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Ausblicke auf ein neues Beratungsfeld: Intersexualität

Die Beratung intersexueller Menschen, besonders auch der Eltern von intersexuell geborenen Kindern kann für viele Psychotherapeuten und Psychologische Berater ein wichtiges neues Beratungsfeld werden – besonders wenn dieses Thema noch mehr öffentlich angesprochen wird. Dazu diente eine Veranstaltung am 26.06.2002 in dem Begegnungszentrum „Färberei“ (Wuppertal) zum medizinischen Standard für die Behandlung von intersexuellen Menschen mit uneindeutigen Genitalien. Die Psychologin Sarah Luzia Hassel und ihr Berliner Kollege Knut Werner Rosen rufen im Anschluß an diese Veranstaltung auf zur Gründung eines Arbeitskreises, der sich mit der Beratung von Eltern intersexueller Kinder in Zusammenarbeit mit intersexuellen Paten befassen soll. Die Schwerpunkte sind Beratung und therapeutische Unterstützung der Eltern, damit diese ihren Kindern besser zur Seite stehen können.

Die Veranstalter, die Psychologin Sarah Luzia Hassel und ihr Lebensgefährte und ehrenamtlicher Helfer Volker Reusing, hatten als Gäste für die öffentliche Veranstaltung den Sexologen Prof. Dr. Milton Diamond (Uni Hawaii), den Psychologen Knut Werner-Rosen (Berlin), PolitikerInnen der Parteien CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Grüne, PDS, ödp und Graue, Journalisten sowie Betroffene bzw. Angehörige und Bekannte von diesen eingeladen. Ziel der Veranstaltung war es, Politikern und Journalisten bekannt zu machen, wie es zum heute noch gültigen Standard gekommen ist, und von der Politik Anregungen zu bekommen, was man tun kann, um die Rechte der intersexuellen Menschen zu stärken. Im Mittelpunkt der Veranstaltung sollte ein Vortrag von Prof. Dr. Milton Diamond stehen über die Entstehung des in der westlichen Welt geltenden med. Standards für die Behandlung intersexueller Kleinkinder, und wie die Lage dazu in den USA z. Zt. ist. Frau Hassel und Herr Reusing hatten für Prof. Dr. Diamond dessen med. Richtlinien und seinen Text über die Entstehung des heutigen Standards und die Frage der Informierten Einwilligung ehrenamtlich ins Deutsche übersetzt, um auch hierzulande die Diskussion über die Rechte der intersexuellen Minderheit voran zu bringen.

Einführung, Vorstellung des Berliner-Wuppertaler Modells

Nach ein paar einführenden Worten von Frau Hassel stellte ihr Kollege Herr Werner-Rosen das von den beiden entworfene Berliner- Wuppertaler Modell als ein Beispiel dafür vor, wie die beiden aus psychologischer Sicht die Situation intersexueller Menschen und vor allem ihrer Eltern verbessern wollen. Die kulturelle Erwartung verlange, da man geschlechtliche Uneindeutigkeit weithin nicht kenne, Eindeutigkeit, das intersexuelle Kleinkind komme aber uneindeutig auf die Welt. Eltern beschrieben diese Diskrepanz oft mit „Hölle“, „Verzweiflung“, sprächen von existenziellen Krisen. Knut Werner-Rosen hat 10 Jahre Erfahrung in der Arbeit mit intersexuellen Kindern und arbeitet zusammen mit der Charieté in Berlin. Auch heute noch bekommt er Klienten/ Patienten mit Bindungsstörungen. Daher sei es ihm ein wichtiges Anliegen, die Eltern psychisch zu stärken, damit sie ihrem Kind beistehen können und keine falschen Behandlungsentscheidungen treffen. Das Thema Intersexualität müsse auch aus der Tabu-Zone heraus. Selbst viele Psychologen seien mit dem Thema heute noch emotional überfordert. Das Berliner- Wuppertaler Modell sehe vor, daß den Eltern kompetente und ausführliche Beratung von Anfang an zur Verfügung gestellt werde. Dafür sei es wichtig, daß alle mit der Beratung und Behandlung befaßten Personen lernen, genug Halt in ihrer eigenen Identität zu haben, und sich dieses Halts auch bewußt zu sein, damit sie mit der geschlechtlichen Uneindeutigkeit anderer Menschen gefühlsmäßig umgehen können. Langfristig sollen die intersexuellen Menschen so selbständig wie möglich leben. Daher solle die alltägliche Unterstützung intersexueller Kinder und ihrer Eltern vor allem durch ehrenamtliche Paten geschehen, wobei vermutlich am kompetentesten erwachsene Intersexuelle seien. Frau Hassel und Herr Werner-Rosen sehen ihre Aufgaben vor allem darin, die behandelnden Psychologen, Ärzte, Hebammen u.a. psychologisch fortzubilden, aber auch, wo erforderlich, den Paten und den intersexuellen Menschen und ihren Familien selbst zur Verfügung zu stehen für psychologische Fragen, mit denen ehrenamtliche Paten überfordert wären.

