Wenn man nicht mehr über seinen Schatten springen kann: Frühjahrsmüdigkeit oder Depression?
Die Natur erwacht aus der dunklen Zeit des Winters zu neuem Leben, überall beginnt es zu blühen, zu grünen, zu sprießen und die Tage werden wieder länger. Wenn der Frühling einzieht, gibt es viele gute Gründe, bester Dinge zu sein und einer der schönsten Jahreszeiten mit Freude entgegenzusehen.
Leider geht es vielen Menschen anders. Sie fühlen sich erschöpft, ausgelaugt, sind kaum in der Lage, mit den täglichen Belastungen fertigzuwerden und werden von Müdigkeit und Lustlosigkeit in jeder Hinsicht geplagt. Etwa jeder Zweite leidet unter Frühjahrsmüdigkeit, die sich hauptsächlich in den Monaten März und April bemerkbar macht.
Ist das fehlende Sonnenlicht und damit einhergehend ein Mangel an Vitamin D verantwortlich für das Empfinden von Leere, Antriebslosigkeit, Konzentrationsmangel und lähmender Müdigkeit? Ist unser Immunsystem nach einem langen, kalten Winter geschwächt und ist man deshalb einfach nicht gut drauf oder leidet man an einer depressiven Episode?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nimmt an, dass sich die Depression bis 2020 weltweit zu einer der häufigsten Krankheiten entwickeln wird. In Deutschland leiden ca. vier Millionen Menschen daran, Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Im ICD-10 werden die Symptome wie folgt beschrieben:
„Bei den typischen leichten, mittelgradigen oder schweren Episoden leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zur Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von sog. somatischen Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen.“
Außenstehende nehmen die Krankheit Depression oft nicht ernst. „Reiß dich doch zusammen!“, bekommen depressive Menschen häufig zu hören. Der Dämon Depression ergreift Besitz von einem Menschen, seinen Gedanken und Handlungen, die nur noch von Hoffnungslosigkeit, Interessenlosigkeit und Traurigkeit geprägt sind. Depressive Menschen tragen das Gefühl von Wertlosigkeit mit sich, schämen sich ihrer in unserer Gesellschaft unpopulären Passivität, Freudlosigkeit ist ihr permanenter Begleiter. Dem an einer Depression erkrankten Menschen bereiten weder Dinge noch andere Menschen Freude, er leidet an Lebenskraftverlust.
Wenn eine wirkliche Depression im Frühjahr auftritt, gab es meistens bereits eine depressive Vorerkrankung. Frühjahrsmüdigkeit dauert in der Regel nicht länger als zwei Wochen. Halten die Symptome deutlich länger an und verschlimmern sich tendenziell, ist es sinnvoll, sich zeitnah professionelle Hilfe zu suchen.
Es ist allerdings wichtig zu wissen, dass man nicht gleich bei den ersten Anzeichen zu Psychopharmaka greifen muss, denn die Nebenwirkungen von Antidepressiva sind zahlreich und unerfreulich.
Es gibt ein breites Spektrum an Möglichkeiten, sich selbst zu helfen
Besonders, wenn der Verlust an Lebenskraft saisonal bedingt ist, doch die nachfolgenden Maßnahmen können und sollen auch bei leichten bis mittelschweren Depressionen angewandt werden.
Sowohl bei einer Depression als auch bei der Bekämpfung der Frühjahrsmüdigkeit ist es zunächst wichtig, die Ernährungsgewohnheiten umzustellen. Unser Gehirn braucht Nährstoffe. Durch ungesunde Ernährung leiden die meisten Menschen an Nährstoffmangel, der sich in einer gestörten Darmflora zeigt. Die erste Maßnahme sollte eine Darmsanierung sein und darauf folgend die Umstellung der Ernährung. Nahrungsmittel wie Kartoffeln, Fenchel, Bananen, Tomaten, Spinat und brauner Reis enthalten Vorstufen von Serotonin, einem Botenstoff und Neurotransmitter, und helfen dabei, den Serotoninspiegel zu heben.
Der Anteil an Rohkost sollte erhöht werden, Smoothies sind im Handumdrehen gemixt, aber auch das etwas aufwendigere Entsaften von Obst und Gemüse lohnt – täglich ein großes Glas Saft aus Roter Bete, Spinat, Karotte, Apfel und Fenchel knipst das innere Licht wieder an.
Weitere wichtige Nährstoffe sind Magnesium, Chrom, Zink und Calcium. Selenmangel kann sich in Reizbarkeit, Depressionen und Angst äußern. Selen kommt in Nüssen, Bananen, Zwiebeln, Kartoffeln, Weintrauben, Pfirsichen oder Kiwis vor.
Weiterhin sollen Omega-3-Fettsäuren ein wichtiger Bestandteil im Speiseplan sein. Lein- oder Krillöl unterstützen ebenfalls die Serotoninproduktion. Auch 5-Hydroxytryptophan, ein natürlicher Stimmungsaufheller, der aus den Samen der afrikanischen Pflanze Griffonia simplicifolia gewonnen wird, optimiert die Produktion von Serotonin auf natürliche Weise.
Bewegung ist ein weiterer Baustein auf dem Weg aus der Erstarrung
Joggen, tanzen, schnelles Gehen, Yoga, schwimmen, Qigong, Fitness, Zumba. Am Anfang genügen schon 15 Minuten täglich, um sich dann nach Lust und Laune zu steigern.
Zum Maßnahmenkatalog gehört ebenfalls, ausreichend zu trinken, am besten klares Wasser oder Kräutertees, als Faustregel gilt 0,3 ml pro Kilogramm Körpergewicht.
