Abgerechnet wird am Schluss! „RabattmarkenKleben“ ist ein populäres Beziehungsspiel
Eva B. und Wolfgang R. sind seit acht Jahren ein Paar. Sie sind nicht verheiratet und haben aus früheren Ehen eigene Kinder in die Beziehung eingebracht. Evas Tochter ist 22, Wolfgangs Sohn ist 26, seine Tochter 23. Eva und Wolfgang sitzen vor mir, weil sie an ihrer Kommunikation arbeiten möchten. „Bei jeder Kleinigkeit bekommen wir uns in die Haare“, meinen sie beide einhellig. Immerhin, da gibt es Einigkeit. Vielleicht eine brauchbare Basis, wenn sich als Ausgangspunkt ein gemeinsames Problemverständnis zeigt.
Die beiden sind Inhaber einer Fördergesellschaft für verhaltensauffällige Jugendliche. Die jungen Leute werden dort wieder fit für den Arbeitsmarkt gemacht. Sie erhalten intensive pädagogische und psychologische Betreuung. Eva ist die pädagogische Leiterin, Wolfgang ist für den Betrieb und die Finanzen verantwortlich.
Ihr Privatleben wird stark von ihrem Arbeitsalltag dominiert – und umgekehrt: Privates wird im Büro thematisiert, der Betrieb ist regelmäßig Beisitzer beim Abendessen. Eva ist der Meinung, dass Wolfgang überhaupt keine Ahnung von der pädagogischen Arbeit hat. Diese Einschätzung teilt Wolfgang nicht. Er bringt sich daher immer wieder mit Kommentaren ein, auch gegenüber den Teilnehmern in den Projekten. Wolfgang findet die Vorwürfe von Eva unmöglich. Die kaufmännischen Tätigkeiten würden oft unmittelbar in die Projekte hineinwirken: Kfz-Reservierungen, Finanzmittel-Anfragen, Personalplanungen usw. Eva hält diese Argumente für fadenscheinig und gerade gut genug, um ihm eine Daseinsberechtigung zu geben. „Der ganze Laden läuft über meine Schultern“, betont sie.
Ich finde die gegenseitigen Vorwürfe ziemlich heftig. Kaum vorstellbar, dass hier zwei Menschen „gerade mal so“ auf die Idee kommen, ihre Kommunikation zu überprüfen. Dann sprechen die zwei von den Kindern. Wolfgangs Prinzessin darf sich schon im Unternehmen austoben. „Die macht zwar keinen Wochenenddienst, verdient aber mehr als alle anderen“, kommentiert Eva. „Deine Tochter weiß ja auch bis heute nicht, was sie will“, kontert Wolfgang.
Mein Verdacht verstärkt sich, dass hier schon länger und regelmäßig Munition gesammelt wird. Die Transaktionsanalyse spricht dabei von „Rabattmarken kleben“. Differenzen werden demnach nicht unmittelbar angesprochen und gelöst. Verdeckte Konflikte werden als „Rabattmarke“ in ein inneres Sammelheft geklebt und dort für einen späteren Zeitpunkt verwahrt. Zeitgemäß könnte man dieses Spiel vielleicht als „Payback-Punkte sammeln“ bezeichnen. Größere und kleinere Verletzungen werden irgendwann in der Zukunft zurückgezahlt. Der innere „Heimzahler“ wird dabei aktiv, der die Buchführung übernimmt.
Für die nächste Stunde entscheide ich mich, dieses Bild des RabattmarkenKlebens in der Stunde vorzustellen. Ich habe Eva und Wolfgang jeweils einen Bankordner mitgebracht, in dem sie ihr Vermögen verwalten sollen. Der erste Teil der Aufgabe besteht darin, die 8 400 vorbereiteten Zahlungseinheiten (Units) so zu verteilen, dass jeder damit seinen Beitrag am Unternehmenserfolg abgebildet sieht. Hier geht’s gleich ans Eingemachte. Eva beansprucht für sich, dass sie deutlich mehr Beitrag leistet und sie „den Laden auch fast alleine führen“ könnte. Wolfgang verhält sich sehr reserviert, fast beschämt. Im Endeffekt teilen sie die Units hälftig und gehen mit gleichen Mitteln in das weitere Spiel.
Ich bitte das Paar festzulegen, in welcher „Währung“ gehandelt wird. Sind es 8 400 Fragen, Fehler, Zeiteinheiten ...? Interessanterweise geht es bei Eva und Wolfgang um die Verteilung von Schuld. Sie räumen ein, dass sie in Schuldzuweisungen und Schuldüberweisungen arbeiten. Für das Spiel halten wir daher 8 400 SchuldUnits fest, von denen jeder 4 200 besitzt. Außerdem bekommen beide noch eine Kladde. Diese Kladde soll ihnen als Sparbuch oder Rabattmarken-Buch dienen. Hier hinein gehören sämtliche ungeklärten Konflikte, auch Mikroverletzungen, die nicht unmittelbar im Dialog geklärt werden.
Im weiteren Verlauf des Coachings schieben sie sich gegenseitig Schuld-Units zu, wenn sie der Meinung sind, der andere sei an etwas schuld. Wer seine (Mit-)Schuld bestreitet, sich also entschuldet, schiebt die Schuld-Units dem anderen zu. Es ist beeindruckend zu beobachten, wie im laufenden Prozess die Scheine über den Tisch geschoben werden – und wie oft es bei Eva und Wolfgang darum geht, Schuld zu verteilen.
Am Ende der zweiten Einheit sitzt Wolfgang auf einem Haufen Schulden von 5 900 Units. „Ich bin reich an Schuldzuweisung“, lächelt er angestrengt. Eva hat deutlich weniger auf dem Konto. Ihre Entschuldungs- und Entschuldigungsstrategien waren wirkungsvoller.
Wir vereinbaren, dass Eva und Wolfgang bis zur nächsten Supervisionseinheit die Rabattmarken-Bücher nutzen. Wir werden dann das jeweilige „Sparguthaben“ genauer ansehen und prüfen, wieviel Zinsen inzwischen durch das lange Liegen angehäuft wurden. Außerdem bitte ich die beiden. die Schuld-Units und die Bankordner beim nächsten offenen Konflikt als Werkzeug zu nutzen. Sie können den Prozess verlangsamen und Verantwortung neben die Schuld stellen. Ich habe das Gefühl, Eva und Wolfgang tun gut daran, ihr Beziehungsguthaben gelegentlich zu bilanzieren.
Horst Lempart
Heilpraktiker für Psychotherapie, Psychologischer Berater, Systemischer Coach, Spectrum Coaching, Koblenz