Vortrag von Frau Prof. Dr. Richter-Appelt

Der wichtigste Gast der Veranstaltung, Prof. Dr. Milton Diamond, war kurz zuvor erkrankt und befand sich in einem Hamburger Krankenhaus. Auf seine Bitte hin vertrat ihn Frau Prof. Dr. Herta Richter- Appelt. Sie stellte dar, was Intersexualität ist, und referierte aus Diamond’s Text zur „Informierten Einwilligung“ und zur Entstehung des heute noch gültigen Standards. Frau Prof. Dr. Richter-Appelt arbeitet seit 20 Jahren in der Hamburger Abteilung für Sexualforschung, vor allem in den Bereichen Psychoendokrinologie und sexuelle Traumatisierung. Sie habe viele Jahre Erfahrung in der Arbeit mit Transsexualität. Sie verdeutlichte den Unterschied zwischen Sex (körperliches Geschlecht) und Gender (soziales Geschlecht), machte klar, daß sich nicht alle Menschen bei Geburt eindeutig als männlich oder weiblich einordnen lassen. Intersexualität zeige sich z. B. an chromosomalen, cerebralen, endokrinen, gonadalen und äußeren Merkmalen. Seit Ende der 1950er Jahre seien genitale OPs in Baltimore (USA) möglich. Man habe früher vor allem nach dem Erscheinungsbild des Genitals operativ zugewiesen. Zu dieser Zuweisungsideologie gehöre auch, das Kind möglichst früh in eine Rolle zu drängen, und Geheimhaltung über die körperlich-geschlechtliche Uneindeutigkeit zum Zeitpunkt der Geburt zu bewahren. Man habe ursprünglich geglaubt, den intersexuellen Menschen zu helfen, wenn man ihnen durch die OPs ermöglichte, später Geschlechtsverkehr haben zu können. Die jahrelange Geheimhaltung habe auch bewirkt, daß Eltern intersexueller Kleinkinder selbst heute teilweise nicht vollständig genug informiert werden. Frau Prof. Dr. Richter-Appelt verdeutlichte, wie wichtig es Diamond sei, kontrollierte Studien über die Langzeitergebnisse der Behandlungen zu bekommen. Auch in anderen Bereichen der Medizin, z. B. bei künstlicher Befruchtung, gäbe es zu wenig Langzeitstudien.

