Bundesgesundheitsministerium informiert Flüchtlinge lückenhaft und einseitig
BMG-Ratgeber für psychisch kranke Asylsuchende ungenügend
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) kritisiert den „Ratgeber Gesundheit für Asylsuchende in Deutschland“, den das Bundesgesundheitsministerium (BMG) heute veröffentlichte, als ungenügend. Da dringend erforderliche Dolmetscher im deutschen Gesundheitssystem nicht bezahlt werden, empfiehlt das BMG, Flüchtlingen z. B. „einen sprachkundigen Menschen ihres Vertrauens“ mit zum Arzt zu nehmen, wenn sie nicht ausreichend Deutsch sprechen.
„Davon ist abzuraten“, stellt BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz fest. „Es ist unverantwortlich, wenn z. B. Familienmitglieder bei der Diagnostik oder in einer erforderlichen psychotherapeutischen Behandlung übersetzen. Ein Sohn oder die Tochter darf auf keinen Fall die Berichte des gefolterten Vaters übersetzen müssen. Auch andere nicht geschulte Personen sind in einem psychotherapeutischen Gespräch fehl am Platz. Die Übersetzung in einer psychotherapeutischen Behandlung ist eine anspruchsvolle Tätigkeit und erfordert besondere Qualifikationen, sonst drohen Fehlbehandlungen und gesundheitliche Schäden für Patienten und oft auch für die Dolmetscher.“
Außerdem informiert der Ratgeber unvollständig. Das BMG rät traumatisierten Flüchtlingen, sich bei akuten psychischen Störungen im Notfall an ein Krankenhaus zu wenden. „Ein Allgemeinkrankenhaus ohne psychiatrischpsychotherapeutische Abteilung ist die falsche Adresse“, erklärt BPtK-Präsident Munz. „Gerade bei psychischen Erkrankungen infolge von traumatischen Ereignissen ist häufig Psychotherapie die Behandlungsmethode der Wahl.“ Der Ratgeber informiert Asylsuchende außerdem nicht darüber, dass sie sich bei psychischen Erkrankungen auch bei niedergelassenen Psychotherapeuten behandeln lassen können. „Das BMG sollte in seinem Ratgeber Behandlungsleitlinien und gängige Behandlungspfade beachten“, empfiehlt Munz. „Auch Flüchtlinge haben einen Anspruch auf vollständige und ausgewogene Patienteninformationen.“
Das BMG ignoriert ferner, dass Asylsuchende nicht nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzen behandelt werden können, sondern im Einzelfall auch bei chronischen Erkrankungen. Es klärt nicht darüber auf, dass posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) akut sowie lebensbedrohlich sein können und dringend einer Behandlung bedürfen. Menschen, die an einer PTBS erkranken, sind oft suizidal und benötigen dann rasch gezielt Hilfe.
15. Januar 2016, Quelle: http://www.bptk.de/aktuell/einzelseite/artikel/bundesgesund-1.html
Wo hakt es?
Die Flüchtlingsthematik beherrscht die Medien, öffentliche Debatten auf allen Ebenen und viele private Gespräche. Meist geht es um rein Praktisches, um Fragen der „Abwicklung“.
Der VFP hat als eine der ersten Organisationen bundesweit auf die psychischen und psycho-sozialen Herausforderungen hingewiesen, vor denen die Ankommenden, aber auch die ihnen Helfenden stehen.
Der Verband hat es nicht dabei bewenden lassen, aus fachlicher Sicht auf Schwierigkeiten hinzuweisen: Er hat – unter anderem gegenüber den Sozialministerien der Länder – konkrete Hilfe angeboten. Unabhängig von der Verbandsebene haben zahlreiche Mitglieder direkt in ihrem Umfeld angeboten, sich einzubringen.
Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf Kindern, die von Krieg und Flucht traumatisiert sind. Kinder scheinen traumatisierende Erlebnisse besser verarbeiten zu können als Erwachsene?
Oftmals ein Trugschluss, wie ein Blick auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs zeigt: Erst vor wenigen Jahren haben die Fachwissenschaften damit begonnen, die buchstäblich generationsübergreifenden Langzeitfolgen traumatisierender Kindheitserlebnisse für ganze Familien zu erkennen und systematisch zu untersuchen.
Umgekehrt können Traumata und Ängste, denen Menschen auf dem Weg zu uns ausgesetzt waren, auch schwerwiegende Auswirkungen auf ihre eigenen Kinder haben. Hilfe tut Not! Psychologische Unterstützung ist kein Gnadenakt und nicht nur eine Frage der Vernunft, sondern eine Pflicht des Staates.
Auf der anderen Seite stehen die Helferinnen und Helfer – ehrenamtliche wie hauptberufliche – unter enormem Druck: Die schiere Menge der Arbeit, das dünne Nervenkostüm vieler Ankommender, kulturelle Missverständnisse, Sprachbarrieren, Zukunftsängste, Kriminalität und Gewalt belasten die Menschen auf beiden Seiten. Auch darauf hat der VFP bereits vor Monaten hingewiesen, als die Meinung von Politik und Medien noch von rosarotem Grundoptimismus geprägt war. Inzwischen ist das Meinungsbild differenzierter.
Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass der VFP auf seine konkreten Hilfsangebote eher verhaltene Reaktion erhielt: Das Sozialministerium Baden-Württemberg ließ wissen, man sei nicht zuständig. Bremen und Thüringen verwiesen auf die Refugio- Vereine, und Hamburg, dessen Umgang mit der Flüchtlingsthematik schon häufiger kritisch in den Medien begleitet wurde, lehnte unser Angebot schlicht ab. Positive Reaktionen kamen lediglich aus Hessen – dort ist man grundsätzlich an einem Gespräch interessiert – und Nordrhein- Westfalen: Dort fand Anfang März ein Gespräch statt, das Ergebnislag lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Hier könnte ein Tätigkeitsfeld für die Politik liegen. Es ist schwer zu vermitteln, wenn Fachleute in einer buchstäblich nationalen Angelegenheit direkt wie auch über ihren Berufsverband Hilfe anbieten und sie auf dieses Angebot teilweise nicht einmal eine Antwort erhalten. Möglicherweise ist die öffentliche Verwaltung auf allen Ebenen nicht in der Lage, ihre Strukturen um externe Angebote zu erweitern. Eine pragmatische Hilfestellung aus der Politik mag da hilfreich sein.
Jens Heckmann
Selbstständig im Bereich Unternehmenskommunikation, Autor von Büchern und Fachveröffentlichungen