Puppenbühnenspiel mit HERZWESEN®-Handpuppen für junge Flüchtlinge
Seit mehr als 10 Jahren mache ich breit gefächerte Erfahrungen mit dem Einsatz von Handpuppen in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Eltern und im Coaching mit Erwachsenen. Gerade in den letzten Jahren ist das Thema der spezifi schen Förderung von Kindern und Jugendlichen immer mehr in den Fokus gerückt und die Inklusion wird in Kitas und Grundschulen umgesetzt. In diesem Kontext profitieren Menschen mit geringen Sprachkenntnissen, anderen Sprachbarrieren und anderen Lernbehinderungen sehr vom Arbeitsmedium Handpuppe.
In einem Workshop für Solounternehmerinnen wurde ich unlängst gefragt, was denn die HERZWESEN®-Handpuppen von anderen therapeutischen Handpuppen unterscheidet? Diese Frage fand ich spannend, berichtete doch die Teilnehmerin davon, dass ihr Mann als Psychiater und Psychotherapeut in der Region arbeite und therapeutische Handpuppen einsetze. Konkret erwähnte sie eine Handpuppe, die einen Vogel im Nest zeige und nach innen umgestülpt werden könne, sodass sich ein Nest erfühlen ließe. Nesterfahrungen z. B. in Form vom Flüggewerden, um das Nest verlassen zu können, werden hier sicher sehr gut im therapeutischen Reifungsprozess angestoßen. Diese Metapher habe ich aufgenommen, um meine HERZWESEN® besser zu erklären.
HERZWESEN® nehmen alles im Menschen so an, wie es ist. Sie wollen nichts herauslocken, auch nichts verändern, sondern ihn ermutigen. Jede einzelne Handpuppe hat ihren Wiedererkennungswert.
Besondere Erfahrungen in der Arbeit mit großen Gruppen von Kindern, Eltern und Erziehenden mache ich immer wieder mit Puppenbühnenspielen am bundesweiten Vorlesetag.
Was mich bewogen hat, Puppenspiele für Flüchtlingskinder und deren Eltern ins Leben zu rufen?
Ein Aufenthalt bei meiner in Budapest studierenden Tochter, die mich auch nach meiner Abreise über E-Mails und Fotos weiter daran teilhaben ließ, wie es rund um den Budapester Bahnhof seit Ankunft der Flüchtlinge zugeht, hat mich angestoßen.
Meine ersten Kontaktaufnahmen mit örtlichen Organisationen verliefen ergebnislos. Ich merkte schnell, wie gefordert alle hier vor Ort mit der Lösung pragmatischer Dinge waren, um die mittlerweile allein in der Stadt Aachen ca. 3 600 Flüchtlinge gut und winterfest unterzubringen.
Beim „Arbeitskreis Asyl“ in Würselen, der vom evangelischen Kirchenkreis unterstützt wird, bin ich dann auf Interesse gestoßen. Seit August 2015 werden in Würselen rund 250 Flüchtlinge untergebracht und betreut. Die aktuellen Zahlen dürften weit höher sein, sind doch mittlerweile viele Familien in weiteren Ortsteilen aufgenommen worden.
In den Räumen des Arbeitskreises, im Kommunikations- und Lernzentrum, konnte ich erste wertvolle Erfahrungen in einem Alphabetisierungskurs für die Erwachsenen machen. Über 20 junge Menschen saßen dort und arbeiteten aufmerksam und konzentriert mit. Der Umgang miteinander wirkte vertraut, fast schon ein wenig familiär. Die Leiterin erzählte, wie die Menschen dort selbst Hand angelegt und die Räume nutzbar und bewohnbar gemacht hatten.
Von den sehr engagierten ehrenamtlich tätigen Pädagoginnen und Pädagogen erhalte ich u. a. die Information, dass viele Kinder mittlerweile die örtlichen Kitas oder Grundschulen besuchen. Von ihrer Seite werden nun die Eltern und ihre Kinder zwischen 3 und 10 Jahren angesprochen. Bereits nach kurzer Zeit wurde eine Gruppe von 15 Kindern zusammengestellt.
Für mich ist es sehr spannend, wie die Kinder auf die HERZWESEN®-Handpuppen reagieren. Erfahre ich doch von der Organisatorin, dass die Kinder bislang wenig gewöhnt sind, mit Spielsachen in Kontakt zu kommen, und die wenigen Monate in den Kitas bislang eher dazu genutzt worden sind, die Kinder in ihren Bedürfnissen zu unterstützen und ihnen zu helfen, ihren Platz zu finden.
Am 5. Dezember 2015 ist es so weit. Zusammen mit einer zweiten Puppenspielerin baue ich die Bühne und weiteres Equipment auf. Der Raum ist mit Sitzkissen ausgestattet worden, um ein Puppenspiel auf Augenhöhe mit den Kindern zu erlauben. Um 11 Uhr soll es losgehen.