Frau Richter-Appelt gab Schätzungen wieder, daß 1% der Bevölkerung intersexuell seien, und daß jedes 2000. Kleinkind genitalchirurgisch behandelt werde. Diamond kritisiere den Druck der Ärzte und das fehlende Mitspracherecht der Kinder. Zu unterscheiden sei zwischen med. notwendigen und geschlechtsangleichenden OPs. Hinsichtlich des Grundsatzes der Informierten Einwilligung sei die Medizin in einem Dilemma: Es seien sowohl Schadenersatzklagen von Intersexuellen denkbar, die ohne eigene Einwilligung behandelt wurden, als auch von solchen, die nicht behandelt wurden, es sei zu wenig über die Zahl der zufriedenen ebenso wie der unzufriedenen intersexuellen Menschen bekannt. Frau Richter-Appelt stellte klar, daß sie mit Diamond darin übereinstimme, daß das Patientenrecht auf Informierte Einwilligung sich an die intersexuellen Menschen selbst zu wenden habe. Das bedeute, daß die Betroffenen und ihre Eltern hinreichend aufgeklärt werden müssen. Die Ärzte seien auch heute noch zu wenig geschult im persönlichen Umgang. Für die Aufklärungsgespräche, für eine altersspezifische Unterstützung des Kindes müßten in verschiedenen Altersabschnitten genügend Informationen zur Verfügung gestellt werden. Ein persönliches Verhältnis sei anzustreben zwischen Arzt, intersexuellem Menschen und Eltern, auch Rückfragen müßten gestellt werden können. Die Entscheidung bzgl. kosmetischer OPs stehe nach Diamond’s ebenso wie nach Richter-Appelts Überzeugung allein dem intersexuellen Menschen selbst zu; diesem müsse es ermöglicht werden, in seine Eigenverantwortung hineinzuwachsen. Auch über Risiken und Lasten sei ausreichend aufzuklären, das therapeutische Privileg sei angemessen auszulegen. Sie stellte klar, daß die Lebensqualität wichtiger sei als eine geschlechtlich eindeutige Zuordnung. Eine körperlich- geschlechtliche Uneindeutigkeit sei kein chirurgischer Notfall, könne allenfalls mit einem hormonellen Notfall verbunden sein. Zur psychischen Belastung der Eltern führte sie aus, daß diese durch eine chirurgische Geschlechtsangleichung des Kindes nicht verhindert werden könne, die OP löse nicht alle Probleme, vor allem nicht die seelischen. Sie zitierte Diamond damit, es würden ja auch keine Kinder an ihrer Hautfarbe umoperiert. Sie erläuterte, daß man im Zweifel bisher häufiger zum Mädchen als zum Jungen angeglichen habe, weil dies chirurgisch einfacher sei. Stattdessen sei das Selbstbewußtsein der Intersexuellen zu stärken, damit sie zu sich stehen können, so wie sie sind, oder sein wollen. Die Geheimhaltung sei zu beenden, sie funktioniere in den meisten Fällen ohnehin nicht lebenslänglich. Psychologen seien einzubeziehen. Eine umfassende Aufklärung könne von der Ärzteschaft nur dann in der erforderlichen Form geleistet werden, wenn sie psychologisch darauf vorbereitet werde.

Stellungnahmen der Vertreter der politischen Parteien – Podiumsdiskussion

Eine hochinteressante Diskussion schloß sich diesen Ausführungen an, in deren Verlauf sowohl von Seiten der Politik wie von Seiten der Selbsthilfegruppen und einzelner Betroffener weitere wichtige Aspekte zur Sprache gebracht wurden. Die Veranstalter sind hochzufrieden darüber, daß es gelungen ist, in einer konstruktiven Gesprächsatmosphäre couragierte PolitikerInnen von 7 Parteien zu einem wichtigen Minderheitenthema an einen Tisch zu bekommen, und daraus haben sich wichtige Anregungen und auch Versprechen ergeben, an die sie die Politiker gerne erinnern werden. Der Verlauf insgesamt zeigte, daß noch mehr Veranstaltungen zum Thema Intersexualität notwendig sind, auch wenn hier schon der WDR und die Westdeutsche Zeitung positiv berichtet hatten.

 

 

Interessenten wenden sich an: Sarah Luzia Hassel Praxis für Psychologische Beratung und Psychotherapie (HPG) Froweinstraße 3 / 42105 Wuppertal Tel. 02 02 / 2 50 26 21 E-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.