Den Schritt wagen und aussteigen
Satanismus in Deutschland. Eine Gefahr, die viele Menschen nicht erkennen, da das, was sie sehen könnten, so unglaubwürdig und grausam ist, dass es die Vorstellungskraft Außenstehender sprengt. Ein Grund mehr, Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen, um ritualisierter Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene den Garaus zu machen. Wie diese Leidkette durchbrochen und den Betroffenen geholfen werden kann, dar- über habe ich mit Sofie Dreßler, Psychologische Beraterin aus dem bayrischen Pressath gesprochen. Her(t)zlichen Dank!
Frau Dreßler, was ist ritualisierte Gewalt?
Zunächst ist es so, wenn man den Begriff „rituelle Gewalt“ versucht zu definieren, dann könnte man ganz weit gefasst sagen, dass rituelle Gewalt eine Gewalt ist, die sich auf eine bestimmte Art und Weise in einem bestimmten Schema immer gleich wiederholt oder ähnlich wiederholt. Und in der Definition, in der wir den Begriff aber heute verwenden, ist er sozusagen etwas weiter gefasst, da geht es um etwas ganz Spezielles, nämlich um eine sehr, sehr schwere Form der Misshandlung, um physische, psychische und sexuelle Gewalt, die ganz planmäßig und zielgerichtet im Rahmen von Zeremonien in Gruppierungen stattfindet. Diese Zeremonien können entweder einen ideologischen Hintergrund haben oder auch einfach zur Täuschung oder Einschüchterung der Opfer inszeniert sein. Und diese Ereignisse werden über einen längeren Zeitraum wiederholt. Oftmals ist es zudem so, dass die Opfer während der Rituale gleichzeitig gezwungen werden, selber auch zu missbrauchen, auch Gewalt auszuüben, um sie an den Kult, an die Gruppe, an die Sekte zu binden. Also, rituelle Gewalt ist eine schwere Form der Misshandlung in Gruppierungen im organisierten Verbrechen mit ideologischem Hintergrund.
Welche Ideologie steckt hinter diesen Gewalttaten?
Da gibt es unterschiedliche Ideologien. Teilweise stecken hinter diesen Gewalttaten Teile des organisierten Verbrechens. Da geht es um Menschenhandel, Prostitution, Kinderhandel, Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten und dergleichen. Dann hat man es mit satanistischen Gruppierungen oder solchen, hinter denen ähnliche Glaubensideologien stehen, zu tun, in denen man vorgibt: Diese Rituale, diese Zeremonien, diese Gewalttaten passieren im Auftrag des Satans. Im Auftrag eines Gottes. Als Opfer für einen Gott, das als Glaubensinhalt oder als Ritual zur Glaubensauslebung gehört.
Warum schließen sich Menschen offensichtlich gewaltbereiten satanischen Sekten an?
Aus meiner Praxiserfahrung ist es so, dass die überwiegende Anzahl der Menschen, die ich betreue, sich nicht freiwillig dieser Gruppierung oder einer Organisation angeschlossen haben, sondern dass sie schlichtweg in diese Gruppierung über Generationen hineingeboren werden und von Geburt an in dieser Gruppierung nach diesen Ideologien aufwachsen. Es gibt auch Einsteiger, die von außen kommen, die sich erst in späteren Lebensjahren dieser Gruppierung anschließen. Dazu muss man sagen, dass es da zwei Varianten gibt. Erstens sind das Menschen, die einfach Kontakt suchen. Denen es vielleicht sozial oder psychisch nicht so gut geht. Die erst einmal einen gewissen Halt finden. Jemanden, der sie auffängt. Der für sie da ist. Ein soziales Gefüge, das unterstützend wirkt und in das diese Menschen peu à peu hineinrutschen – ohne es zu merken. Die andere Variante ist, dass es natürlich Menschen gibt, die sagen: Ich suche mir gezielt diese Lobby aus, weil ich in dieser Lobby Gewalttaten ausüben kann und relativ sicher bin, dass mich keiner dabei erwischt. Und weil ich auch sicher bin, dass die Opfer schweigen. Also, ich habe selber diesen Drang, diesen Hang, möchte z. B. Kinder missbrauchen, bin selber ein Gewalttäter und möchte das in einem relativ sicheren Umfeld tun. Und suche mir deshalb den Kontakt ganz gezielt aus und versuche aus diesem Grund, in diese Gruppierungen hineinzukommen.
Welche Auswirkung hat die systematische Anwendung von ritueller Gewalt auf die Opfer?
Bei den Menschen – Kindern, jungen Frauen und Männern – die dort hineingeboren werden, ist es so, dass sie aufgrund der massiven Gewalttaten häufig eine multiple Persönlichkeitsstörung entwickeln. Das heißt: Sie werden „viele“. Ihre Seele spaltet sich infolge der Gewalttaten auf. Die Folgeschäden durch die Gewalt sind auch massive körperliche Beeinträchtigungen: Schmerzen, Schäden, die durch Knochenbrüche, Frakturen, Verletzungen während der Gewalthandlungen zurückbleiben, Angststörungen, Entwicklung von posttraumatischen Belastungsstörungen. In diesen Gruppen wird häufig mit MindControl- oder Programmierungstechniken gearbeitet, um die Opfer auf die Bedürfnisse der Gruppe gezielt abzurichten.
Was sind Anzeichen ritueller Gewalt? Woran erkenne ich als Außenstehender, ob einem Kind, Jugendlichen oder Erwachsenen Gewalt angetan wird?
