann schon mal zwei unterschiedliche Welten aufeinanderstoßen, sodass es – sollten Sie häufig streiten oder aus anderen Gründen nicht gut miteinander in Kontakt sein – sinnvoll ist, auch Ihre individuellen Themen zu bearbeiten. Gerade in Konflikten zeigen sich oft unsere Inneren-Kind-Themen. Werden diese von Ihnen beiden verarbeitet, so kann sich das ebenfalls günstig auf die Beziehung auswirken. Dazu zählt für mich auch ein Bewusstmachen und ein Umgang mit den verschiedenen inneren Anteilen, die jedem von uns Menschen innewohnen und die ebenfalls durch Gene, Erfahrungen u. Ä. entstanden sind.

In der Paarberatung kann das z. B. so aussehen, dass beide Partner eine oder auch mehrere Sitzungen alleine wahrnehmen, um diese Themen individuell mit dem The

rapeuten zu bearbeiten. Danach werden sie wieder zusammengeführt und machen als Paar weiter mit der Therapie. Geben und nehmen Sie sich genügend Zeit dafür – es ist ein Prozess, der je nachdem mal länger, mal kürzer vorangeht. Natürlich müssen die erarbeiteten Dinge auch erst mal in Ihren Alltag integriert und ein Umgang mit bestimmten Themen, Gefühlen etc. gefunden werden.

Noch etwas Wichtiges zum Schluss
Neben all der Arbeit, dem persönlichen und gemeinsamen Erforschen, das bisweilen mal leicht, mal schwerer sein kann, ist es wichtig, sich auch als Paar davon regelmäßige Auszeiten zu nehmen. Spüren Sie am besten in sich rein, was Ihnen guttut und Freude bereitet.

Denn auch durch gemeinsames Erleben bei Ausflügen, Date-Nights, Kurztrips, Reisen etc. entwickelt sich Ihre Beziehung weiter. Wichtig ist, diese Momente dann auch möglichst bewusst zu erleben und zu genießen – mit allem, was an Gefühlen und Empfindungen dazugehört. Literatur Marshall B. Rosenberg: Empathisch kommunizieren. Junfermann Verlag Marshall B. Rosenberg: Wie ich dich lieben kann, wenn ich mich selbst liebe. Junfermann Verlag
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Junfermann Verlag Thich Nhat Hanh: Liebe heißt, mit wachem Herzen leben. Der Weg zu sich selbst und zu anderen. Herder Verlag

Vanessa Kämper, M. A. Redakteurin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Schwerpunkte: Hypnose, EMDR, Gestalt- und Gesprächstherapie, „Gefühlssprechstunde“, Praxis für Persönlichkeitsentwicklung & Psychotherapie
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