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Frauen und Autismus

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Traditionelles Frauenbild führt zu falschen Schlussfolgerungen

Autismus wurde lange eher Jungen zugeschrieben als Mädchen. Neuere Forschungsergebnisse legen aber den Schluss nahe, dass das traditionelle Frauenbild dazu führte, dass Anzeichen für Autismus bei Mädchen und Frauen nicht erkannt wurden.

fotolia©PixxsBereits 2014 machte Jana Hauschild in Spiegel ONLINE Gesundheit auf dieses Dilemma aufmerksam.

Im August-Magazin der Atlantic International University (www.aiu.edu • Campus Mundi • # 33) wird diese Frage erneut aufgegriffen.

Neuere Forschungen haben die weitverbreitete Aussage einer Statistik infrage gestellt, nämlich, dass mehr als 75 % der diagnostizierten Autismusfälle männliche Personen betrifft. Sehr lange galt die Hypothese, dass Unterschiede in der genetischen Ausstattung der Geschlechter die Gründe für diese statistisch so signifikante ungleiche Verteilung seien. Neuerdings greift eine andere Sicht der Dinge und die Erklärung sei eine ganz einfache. Aufgrund des traditionellen Frauenbilds und des Verhaltens von Mädchen und Frauen in der Gesellschaft habe man schlicht und einfach die Zeichen übersehen, die das Vorhandensein einer Störung aus dem autistischen Formenkreis erkennen ließen. Das traditionelle Frauenbild und die damit verbundenen typischen weiblichen Verhaltensmuster hätten Sicht, Fokus und interessengeleitete Forschungsarbeit so verzerrt, dass bei Mädchen und Frauen Autismus sich womöglich hinter anderen Symptomen verbirgt als bei männlichen Betroffenen.

Da sich die Forschung über das Leiden aus dem autistischen Formenkreis zunächst auf den männlichen Teil der Bevölkerung konzentrierte, weil die Symptome wesentlich auffälliger waren und die Annahme galt, dass die neurobiologischen Grundlagen von Autismus bei Männern und Frauen identisch oder zumindest ähnlich sind, wurde dieses Leiden beim weiblichen Teil der Bevölkerung übersehen.

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Erst als man mithilfe des MRT herausfand, dass Männer und Frauen das Leiden aus dem autistischen Formenkreis unterschiedlich erleben, erfahren und ausdrücken, erkennt man, dass in den Gehirnen beider Geschlechter tatsächlich differierende Vorgänge stattfinden und unterschiedliche Zentren beteiligt sind.

Rund 120 Betroffene wurden einem Scan unterzogen und die Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass es bei den Geschlechtern tatsächlich Unterschiede in den Gehirnen geben kann. Jedoch ist die Zahl der Untersuchten zu gering, um jetzt schon belastbare Aussagen darüber machen zu können. Der neue Forschungsansatz und das damit verbundene Interesse, Unterschiede zwischen den Geschlechtern finden zu wollen, könnten die Untersuchungen ebenso verzerren, wie es ursprünglich bei den männlichen Betroffenen der Fall war. Skeptizismus und Zurückhaltung bei der Interpretation der Ergebnisse sind also gerade deshalb angebracht, um nicht in die gleiche Falle wie zu Beginn der Autismusforschung zu geraten.

fotolia©Photographee.euJennifer McIlwee Myers, die selbst unter dem Asperger-Syndrom leidet und das Buch „How to teach life skills to kids with autism or asperger’s“ schrieb, nennt einige Gründe, warum das Forschungsinteresse bezüglich Autismus sich erst jetzt auch auf Mädchen und Frauen konzentriert. (https://www.facebook.com/AspieAtLarge) Sie führt an, dass Jungen und Männer, die unter Asperger oder Autismus leiden, viel häufiger und stärker durch wut- und aggressionsgeprägtes Verhalten auf sich aufmerksam machen, als es Mädchen und Frauen tun. Mädchen und Frauen wurden bisher und werden zum Teil immer noch dazu erzogen, sich eher still und zurückhaltend zu benehmen, eben ein „liebes und wohlerzogenes Mädchen“ zu sein. Myers verwendet hierzu den englischen Begriff der „niceness“ von „to be a nice girl“.

Wohingegen sich Jungen mit Wahrnehmungsstörungen, die auf Autismus zurückzuführen sind, eher aggressiv und körperlich expressiv gegenüber anderen Jungen verhalten. Mädchen hingegen neigen dazu, sich eher anderen Mädchen anzuschließen. Da sich diese Mädchen also mehr passiv und nach innen gekehrt verhalten, fallen sie weniger auf und erhalten weniger Aufmerksamkeit als die Jungen. Myers vermutet, dass die Dunkelziffer der Mädchen und Frauen, die von Störungen aus dem autistischen Formenkreises betroffen sind, wesentlich höher ist als bisher angenommen. Sie fielen nicht auf und ihnen werde daher auch keine Hilfe zuteil. Und genau die Haltung, nicht auffallen, nicht anecken und nicht provozieren zu wollen, hervorgerufen durch die Erziehung nach einem traditionellen Frauenbild, kann sich bei betroffenen Mädchen und Frauen später zu einem großen Nachteil auswirken, wenn es um Selbstbestimmung, Selbstentfaltung und Entwicklung des Selbstwertgefühls geht.

Ganz gleich, ob es sich um neurobiologische Unterschiede oder um dysfunktionale Coping-Strategien handelt, die aufgrund von soziokulturellen Bedingungen erworben wurden, die unterschiedliche Sicht von Mann und Frau als Genderproblem hat dazu geführt, dass Frauen auch in dieser Hinsicht benachteiligt wurden, weil ihr Problem nicht erkannt wurde und ihnen also nicht geholfen werden konnte.

Die Beobachtung, dass es immer häufiger Berichte über aggressives Verhalten von Mädchen nicht nur gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen gibt, hat möglicherweise auch mit dem veränderten Bild der Frau in der Gesellschaft zu tun und dem ihnen jetzt zugestandenen Recht, sich ähnlich zu verhalten wie Jungen und Männer. So sind sie auch in der Lage, ihren vielleicht bisher verborgenen Autismus aggressiv und körperlich expressiv in gleicher Intensität zu äußern.

Was bedeutet dies aber nun für den Heilpraktiker für Psychotherapie?
Stellt sich eine Klientin vor, die über Depressionen verbunden mit mangelndem Selbstwertgefühl, sozialem Rückzug und Selbstbeschuldigung klagt, kann die Ursache durchaus eine maskierte Form eines Leidens aus dem autistischen Formenkreis sein. Die Anamnese soll daher natürlich auch die Erziehungsbedingungen sowie das Wertesystem der Herkunftsfamilie als auch der Klientin selbst umfänglich einbeziehen.

Walter LenzWalter Lenz
Ph. D. Heilpraktiker für Psychotherapie, Geprüfter Psychologischer Berater (VFP), Privatpraxis für Psychologie und Psychotherapie (n. d. Heilpraktikergesetz), Rüsselsheim

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