Also, zunächst einmal ist das nicht immer so ganz einfach zu erkennen. Was wichtig ist, wenn man den Verdacht hat, dass jemand von Gewalt betroffen ist, ist dass man einfach gut zuhört und auch aufmerksam beobachtet: Was steckt dahinter? Andernfalls kann man gucken: Ist eine Person öfter verletzt? Gibt es Verbrennungen, Verrenkungen, Frakturen? Gibt es irgendwelche äußerlichen Anzeichen, dass Gewalt stattgefunden hat? Dann kann ich prüfen: Ist eine Person sehr dissoziativ? Also, habe ich das Gefühl, sie rutscht immer wieder weg? Oder, kann sie mir gar nicht folgen? Hat sie Probleme, sich zu konzentrieren? Wirkt sie bei manchen Themen sehr apathisch oder abwesend? Bekommt sie gar nichts mit? Wird sie um bestimmte Feiertage herum instabil? Gibt es da Auffälligkeiten? Hat sie z. B. immer wieder Klinikeinweisungen? Oder hat sie totale Einbrüche zu Weihnachten, Ostern, an den Sonnenwendtagen? Daten, die einfach von diesen Kulten genutzt werden. Dann kann ich natürlich nachfragen: Gibt es so etwas wie Zeitlücken? Das ist etwas, was Menschen, die „viele“ sind, die multipel sind, oftmals einfach haben. Auch, dass sie Amnesien im Alltag haben, größere Zeitlücken, die sie nicht erinnern. Oder: Hat jemand Stimmen im Kopf? Von kleinen Kindern? Oder auch von Jugendlichen? Das hat nichts damit zu tun, schizophren oder psychotisch zu sein. Das ist ganz wichtig. Das ist einfach ein Anzeichen von diesen kleinen, kindlichen Innenpersonen, die sich durch die Gewalt von der Seele einfach abtrennen mussten. Gibt es Zwangsgedanken? Gibt es Lieder? Gibt es Gesänge, die einfach immer wieder im Kopf auftauchen? Gibt es Erinnerungen an den Geschmack von Kot, Urin oder Blut? Hat jemand schockartige Muskelkontraktionen, die eine Folge von Elektroschocks sein können? Erinnert sich jemand an Masken, Kutten, Altäre, Opfertische? Schlafstö- rungen, vor allen Dingen, wenn Menschen aus dem Schlaf hochschnellen, können darauf hindeuten. Gibt es Träume, die darauf hinweisen? Oder auch Hinweise auf stattgefundene Geburten oder Abtreibungen, ohne dass man dafür eine Akte hat? Das wären Anzeichen dafür.
Wie kann betroffenen Menschen der Ausstieg aus satanischen Sekten ermöglicht werden?
Das Wichtigste ist, wenn sich jemand entscheidet: „Ich will nicht mehr dabei sein“. Da braucht derjenige ein gutes und sicheres Helfernetz. Und auch eine gute Anbindung nach außen. Diese ist häufig gleich zu Anfang der tatsächlich schwierigste Punkt, sie überhaupt herzustellen, weil es viel zu wenig Menschen gibt, die sich damit auskennen. Wo das, was sie erzählen, auf einen Boden fällt, wo sie sagen können: „Der versteht mich. Der hat schon mal etwas darüber gehört. Der hat darüber gelesen. Der kennt sich aus. Der glaubt mir. Der ist bei mir.“ Also, es braucht diese gute, sichere Bindung ins Helfernetzwerk. Zusätzlich, wenn das möglich ist, natürlich auch gesunde private Beziehungen. So viele wie möglich. Beziehungen, die nichts mehr mit der Gruppe und mit dem Kult zu tun haben. Was dann dazu kommt, ist, dass es einfach auch den ernsten Ausstiegsversuch braucht. Gleichzeitig, zur äußeren Arbeit sollte auch eine innere Arbeit begonnen werden, um die innere Kommunikation herzustellen zwischen den inneren Persönlichkeiten, die durch die Gewalt entstanden sind. Sich selber zuhören: „Was ist mir denn passiert? Was ist mir zugefügt worden? Was ist meine Geschichte?“ Um auch langsam eine Art Kooperation zwischen den Anteilen herzustellen. Parallel dazu ist es ganz wichtig, dass in der Therapie dann eine Befreiung von diesen Zwängen und Mind-Control-Techniken, die in der Gruppe angewandt wurden, geschieht. Das ist ein Prozess, der oft Jahre dauert. Aber es kann funktionieren. Es gibt viele, die mittlerweile draußen sind und sich gut fühlen. Und ich kann da nur Mut machen, den Weg, so schwer er ist, trotzdem zu gehen.
Und Sie helfen Betroffenen dabei?
Ja, genau. Ich unterstütze sie. Ich berate, was wichtig ist. Ich schaue mit hin, wo es eventuell Fallstricke gibt oder wo Gefahren entstehen. Und begleite sie durch den Prozess, der ja immer sehr individuell ist. Je nachdem, was für die betroffene Person dann wichtig ist.
Buchtipp
Fröhling, Ulla:
Vater unser in der Hölle –
Inzest und Missbrauch eines jungen Mädchens in den Abgründen einer satanischen Sekte, mvgverlag,
ISBN 978-3-86882-546-6
Gast
Sofie Dreßler
Psychologische Beraterin (VFP) Lettenstraße 20, 92690 Pressath
www.psychologische-beratungspraxis-dressler.de
Moderatorin
Sonja Kohn
Heilpraktikerin, Dozentin, freie Redakteurin
http://psyche-kompakt.blogspot
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