Körperliche und seelische Entgiftung gehören ebenso dazu. Durch Nahrung und Umwelteinflüsse ist der Körper mit Schadstoffen belastet. Die Naturheilkunde bietet zahlreiche Möglichkeiten, den Körper zu entgiften.
Seelische Entgiftung bedeutet, zu entschleunigen, sich von Menschen fernzuhalten, die einem nicht guttun, zu verzeihen, Dinge zu akzeptieren, die man nicht ändern kann, und das anzugehen, was man verändern kann, anstatt passiv aggressiv nörgelnd vor sich hin zu leben, an der richtigen Stelle Nein zu sagen und öfter Ja zu sich selbst.
Doch es gibt noch die andere Seite der Medaille
Woher kommt es, dass Depressionen sich immer weiter ausbreiten, die Sonne nicht mehr aufgeht, die Seele traurig ist?
Es ist nachvollziehbar, denn wir leben nicht mehr gemäß unserem natürlichen biologischen Rhythmus, es fehlt uns die Verbindung zur Natur. Wir leben nicht in Balance mit unserer Umwelt und es gibt keinen Platz für Spiritualität in unserem Leben. Wir stopfen uns mit Fast Food und Genussgiften voll und finden es hip, „im Stress zu sein“. Es gibt keine Reflexion und keine Zeit für Rückzug und Besinnung im Alltag. Unliebsame Gefühle, Probleme und Schwierigkeiten werden ausgeblendet, weggearbeitet, weggeshoppt, weggetrunken. Der Drang nach Perfektion in jedem Lebensbereich treibt Menschen in die Erschöpfung.
In alten Zeiten wurde die Rückkehr des Lichts mit Ritualen und kultischen Handlungen begrüßt
Das neu erwachte Leben wurde geehrt, die Lebensspenderin Sonne mit Feuerritualen gefeiert, die die Dämonen der Finsternis vertreiben sollten. Heute leben wir Sommer wie Winter gleich. Es wird unnötigerweise an der Zeitschraube manipuliert und wir nutzen den Jahreszeitenwechsel, tütenweise billig produzierte saisonale Klamotten heimzutragen.
Wer damit beginnt, Traditionen zu pflegen, mit den Rhythmen der Natur zu leben anstatt gegen sie, unterstützt Körper, Geist und Seele. Rituale sind Vitamine für die Seele, deshalb ist es wichtig, sinnvolle Rituale ins Leben zu integrieren und sinnentleerte sein zu lassen.
Von Aschermittwoch bis Karsamstag findet im Christentum die Fastenzeit statt. Wer an depressiven Verstimmungen oder Frühjahrsmüdigkeit leidet, sollte diese Zeit nutzen, zu fasten und sich etwas Gutes zu tun. Fasten kann nicht nur die Veränderung der Nahrungsaufnahme bedeuten, sondern auch, sich von schädlichen Gewohnheiten zu distanzieren.
Erinnern wir uns an Bräuche im Frühling wie die gute grüne Suppe. Diese Suppe aus neun Sorten Wildkräutern, am Gründonnerstag genossen, schafft neue Lebensenergie und ist reich an Vitaminen. Brennnessel, Löwenzahn und Bärlauch reinigen das Blut und bringen uns auf Trab. Wer tatsächlich fasten will, es müssen ja nicht gleich vierzig Tage sein, wird wissen, dass der Körper entgiftet und entschlackt, und sich gute Laune und Lebenskraft nach der Anlaufzeit von selbst einstellen.
Die Natur bietet eine Fülle von Pflanzenkräften gegen die Verfinsterung der Seele – am bekanntesten ist das Johanniskraut
Schon Paracelsus nutzte Johanniskraut gegen Antriebslosigkeit und seelische Verstimmung. Die goldgelbe Pflanze hat Einfluss auf die Serotonin- und Dopaminausschüttung und wirkt regulierend auf Melatonin. Safran hat eine starke Wirkung auf unser Gemüt und Rhodiola (Rosenwurz), in Osteuropa auch als „Die goldene Wurzel“ bekannt, unterstützt uns bei Stressabbau, erhöht den Serotoninspiegel und Energiereserven. Rosenwurz fördert auch die Konzentrationsfähigkeit und verhilft zu mentaler Klarheit. Müdigkeit und Erschöpfungszustände können ebenfalls damit behandelt werden, also die gesamte Palette an Symptomen der Frühjahrsmüdigkeit.
Die in Südamerika beheimatete Pflanze Damiana steigert Lebenskraft und Liebeslust und hebt die Laune. Auch die Homöopathie bietet ein großes Spektrum an Stärkungen. Vor allem das der Sonne zugeordnete potenzierte Metall Gold wird gegen die seelische Sonnenfinsternis eingesetzt.
Unser Gehirn braucht immer wieder neue Impulse, um auf Trab zu bleiben. Kreativität, in welcher Form auch immer, ist Balsam für Geist und Seele, egal, ob es töpfern, malen, singen, kochen, gärtnern, handarbeiten oder schreiben ist.
Was brauchen wir noch, um uns wohlzufühlen?
Nähe und Liebe. Umarmungen, Küsse, einen liebevollen Umgang mit uns selbst und unseren Mitmenschen. Auch ein Haustier zu streicheln, löst Wohlgefühl aus.
Legen Sie sich eine Liste an von Dingen, die Sie glücklich machen, und schauen Sie jeden Tag darauf.
Empfinden Sie Dankbarkeit für das, was Sie haben. Schon damit betreiben Sie Prävention, dem Dämon der Dunkelheit nicht in die Hände zu fallen.
Ursula Yngra Wieland
Heilpraktikerin für Psychotherapie, zertifizierte Psychologische Beraterin (VfP), in eigener Praxis tätig seit 2003