Bereits um 10.30 Uhr stehen die ersten Kinder vor der Tür, einige Väter haben ihre Kinder gebracht und erklären, dass sie die Stunde Freizeit für behördliche Angelegenheiten nutzen wollen. Die Kinder sind neugierig, was in den Räumen geschieht, die sie eher von den Eltern aus den Deutschkursen kennen. Bis kurz vor 11 Uhr sind alle Plätze auf den Kissen eingenommen, zwei Mütter sind geblieben, insgesamt sind 14 Kinder zwischen 14 Monaten und 11 Jahren anwesend. Hemmschwellen und Berührungsängste gibt es zu meinem Erstaunen sehr wenig. Die Kinder rücken gleich ganz nah an die Puppenbühne heran und fragen nach den einzelnen HERZWESEN® oder zeigen auf sie. Mit wenigen Worten stelle ich jede Handpuppe vor, reiche sie an die Kinder weiter, denn es sind doch vier Kinder dabei, die kaum Deutsch sprechen oder verstehen.
Die Geschichte von den zwei Kätzchen, „Miez und Mauz, die kleinen Übeltäter“, die in der Familie der HERZWESEN® so manchen Schabernack treiben, halte ich aufgrund der sprachlichen Besonderheiten auf einem niedrigen Sprachniveau. Ich lege immer wieder Pausen ein und nehme wahr, dass die Kinder und die beiden Mütter entspannt wirken. Im Spiel zeige ich auf das schöne Prinzessinnenbett mit dem bunt bestickten und mit Edelsteinen besetzten Kissen der Prinzessin und schaue in funkelnde Kinderaugen, in denen sich Neugier spiegelt.
An den beiden Kätzchen finden die Kinder viel Gefallen und ihre Namen werden laut gerufen. Es wird ganz still im Raum, die Spannung ist in den Gesichtern der Kinder zu sehen, als die zweite Puppenspielerin die Kätzchen mit dem Kissen spielen lässt. Als diese mit ihren Pfötchen die Edelsteine vom Kissen stupsen und diese zu Boden rollen – verbunden mit entsprechenden Geräuschen – staunen die Kinder. Ohne Worte – einfach im Sehen und Hören – erfassen die Kinder blitzschnell, was geschehen ist. Das schöne Kissen ist kaputt. Ein Konflikt, der sich täglich wohl in vielen Familien ähnlich abspielt und damit sicher für alle anwesenden Kinder eine Herausforderung darstellt. Wie geht die Familie damit um?
Natürlich betritt kurz darauf die Prinzessin Sternenpink ihr Zimmer und sieht das kaputte Kissen. Sie hat ja keine Ahnung, wer es gewesen ist, denn längst haben sich die Kätzchen versteckt. Als die Prinzessin ihren Bruder Prinz Knopf verdächtigt und ihm sagt, dass er das Kissen kaputt gemacht habe, rufen viele Kinder in die Runde, dass die Katzen die kleinen Übeltäter gewesen sind. Andere Kinder beobachten genau den Dialog zwischen Bruder und Schwester – auch hier wird er ohne große Worte geführt – die beiden Geschwister schauen sich genau an und dann nickt Sternenpink den Kindern zu und sagt, dass sie dem Prinzen glaubt, dass er es nicht gewesen ist.
Ich beziehe die Kinder immer wieder mit ein und frage nach, was sie bislang wahrgenommen und erlebt haben. So bleiben sie aktiv und sind erfreut, die deutschen Worte anwenden zu können, sie den anderen Kindern zwischendurch zu erklären, sodass alle die Familiengeschichte mit den Katzen verstehen und gut nachverfolgen können. Bereits während der Geschichte reden die Kinder drauflos und geben zum Besten, wie die Geschichte wohl weitergehen könnte.
Ein Junge mit Handicap im Alter von 11 Jahren sagt immer wieder „Papa-orange“ und zeigt auf den König Klingel, und die Handpuppe verweilt bei ihm. Das sind sehr berührende Momente, Kinder so innig und lebendig im Tun zu sehen.
Und noch einmal gibt es einen spannenden Moment, als oberhalb der Bühne, wo sich die Kätzchen verstecken, eine Katze mit ihrem Schwanz eine Vase umstößt. Dieses scheppernde Geräusch lenkt den Blick der Gruppe nun voll und ganz auf die Kätzchen. Alle Kinder sind froh, dass jetzt die kleinen Übeltäter gefunden worden sind. Teilweise sind die Kinder noch näher an die Bühne herangerückt, einige sind in die Hocke gegangen, um alles so genau wie möglich zu erfassen.
Die HERZWESEN®-Eltern führen in der Geschichte eine Lösung herbei, die wie in allen Puppenspielen die Kinder noch einmal auf eine besondere Art und Weise berührt. Denn als der Papa der HERZWESEN®, König Klingel, mit den Kindern in die Küche geht und einen Kakao für alle kocht, erzählen viele Kinder von ihrer Vorliebe, am Abend in der Familie einen Kakao zu trinken, und wie gemütlich es dann ist.
Die Lösung des Konflikts beeindruckt die Kinder sehr, denn im Schlafzimmer der Prinzessin ist die Mama, Königin Gundi, mit den Kätzchen aktiv. Sie reparieren alle zusammen das Kissen. Zuletzt liegt die Prinzessin Sternenpink in ihrem Bettchen und ist bereits nach kurzer Zeit eingeschlafen. Auch die Kätzchen liegen schlafend in ihrem Körbchen. Die Geschichte endet damit sehr friedlich.
Was ich für mich gleich nach dem Puppenspiel gedanklich und fühlend registriere: Die Kinder haben viel gelacht, wenn die Katzen ihre Streiche spielen. Die etwas spannenderen Momente, die über die Kätzchen gelenkt werden, lassen alle still, konzentriert und mit einer kindlichen Neugier das Stück erleben. Sogar in der sicher für einige Kinder belastenden Lebenssituation wirken alle lebendig und sind mit viel Freude dabei.
Nach der Vorführung ist es für einen Moment ganz still, auch hier lasse ich erst einmal die Kinder machen. Die ersten Kinder stehen auf, kommen nah an die Bühne heran, lächeln und zeigen auf die HERZWESEN®, die sie eingehender betrachten und in die Hand nehmen wollen. Es geht sehr lebendig zu, die Unterhaltung wird in den unterschiedlichsten Muttersprachen wieder aufgenommen und es entsteht Raum für ganz Neues.
Völlig ungeplant treten die HERZWESEN® in Kontakt zu den mittlerweile wieder zugegenen Eltern, denen die Kinder vom Erlebten erzählen, und das Medium Puppe initiiert immer wieder neu die Kommunikation zwischen allen. Vertraut ist den Anwesenden, insbesondere den Eltern, die Organisatorin als Ansprechpartnerin, die gut moderiert. Von ihr erfahre ich die Nationalitäten der anwesenden Kinder und Eltern. Die Familien kommen aus Guinea, Eritrea, dem Kosovo, Syrien, Iran, Albanien und Afghanistan.
Auch in der anschließenden Malaktion „Ich male mein eigenes HERZWESEN®“ fließt die Begeisterung weiter. Da wird es wieder sehr ruhig, entspannt, denn jedes Kind malt wirklich sein eigenes HERZWESEN®. Im Unterschied zu den Puppenbühnenspielen in Kitas und Grundschulen, wo die Kinder sich untereinander besser kennen, suchen sich hier die Kinder über den ganzen Raum verteilt stille Plätze und malen sehr konzentriert und mit viel Freude und noch mehr Farbe ihren Favoriten.
Eines dieser Bilder sehen Sie hier als Beispiel, weil es einfach die Unverstelltheit und Echtheit eines Kindes so wiedergibt, dass es keiner großen Worte bedarf. So wie es auch bei den HERZWESEN® geschieht – verstehen ohne große Worte.
Dieses Angebot von einer Stunde für Kinder und Eltern mit noch wenig Deutschkenntnissen hat mir gezeigt, wie diese in ihrer besonderen Lebenslage spielerisch erreicht werden können. Denn neben vielen Anträgen auf Asyl, Erledigung von Wohnungsformalitäten und anderen existenziellen täglichen Abläufen ist es gelungen, ebenso die leichte Seite des Lebensalltags miteinzubeziehen. „Ein guter Ausgleich zu unserer multimedial ausgelegten Welt“, sagt die Organisatorin des Puppenspiels. Sicher aber ein Kontakt auf Augenhöhe im Spielen, mit wenigen Worten und lustigen Streichen der Katzen, die ganz bewusst Hauptakteure in dieser Geschichte waren.
Die Puppenbühnenspiele sind immer wieder spontan variiert worden, nahmen Verläufe, die sich an den Gruppen orientierten und nicht die Geschichte erstarren ließen, sondern zu dem machten, was in der Gruppe geschehen konnte. Das Erleben der Kinder rückte immer wieder in den Mittelpunkt des Geschehens. Bereits vor der eigentlichen Aufl ösung des Konflikts konnten die Kinder selbst Hinweise auf die kleinen Übeltäter geben. Damit wurde es ihnen ermöglicht, die Geschichte zu beeinflussen. Sie setzten all ihre Sinne in Freiheit ein, initiierten eigene Lösungen. Soziale, emotionale und kommunikative Erfahrungen konnten hier auf besondere Weise gemacht werden.
Und das ist immer wieder das Besondere bei der Arbeit mit den HERZWESEN® – sie folgen immer aufs Neue der Spur von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.
Marie-Anne Raithel
Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Praxis in Würselen, Coach DVNLP, EMDR-Therapeutin (VDH/DGMT), Sozial-emotionales Kompetenztraining HERZWESEN®-Lernen mit allen Sinnen, Dozentin an der Paracelsus Schule Aachen